Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

kleine süsse Maus? -- Der Jäger sagte: Mein
Schatz ist ein Hirsch, der wandelt in einer prächti¬
gen Wildniß, die liegt so unbeschreiblich hoch und
einsam und die ganze Welt übersieht man von dort,
wie sich die Sonne ringsum in Seen und Flüssen
und allen Kreaturen wunderbar bespiegelt. Es ist
des Jägers dunkelwüste Lust, das Schönste, was
ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abschied
von seinem alten Leben und folgte dem Hirsche im¬
mer höher mühsam hinauf. Als die Sonne auf¬
gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd
an. Da wandte sich der Hirsch plötzlich und sah
ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus.
Da verließen den Jäger auf einmal seine Künste
und seine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬
knieen wie jener, denn ihm schwindelte vor dem
Blick und der Höhe und es faßte ihn ein seltsamer
Gelust, die dunkle Mündung auf seine eigne ausge¬
storbene Brust zu kehren. --

Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬
de der sich nach und nach zu erheben anfieng, diese
sonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬
tze erhellten inzwischen von Zeit zu Zeit die Gegend
und ihr Schein fiel auf die Gesichter der beyden
Jäger. Sie waren gar lieblich anzusehen, schienen
beyde noch Knaben. Der eine hatte ein silbernes
Horn an der Seite hängen. Leontin sagte, er solle
eins blasen; er versicherte aber, daß er es nicht
könne. Leontin lachte ihn aus, was sie für Jäger

wären,

kleine ſüſſe Maus? — Der Jäger ſagte: Mein
Schatz iſt ein Hirſch, der wandelt in einer prächti¬
gen Wildniß, die liegt ſo unbeſchreiblich hoch und
einſam und die ganze Welt überſieht man von dort,
wie ſich die Sonne ringsum in Seen und Flüſſen
und allen Kreaturen wunderbar beſpiegelt. Es iſt
des Jägers dunkelwüſte Luſt, das Schönſte, was
ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abſchied
von ſeinem alten Leben und folgte dem Hirſche im¬
mer höher mühſam hinauf. Als die Sonne auf¬
gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd
an. Da wandte ſich der Hirſch plötzlich und ſah
ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus.
Da verließen den Jäger auf einmal ſeine Künſte
und ſeine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬
knieen wie jener, denn ihm ſchwindelte vor dem
Blick und der Höhe und es faßte ihn ein ſeltſamer
Geluſt, die dunkle Mündung auf ſeine eigne ausge¬
ſtorbene Bruſt zu kehren. —

Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬
de der ſich nach und nach zu erheben anfieng, dieſe
ſonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬
tze erhellten inzwiſchen von Zeit zu Zeit die Gegend
und ihr Schein fiel auf die Geſichter der beyden
Jäger. Sie waren gar lieblich anzuſehen, ſchienen
beyde noch Knaben. Der eine hatte ein ſilbernes
Horn an der Seite hängen. Leontin ſagte, er ſolle
eins blaſen; er verſicherte aber, daß er es nicht
könne. Leontin lachte ihn aus, was ſie für Jäger

wären,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0294" n="288"/>
kleine &#x017F;ü&#x017F;&#x017F;e Maus? &#x2014; Der Jäger &#x017F;agte: Mein<lb/>
Schatz i&#x017F;t ein Hir&#x017F;ch, der wandelt in einer prächti¬<lb/>
gen Wildniß, die liegt &#x017F;o unbe&#x017F;chreiblich hoch und<lb/>
ein&#x017F;am und die ganze Welt über&#x017F;ieht man von dort,<lb/>
wie &#x017F;ich die Sonne ringsum in Seen und Flü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und allen Kreaturen wunderbar be&#x017F;piegelt. Es i&#x017F;t<lb/>
des Jägers dunkelwü&#x017F;te Lu&#x017F;t, das Schön&#x017F;te, was<lb/>
ihn rührt, zu verderben. So nahm er Ab&#x017F;chied<lb/>
von &#x017F;einem alten Leben und folgte dem Hir&#x017F;che im¬<lb/>
mer höher müh&#x017F;am hinauf. Als die Sonne auf¬<lb/>
gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd<lb/>
an. Da wandte &#x017F;ich der Hir&#x017F;ch plötzlich und &#x017F;ah<lb/>
ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus.<lb/>
Da verließen den Jäger auf einmal &#x017F;eine Kün&#x017F;te<lb/>
und &#x017F;eine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬<lb/>
knieen wie jener, denn ihm &#x017F;chwindelte vor dem<lb/>
Blick und der Höhe und es faßte ihn ein &#x017F;elt&#x017F;amer<lb/>
Gelu&#x017F;t, die dunkle Mündung auf &#x017F;eine eigne ausge¬<lb/>
&#x017F;torbene Bru&#x017F;t zu kehren. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬<lb/>
de der &#x017F;ich nach und nach zu erheben anfieng, die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;onderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬<lb/>
tze erhellten inzwi&#x017F;chen von Zeit zu Zeit die Gegend<lb/>
und ihr Schein fiel auf die Ge&#x017F;ichter der beyden<lb/>
Jäger. Sie waren gar lieblich anzu&#x017F;ehen, &#x017F;chienen<lb/>
beyde noch Knaben. Der eine hatte ein &#x017F;ilbernes<lb/>
Horn an der Seite hängen. Leontin &#x017F;agte, er &#x017F;olle<lb/>
eins bla&#x017F;en; er ver&#x017F;icherte aber, daß er es nicht<lb/>
könne. Leontin lachte ihn aus, was &#x017F;ie für Jäger<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wären,<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0294] kleine ſüſſe Maus? — Der Jäger ſagte: Mein Schatz iſt ein Hirſch, der wandelt in einer prächti¬ gen Wildniß, die liegt ſo unbeſchreiblich hoch und einſam und die ganze Welt überſieht man von dort, wie ſich die Sonne ringsum in Seen und Flüſſen und allen Kreaturen wunderbar beſpiegelt. Es iſt des Jägers dunkelwüſte Luſt, das Schönſte, was ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abſchied von ſeinem alten Leben und folgte dem Hirſche im¬ mer höher mühſam hinauf. Als die Sonne auf¬ gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd an. Da wandte ſich der Hirſch plötzlich und ſah ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus. Da verließen den Jäger auf einmal ſeine Künſte und ſeine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬ knieen wie jener, denn ihm ſchwindelte vor dem Blick und der Höhe und es faßte ihn ein ſeltſamer Geluſt, die dunkle Mündung auf ſeine eigne ausge¬ ſtorbene Bruſt zu kehren. — Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬ de der ſich nach und nach zu erheben anfieng, dieſe ſonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬ tze erhellten inzwiſchen von Zeit zu Zeit die Gegend und ihr Schein fiel auf die Geſichter der beyden Jäger. Sie waren gar lieblich anzuſehen, ſchienen beyde noch Knaben. Der eine hatte ein ſilbernes Horn an der Seite hängen. Leontin ſagte, er ſolle eins blaſen; er verſicherte aber, daß er es nicht könne. Leontin lachte ihn aus, was ſie für Jäger wären,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/294
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/294>, abgerufen am 23.11.2024.