Er lebt! rief Julie ausser sich vor Freude und stürz¬ te dem Manne um den Hals. --
Hatt' ich schon vorher draussen in dem Frem¬ den sogleich einen von jenen poetischen Jüngern er¬ kannt, die's niemals zum Meister oder überhaupt zu einem Manne bringen, so kam mir jetzt der hagere, blasse Poet neben der gesunden Julie, die unterdeß so wunderbar hoch geworden war, und deren große Augen in diesem Augenblicke vor Freu¬ de ordentliche Strahlen warfen, gar erbärmlich vor. Mir kamen die Verse aus Göthe's Fischerin zwischen die Zähne:
Wer soll Bräutigam seyn?
Zaunkönig soll Bräutigam seyn! Zaunkönig sprach zu ihnen Hinwieder den Beyden: Ich bin ein sehr kleiner Kerl, Kann nicht Bräutigam seyn, Ich kann nicht der Bräutigam seyn!
Ich schwang mich sogleich wieder über den Gartenzaun, band mein Pferd los und gieng, es hinter mir herführend, aus dem Dorfe hinaus.
Da kam ich am anderen Ende desselben an dem kleinen Häuschen Viktors vorüber. Ich guckte ihm ins Fenster hinein, das, wie Du weißt, im Som¬ mer Tag und Nacht offen steht. Er saß eben, mit dem Rücken gegen das Fenster, über einem alten dicken Buche, den Kopf in die Hand gestützt. Das Licht auf dem Tische flackerte ungewiß umher, die
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Er lebt! rief Julie auſſer ſich vor Freude und ſtürz¬ te dem Manne um den Hals. —
Hatt' ich ſchon vorher drauſſen in dem Frem¬ den ſogleich einen von jenen poetiſchen Jüngern er¬ kannt, die's niemals zum Meiſter oder überhaupt zu einem Manne bringen, ſo kam mir jetzt der hagere, blaſſe Poet neben der geſunden Julie, die unterdeß ſo wunderbar hoch geworden war, und deren große Augen in dieſem Augenblicke vor Freu¬ de ordentliche Strahlen warfen, gar erbärmlich vor. Mir kamen die Verſe aus Göthe's Fiſcherin zwiſchen die Zähne:
Wer ſoll Bräutigam ſeyn?
Zaunkönig ſoll Bräutigam ſeyn! Zaunkönig ſprach zu ihnen Hinwieder den Beyden: Ich bin ein ſehr kleiner Kerl, Kann nicht Bräutigam ſeyn, Ich kann nicht der Bräutigam ſeyn!
Ich ſchwang mich ſogleich wieder über den Gartenzaun, band mein Pferd los und gieng, es hinter mir herführend, aus dem Dorfe hinaus.
Da kam ich am anderen Ende deſſelben an dem kleinen Häuschen Viktors vorüber. Ich guckte ihm ins Fenſter hinein, das, wie Du weißt, im Som¬ mer Tag und Nacht offen ſteht. Er ſaß eben, mit dem Rücken gegen das Fenſter, über einem alten dicken Buche, den Kopf in die Hand geſtützt. Das Licht auf dem Tiſche flackerte ungewiß umher, die
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Er lebt! rief Julie auſſer ſich vor Freude und ſtürz¬
te dem Manne um den Hals. —
Hatt' ich ſchon vorher drauſſen in dem Frem¬
den ſogleich einen von jenen poetiſchen Jüngern er¬
kannt, die's niemals zum Meiſter oder überhaupt
zu einem Manne bringen, ſo kam mir jetzt der
hagere, blaſſe Poet neben der geſunden Julie, die
unterdeß ſo wunderbar hoch geworden war, und
deren große Augen in dieſem Augenblicke vor Freu¬
de ordentliche Strahlen warfen, gar erbärmlich vor.
Mir kamen die Verſe aus Göthe's Fiſcherin zwiſchen
die Zähne:
Wer ſoll Bräutigam ſeyn?
Zaunkönig ſoll Bräutigam ſeyn!
Zaunkönig ſprach zu ihnen
Hinwieder den Beyden:
Ich bin ein ſehr kleiner Kerl,
Kann nicht Bräutigam ſeyn,
Ich kann nicht der Bräutigam ſeyn!
Ich ſchwang mich ſogleich wieder über den
Gartenzaun, band mein Pferd los und gieng, es
hinter mir herführend, aus dem Dorfe hinaus.
Da kam ich am anderen Ende deſſelben an dem
kleinen Häuschen Viktors vorüber. Ich guckte ihm
ins Fenſter hinein, das, wie Du weißt, im Som¬
mer Tag und Nacht offen ſteht. Er ſaß eben, mit
dem Rücken gegen das Fenſter, über einem alten
dicken Buche, den Kopf in die Hand geſtützt. Das
Licht auf dem Tiſche flackerte ungewiß umher, die
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/375>, abgerufen am 23.11.2024.
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