fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht zu stören, aber es war nur der einzige Weg und der Unbekannte hatte ihn auch schon erblickt. Er gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬ ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, sagte er halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie selbst Alexander der Große wären, so müßt' ich Sie für jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen. Friedrich verwunderte sich höchlichst über diesen unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬ sellen sitzen, der sogleich wieder anfieng zu schrei¬ ben.
Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an den ein lustiges Wäldchen von Laubholz stieß. An dem Saume des Waldes stand ein Jägerhaus, das ringsum mit Hirschgeweihen ausgeziert war. Auf einer kleinen Wiese, welche vor dem Hause mitten zwischen dem Walde lag, saß ein schönes, kaum fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es schien, so eben erlegtem Rehe, streichelte das todte Thierchen und sang:
Wär' ich ein muntres Hirschlein schlank,
Wollt' ich im grünen Walde geh'n, Spazieren geh'n bey Hörnerklang, Nach meinem Liebsten mich umseh'n.
Ein junger Jäger, der seitwärts an einem Baume gelehnt stand und ihren Gesang mit dem Waldhorne begleitete, antwortete ihr sogleich nach derselben Melodie:
Nach
fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht zu ſtören, aber es war nur der einzige Weg und der Unbekannte hatte ihn auch ſchon erblickt. Er gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬ ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, ſagte er halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie ſelbſt Alexander der Große wären, ſo müßt' ich Sie für jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen. Friedrich verwunderte ſich höchlichſt über dieſen unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬ ſellen ſitzen, der ſogleich wieder anfieng zu ſchrei¬ ben.
Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an den ein luſtiges Wäldchen von Laubholz ſtieß. An dem Saume des Waldes ſtand ein Jägerhaus, das ringsum mit Hirſchgeweihen ausgeziert war. Auf einer kleinen Wieſe, welche vor dem Hauſe mitten zwiſchen dem Walde lag, ſaß ein ſchönes, kaum fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es ſchien, ſo eben erlegtem Rehe, ſtreichelte das todte Thierchen und ſang:
Wär' ich ein muntres Hirſchlein ſchlank,
Wollt' ich im grünen Walde geh'n, Spazieren geh'n bey Hörnerklang, Nach meinem Liebſten mich umſeh'n.
Ein junger Jäger, der ſeitwärts an einem Baume gelehnt ſtand und ihren Geſang mit dem Waldhorne begleitete, antwortete ihr ſogleich nach derſelben Melodie:
Nach
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0038"n="32"/>
fort. <hirendition="#g">Friedrich</hi> wollte ausweichen, um ihn nicht<lb/>
zu ſtören, aber es war nur der einzige Weg und<lb/>
der Unbekannte hatte ihn auch ſchon erblickt. Er<lb/>
gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der<lb/>
Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬<lb/>
ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, ſagte er<lb/>
halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie ſelbſt<lb/>
Alexander der Große wären, ſo müßt' ich Sie für<lb/>
jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen.<lb/><hirendition="#g">Friedrich</hi> verwunderte ſich höchlichſt über dieſen<lb/>
unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬<lb/>ſellen ſitzen, der ſogleich wieder anfieng zu ſchrei¬<lb/>
ben.</p><lb/><p>Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an<lb/>
den ein luſtiges Wäldchen von Laubholz ſtieß. An<lb/>
dem Saume des Waldes ſtand ein Jägerhaus, das<lb/>
ringsum mit Hirſchgeweihen ausgeziert war. Auf<lb/>
einer kleinen Wieſe, welche vor dem Hauſe mitten<lb/>
zwiſchen dem Walde lag, ſaß ein ſchönes, kaum<lb/>
fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es<lb/>ſchien, ſo eben erlegtem Rehe, ſtreichelte das todte<lb/>
Thierchen und ſang:</p><lb/><lgtype="poem"><lrendition="#et">Wär' ich ein muntres Hirſchlein ſchlank,</l><lb/><l>Wollt' ich im grünen Walde geh'n,</l><lb/><l>Spazieren geh'n bey Hörnerklang,</l><lb/><l>Nach meinem Liebſten mich umſeh'n.</l><lb/></lg><p>Ein junger Jäger, der ſeitwärts an einem<lb/>
Baume gelehnt ſtand und ihren Geſang mit dem<lb/>
Waldhorne begleitete, antwortete ihr ſogleich nach<lb/>
derſelben Melodie:</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nach<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[32/0038]
fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht
zu ſtören, aber es war nur der einzige Weg und
der Unbekannte hatte ihn auch ſchon erblickt. Er
gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der
Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬
ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, ſagte er
halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie ſelbſt
Alexander der Große wären, ſo müßt' ich Sie für
jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen.
Friedrich verwunderte ſich höchlichſt über dieſen
unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬
ſellen ſitzen, der ſogleich wieder anfieng zu ſchrei¬
ben.
Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an
den ein luſtiges Wäldchen von Laubholz ſtieß. An
dem Saume des Waldes ſtand ein Jägerhaus, das
ringsum mit Hirſchgeweihen ausgeziert war. Auf
einer kleinen Wieſe, welche vor dem Hauſe mitten
zwiſchen dem Walde lag, ſaß ein ſchönes, kaum
fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es
ſchien, ſo eben erlegtem Rehe, ſtreichelte das todte
Thierchen und ſang:
Wär' ich ein muntres Hirſchlein ſchlank,
Wollt' ich im grünen Walde geh'n,
Spazieren geh'n bey Hörnerklang,
Nach meinem Liebſten mich umſeh'n.
Ein junger Jäger, der ſeitwärts an einem
Baume gelehnt ſtand und ihren Geſang mit dem
Waldhorne begleitete, antwortete ihr ſogleich nach
derſelben Melodie:
Nach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/38>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.