Wälder und Berge hinuntergesehen haben, die noch immer dastehen, wie damals. Was müh'n wir uns doch ab in unseren besten Jahren, lernen, polieren und feilen, um uns zu rechten Leuten zu machen, als furchteten oder schämten wir uns vor uns selbst, und wollten uns daher hinter Geschick¬ lichkeiten verbergen und zerstreuen, anstatt daß es darauf ankäme, sich innerlichst nur recht zusammen¬ zunehmen zu hohen Entschließungen und einem tu¬ gendhaften Wandel. Denn wahrhaftig, ein ruhi¬ ges, tapferes, tüchtiges und ritterliches Leben ist jezt jedem Manne, wie damals, vonnöthen. Jedes Weltkind sollte wenigstens jeden Monat Eine Nacht im Freyen einsam durchwachen, um einmal seine eitlen Mühen und Künste abzustreifen und sich im Glauben zu stärken und zu erbauen. Wie bin ich so fröhlich und erquickt! Gebe mir Gott nur die Gnade, daß dieser Arm einmal was Rech¬ tes in der Welt vollbringe!
Unter solchen Gedanken schritt er immer fort. Der Fußsteg hatte sich indeß immer mehr und mehr gesenkt, und er erblickte endlich ein Licht, das aus dem Thale heraufschimmerte. Er eilte darauf los und kam an eine elende, einsame Waldschenke. Er sah durch das kleine Fenster in die Stube hinein. Da saß ein Haufen zerlumpter Kerls mit bärtigen Spitzbubengesichtern um einen Tisch und trank. In allen Winkeln standen Gewehre angelehnt. An dem hellen Kaminfeuer, das einen gräßlichen Schein über den Menschenklumpen warf, saß ein altes
Wälder und Berge hinuntergeſehen haben, die noch immer daſtehen, wie damals. Was müh'n wir uns doch ab in unſeren beſten Jahren, lernen, polieren und feilen, um uns zu rechten Leuten zu machen, als furchteten oder ſchämten wir uns vor uns ſelbſt, und wollten uns daher hinter Geſchick¬ lichkeiten verbergen und zerſtreuen, anſtatt daß es darauf ankäme, ſich innerlichſt nur recht zuſammen¬ zunehmen zu hohen Entſchließungen und einem tu¬ gendhaften Wandel. Denn wahrhaftig, ein ruhi¬ ges, tapferes, tüchtiges und ritterliches Leben iſt jezt jedem Manne, wie damals, vonnöthen. Jedes Weltkind ſollte wenigſtens jeden Monat Eine Nacht im Freyen einſam durchwachen, um einmal ſeine eitlen Mühen und Künſte abzuſtreifen und ſich im Glauben zu ſtärken und zu erbauen. Wie bin ich ſo fröhlich und erquickt! Gebe mir Gott nur die Gnade, daß dieſer Arm einmal was Rech¬ tes in der Welt vollbringe!
Unter ſolchen Gedanken ſchritt er immer fort. Der Fußſteg hatte ſich indeß immer mehr und mehr geſenkt, und er erblickte endlich ein Licht, das aus dem Thale heraufſchimmerte. Er eilte darauf los und kam an eine elende, einſame Waldſchenke. Er ſah durch das kleine Fenſter in die Stube hinein. Da ſaß ein Haufen zerlumpter Kerls mit bärtigen Spitzbubengeſichtern um einen Tiſch und trank. In allen Winkeln ſtanden Gewehre angelehnt. An dem hellen Kaminfeuer, das einen gräßlichen Schein über den Menſchenklumpen warf, ſaß ein altes
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Wälder und Berge hinuntergeſehen haben, die
noch immer daſtehen, wie damals. Was müh'n
wir uns doch ab in unſeren beſten Jahren, lernen,
polieren und feilen, um uns zu rechten Leuten zu
machen, als furchteten oder ſchämten wir uns vor
uns ſelbſt, und wollten uns daher hinter Geſchick¬
lichkeiten verbergen und zerſtreuen, anſtatt daß es
darauf ankäme, ſich innerlichſt nur recht zuſammen¬
zunehmen zu hohen Entſchließungen und einem tu¬
gendhaften Wandel. Denn wahrhaftig, ein ruhi¬
ges, tapferes, tüchtiges und ritterliches Leben iſt
jezt jedem Manne, wie damals, vonnöthen. Jedes
Weltkind ſollte wenigſtens jeden Monat Eine
Nacht im Freyen einſam durchwachen, um einmal
ſeine eitlen Mühen und Künſte abzuſtreifen und
ſich im Glauben zu ſtärken und zu erbauen. Wie
bin ich ſo fröhlich und erquickt! Gebe mir Gott
nur die Gnade, daß dieſer Arm einmal was Rech¬
tes in der Welt vollbringe!
Unter ſolchen Gedanken ſchritt er immer fort.
Der Fußſteg hatte ſich indeß immer mehr und mehr
geſenkt, und er erblickte endlich ein Licht, das aus
dem Thale heraufſchimmerte. Er eilte darauf los
und kam an eine elende, einſame Waldſchenke. Er
ſah durch das kleine Fenſter in die Stube hinein.
Da ſaß ein Haufen zerlumpter Kerls mit bärtigen
Spitzbubengeſichtern um einen Tiſch und trank. In
allen Winkeln ſtanden Gewehre angelehnt. An dem
hellen Kaminfeuer, das einen gräßlichen Schein
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/30>, abgerufen am 27.11.2024.
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