Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

alles, was noch laufen konnte, Reißaus genommen
hatte, sank er, von vielen Wunden und Blutverlu¬
ste ermattet, ohne Bewußtseyn nieder.


Drittes Kapitel.

Als Friedrich wieder das erstemal die Augen
aufschlug und mit gesunden Sinnen in der Welt
umherschauen konnte, erblickte er sich in einem un¬
bekannten, schönen und reichen Zimmer. Die Mor¬
gensonne schien auf die seidenen Vorhänge seines
Bettes; sein Kopf war verbunden. Zu den Füßen
des Bettes kniete ein schöner Knabe, der den
Kopf auf beyde Arme an das Bett gelehnt hatte
und schlief.

Friedrich wußte sich in diese Verwandlungen
nicht zu finden. Er sann nach, was mit ihm vor¬
gegangen war. Aber nur die fürchterliche Nacht in
der Waldmühle mit ihren Mordgesichtern stand leb¬
haft vor ihm, alles übrige schien wie ein schwerer
Traum. Verschiedene fremde Gestalten aus dieser
lezten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich, aber
er konnte keine unterscheiden. Nur eine einzige un¬
gewisse Vorstellung blieb ihm lieblich getreu. Es
war ihm nemlich immer vorgekommen, als hätte
sich ein wunderschönes Engelsbild über ihn geneigt,
so daß ihn die langen, reichen Locken rings umga¬

alles, was noch laufen konnte, Reißaus genommen
hatte, ſank er, von vielen Wunden und Blutverlu¬
ſte ermattet, ohne Bewußtſeyn nieder.


Drittes Kapitel.

Als Friedrich wieder das erſtemal die Augen
aufſchlug und mit geſunden Sinnen in der Welt
umherſchauen konnte, erblickte er ſich in einem un¬
bekannten, ſchönen und reichen Zimmer. Die Mor¬
genſonne ſchien auf die ſeidenen Vorhänge ſeines
Bettes; ſein Kopf war verbunden. Zu den Füßen
des Bettes kniete ein ſchöner Knabe, der den
Kopf auf beyde Arme an das Bett gelehnt hatte
und ſchlief.

Friedrich wußte ſich in dieſe Verwandlungen
nicht zu finden. Er ſann nach, was mit ihm vor¬
gegangen war. Aber nur die fürchterliche Nacht in
der Waldmühle mit ihren Mordgeſichtern ſtand leb¬
haft vor ihm, alles übrige ſchien wie ein ſchwerer
Traum. Verſchiedene fremde Geſtalten aus dieſer
lezten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich, aber
er konnte keine unterſcheiden. Nur eine einzige un¬
gewiſſe Vorſtellung blieb ihm lieblich getreu. Es
war ihm nemlich immer vorgekommen, als hätte
ſich ein wunderſchönes Engelsbild über ihn geneigt,
ſo daß ihn die langen, reichen Locken rings umga¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="28"/>
alles, was noch laufen konnte, Reißaus genommen<lb/>
hatte, &#x017F;ank er, von vielen Wunden und Blutverlu¬<lb/>
&#x017F;te ermattet, ohne Bewußt&#x017F;eyn nieder.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel</hi>.</hi><lb/>
          </head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Als <hi rendition="#g">Friedrich</hi> wieder das er&#x017F;temal die Augen<lb/>
auf&#x017F;chlug und mit ge&#x017F;unden Sinnen in der Welt<lb/>
umher&#x017F;chauen konnte, erblickte er &#x017F;ich in einem un¬<lb/>
bekannten, &#x017F;chönen und reichen Zimmer. Die Mor¬<lb/>
gen&#x017F;onne &#x017F;chien auf die &#x017F;eidenen Vorhänge &#x017F;eines<lb/>
Bettes; &#x017F;ein Kopf war verbunden. Zu den Füßen<lb/>
des Bettes kniete ein &#x017F;chöner Knabe, der den<lb/>
Kopf auf beyde Arme an das Bett gelehnt hatte<lb/>
und &#x017F;chlief.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Friedrich</hi> wußte &#x017F;ich in die&#x017F;e Verwandlungen<lb/>
nicht zu finden. Er &#x017F;ann nach, was mit ihm vor¬<lb/>
gegangen war. Aber nur die fürchterliche Nacht in<lb/>
der Waldmühle mit ihren Mordge&#x017F;ichtern &#x017F;tand leb¬<lb/>
haft vor ihm, alles übrige &#x017F;chien wie ein &#x017F;chwerer<lb/>
Traum. Ver&#x017F;chiedene fremde Ge&#x017F;talten aus die&#x017F;er<lb/>
lezten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich, aber<lb/>
er konnte keine unter&#x017F;cheiden. Nur eine einzige un¬<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Vor&#x017F;tellung blieb ihm lieblich getreu. Es<lb/>
war ihm nemlich immer vorgekommen, als hätte<lb/>
&#x017F;ich ein wunder&#x017F;chönes Engelsbild über ihn geneigt,<lb/>
&#x017F;o daß ihn die langen, reichen Locken rings umga¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0034] alles, was noch laufen konnte, Reißaus genommen hatte, ſank er, von vielen Wunden und Blutverlu¬ ſte ermattet, ohne Bewußtſeyn nieder. Drittes Kapitel. Als Friedrich wieder das erſtemal die Augen aufſchlug und mit geſunden Sinnen in der Welt umherſchauen konnte, erblickte er ſich in einem un¬ bekannten, ſchönen und reichen Zimmer. Die Mor¬ genſonne ſchien auf die ſeidenen Vorhänge ſeines Bettes; ſein Kopf war verbunden. Zu den Füßen des Bettes kniete ein ſchöner Knabe, der den Kopf auf beyde Arme an das Bett gelehnt hatte und ſchlief. Friedrich wußte ſich in dieſe Verwandlungen nicht zu finden. Er ſann nach, was mit ihm vor¬ gegangen war. Aber nur die fürchterliche Nacht in der Waldmühle mit ihren Mordgeſichtern ſtand leb¬ haft vor ihm, alles übrige ſchien wie ein ſchwerer Traum. Verſchiedene fremde Geſtalten aus dieſer lezten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich, aber er konnte keine unterſcheiden. Nur eine einzige un¬ gewiſſe Vorſtellung blieb ihm lieblich getreu. Es war ihm nemlich immer vorgekommen, als hätte ſich ein wunderſchönes Engelsbild über ihn geneigt, ſo daß ihn die langen, reichen Locken rings umga¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/34
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/34>, abgerufen am 23.11.2024.