Mitten unter den Narren saß Rudolph auf er¬ nem umgefallenen Baumstamme, den Kopf vornhin in beyde Arme auf die Kniee gestützt. Er war ohne Hut und sah sehr blaß. Mit Verwunderung hörten sie, wie er mit ihnen allen in ein lebhaftes Gespräch vertieft war. Er wußte dem Wahnsinn eines jeden eine Tiefe und Bedeutung zu geben, über welche sie erstaunten, und je verrückter die Narren sprachen, je witziger und ausgelassener wur¬ de er in seinem wunderlichen Humor. Aber sein Witz war scharf ohne Heiterkeit, wie Dissonanzen einer großen, zerstörten Musik, die keinen Einklang finden können oder mögen.
Leontin, der aufmerksam zugehört hatte, war es durchaus unmöglich, das wilde Spiel länger zu ertragen. Er hielt sich nicht mehr, riß mit Gewalt durch das Dickicht und eilte auf Rudolphen zu Rudolph, durch sein Gespräch exaltirt, sprang über der plötzlichen, unerwarteten Erscheinung rasch auf und riß dem verrückten Ritter, der neben ihm saß, den Degen aus der Scheide. So mit dem Degen aufgerichtet, sah der lange Mann mit seinen ver¬ worrenen Haaren und bleichem Gesichte fast Gespen¬ sterartig aus. Beyde hieben in demselben Augen¬ blicke wüthend aufeinander ein, denn Leontin gieng unter diesen Verrückten nicht unbewaffnet aus. Ein Strom von Blut drang plötzlich aus Rudolphs Arme und machte der seltsamen Verblendung ein Ende. Alles dieses war das Wert eines Augen¬ blicks.
Mitten unter den Narren ſaß Rudolph auf er¬ nem umgefallenen Baumſtamme, den Kopf vornhin in beyde Arme auf die Kniee geſtützt. Er war ohne Hut und ſah ſehr blaß. Mit Verwunderung hörten ſie, wie er mit ihnen allen in ein lebhaftes Geſpräch vertieft war. Er wußte dem Wahnſinn eines jeden eine Tiefe und Bedeutung zu geben, über welche ſie erſtaunten, und je verrückter die Narren ſprachen, je witziger und ausgelaſſener wur¬ de er in ſeinem wunderlichen Humor. Aber ſein Witz war ſcharf ohne Heiterkeit, wie Diſſonanzen einer großen, zerſtörten Muſik, die keinen Einklang finden können oder mögen.
Leontin, der aufmerkſam zugehört hatte, war es durchaus unmöglich, das wilde Spiel länger zu ertragen. Er hielt ſich nicht mehr, riß mit Gewalt durch das Dickicht und eilte auf Rudolphen zu Rudolph, durch ſein Geſpräch exaltirt, ſprang über der plötzlichen, unerwarteten Erſcheinung raſch auf und riß dem verrückten Ritter, der neben ihm ſaß, den Degen aus der Scheide. So mit dem Degen aufgerichtet, ſah der lange Mann mit ſeinen ver¬ worrenen Haaren und bleichem Geſichte faſt Geſpen¬ ſterartig aus. Beyde hieben in demſelben Augen¬ blicke wüthend aufeinander ein, denn Leontin gieng unter dieſen Verrückten nicht unbewaffnet aus. Ein Strom von Blut drang plötzlich aus Rudolphs Arme und machte der ſeltſamen Verblendung ein Ende. Alles dieſes war das Wert eines Augen¬ blicks.
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Mitten unter den Narren ſaß Rudolph auf er¬
nem umgefallenen Baumſtamme, den Kopf vornhin
in beyde Arme auf die Kniee geſtützt. Er war
ohne Hut und ſah ſehr blaß. Mit Verwunderung
hörten ſie, wie er mit ihnen allen in ein lebhaftes
Geſpräch vertieft war. Er wußte dem Wahnſinn
eines jeden eine Tiefe und Bedeutung zu geben,
über welche ſie erſtaunten, und je verrückter die
Narren ſprachen, je witziger und ausgelaſſener wur¬
de er in ſeinem wunderlichen Humor. Aber ſein
Witz war ſcharf ohne Heiterkeit, wie Diſſonanzen
einer großen, zerſtörten Muſik, die keinen Einklang
finden können oder mögen.
Leontin, der aufmerkſam zugehört hatte, war
es durchaus unmöglich, das wilde Spiel länger zu
ertragen. Er hielt ſich nicht mehr, riß mit Gewalt
durch das Dickicht und eilte auf Rudolphen zu
Rudolph, durch ſein Geſpräch exaltirt, ſprang über
der plötzlichen, unerwarteten Erſcheinung raſch auf
und riß dem verrückten Ritter, der neben ihm ſaß,
den Degen aus der Scheide. So mit dem Degen
aufgerichtet, ſah der lange Mann mit ſeinen ver¬
worrenen Haaren und bleichem Geſichte faſt Geſpen¬
ſterartig aus. Beyde hieben in demſelben Augen¬
blicke wüthend aufeinander ein, denn Leontin gieng
unter dieſen Verrückten nicht unbewaffnet aus. Ein
Strom von Blut drang plötzlich aus Rudolphs
Arme und machte der ſeltſamen Verblendung ein
Ende. Alles dieſes war das Wert eines Augen¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/419>, abgerufen am 23.11.2024.
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