gaben, und die Worte, die es sprach, flogen wie Musik über ihn weg.
Da er sich nun recht leicht und neugestärkt spürte, stieg er aus dem Bette und trat ans Fen¬ ster. Er sah da, daß er sich in einem großen Schlosse befand. Unten lag ein schöner Garten; alles war noch still, nur Vögel flatterten auf den einsamen, kühlen Gängen, der Morgen war über¬ aus heiter.
Der Knabe an dem Bette war indeß auch auf¬ gewacht. Gott sey Dank! rief er aus Herzens¬ grunde, als er die Augen aufschlug und den Gra¬ fen aufgestanden und munter erblickte. Friedrich glaubte, sein Gesicht zu kennen, doch konnte er sich durchaus nicht besinnen, wo er es gesehen hatte. Wo bin ich? fragte er endlich erstaunt. Gott sey Dank! wiederholte der Knabe nur, und sah ihn mit seinen großen, fröhlichen Augen noch immer un¬ verwandt an, als könnte er sich gar nicht in die Freude finden, ihn wirklich wieder hergestellt zu sehen. Friedrich drang nun in ihn, ihm den Zusammen¬ hang dieser ganzen seltsamen Begebenheit zu ent¬ wirren. Der Knabe besann sich einen Augenblick und erzählte dann: Gestern früh, da ich eben in den Wald gieng, sah ich Dich blutig und ohne Le¬ ben am Wege liegen. Das Blut floß über den Kopf, ich verband die Wunde mit meinem Tuche so gut ich konnte. Aber das Blut drang durch und floß immerfort, und ich versuchte alles vergebens, um es zu stillen. Ich lief und rief nun in meiner
gaben, und die Worte, die es ſprach, flogen wie Muſik über ihn weg.
Da er ſich nun recht leicht und neugeſtärkt ſpürte, ſtieg er aus dem Bette und trat ans Fen¬ ſter. Er ſah da, daß er ſich in einem großen Schloſſe befand. Unten lag ein ſchöner Garten; alles war noch ſtill, nur Vögel flatterten auf den einſamen, kühlen Gängen, der Morgen war über¬ aus heiter.
Der Knabe an dem Bette war indeß auch auf¬ gewacht. Gott ſey Dank! rief er aus Herzens¬ grunde, als er die Augen aufſchlug und den Gra¬ fen aufgeſtanden und munter erblickte. Friedrich glaubte, ſein Geſicht zu kennen, doch konnte er ſich durchaus nicht beſinnen, wo er es geſehen hatte. Wo bin ich? fragte er endlich erſtaunt. Gott ſey Dank! wiederholte der Knabe nur, und ſah ihn mit ſeinen großen, fröhlichen Augen noch immer un¬ verwandt an, als könnte er ſich gar nicht in die Freude finden, ihn wirklich wieder hergeſtellt zu ſehen. Friedrich drang nun in ihn, ihm den Zuſammen¬ hang dieſer ganzen ſeltſamen Begebenheit zu ent¬ wirren. Der Knabe beſann ſich einen Augenblick und erzählte dann: Geſtern früh, da ich eben in den Wald gieng, ſah ich Dich blutig und ohne Le¬ ben am Wege liegen. Das Blut floß über den Kopf, ich verband die Wunde mit meinem Tuche ſo gut ich konnte. Aber das Blut drang durch und floß immerfort, und ich verſuchte alles vergebens, um es zu ſtillen. Ich lief und rief nun in meiner
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gaben, und die Worte, die es ſprach, flogen wie
Muſik über ihn weg.
Da er ſich nun recht leicht und neugeſtärkt
ſpürte, ſtieg er aus dem Bette und trat ans Fen¬
ſter. Er ſah da, daß er ſich in einem großen
Schloſſe befand. Unten lag ein ſchöner Garten;
alles war noch ſtill, nur Vögel flatterten auf den
einſamen, kühlen Gängen, der Morgen war über¬
aus heiter.
Der Knabe an dem Bette war indeß auch auf¬
gewacht. Gott ſey Dank! rief er aus Herzens¬
grunde, als er die Augen aufſchlug und den Gra¬
fen aufgeſtanden und munter erblickte. Friedrich
glaubte, ſein Geſicht zu kennen, doch konnte er ſich
durchaus nicht beſinnen, wo er es geſehen hatte.
Wo bin ich? fragte er endlich erſtaunt. Gott ſey
Dank! wiederholte der Knabe nur, und ſah ihn
mit ſeinen großen, fröhlichen Augen noch immer un¬
verwandt an, als könnte er ſich gar nicht in die
Freude finden, ihn wirklich wieder hergeſtellt zu ſehen.
Friedrich drang nun in ihn, ihm den Zuſammen¬
hang dieſer ganzen ſeltſamen Begebenheit zu ent¬
wirren. Der Knabe beſann ſich einen Augenblick
und erzählte dann: Geſtern früh, da ich eben in
den Wald gieng, ſah ich Dich blutig und ohne Le¬
ben am Wege liegen. Das Blut floß über den
Kopf, ich verband die Wunde mit meinem Tuche ſo
gut ich konnte. Aber das Blut drang durch und
floß immerfort, und ich verſuchte alles vergebens,
um es zu ſtillen. Ich lief und rief nun in meiner
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/35>, abgerufen am 23.11.2024.
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