her noch im letzten Augenblick von neuem schüchtern und halbunschlüssig; sie weinte und fiel mir um den Hals. Ich faßte sie endlich um den Leib und trug sie in den Kahn, den ich im Golf bereit hielt. Ich stieß schnell vom Ufer ab, das Seegel schwoll im lauen Winde, der Halbkreis der erleuchteten Fenster versank allmählig hinter uns und wir befanden uns allein auf der stillen, unermeßlichen Fläche.
Die Liebe hatte sie nun ganz in meine Gewalt gegeben. Sie wurde nun ruhig. Innerlichst fröh¬ lich, aber still, saß sie fest an mich gedrückt und sah mit den weitoffnen, sinnigen Augen unverwandt ins Meer hinaus. Ich bemerkte, daß sie oft heimlich zusammenschauerte, bis sie, endlich ermüdet ein¬ schlummerte.
Da rauschte plötzlich ein Kahn mit mehreren Leuten und Fackelschein vorüber nach Venedig zu. Der eine von ihnen schwang eben seine Fackel und ich erblickte bey dem flüchtigen Scheine den unbe¬ kannten, wunderbar mit mir verknüpften Fremden wieder, der mitten im Kahne aufrecht stand. Ich fuhr unwillkührlich bey dem Anblick zusammen, und höchstseltsam, obschon die ganze Erscheinung ohne das mindeste Geräusch vorübergeglitten war, so wachte doch Angelina in demselben Augenblicke von selber auf und sagte mir erschrocken, es habe ihr etwas fürchterliches geträumt, sie wisse sich nun aber nicht mehr darauf zu besinnen. Ich beruhigte sie, und sagte ihr nichts von dem Begegniß, worauf sie denn bald von neuem einschlief.
her noch im letzten Augenblick von neuem ſchüchtern und halbunſchlüſſig; ſie weinte und fiel mir um den Hals. Ich faßte ſie endlich um den Leib und trug ſie in den Kahn, den ich im Golf bereit hielt. Ich ſtieß ſchnell vom Ufer ab, das Seegel ſchwoll im lauen Winde, der Halbkreis der erleuchteten Fenſter verſank allmählig hinter uns und wir befanden uns allein auf der ſtillen, unermeßlichen Fläche.
Die Liebe hatte ſie nun ganz in meine Gewalt gegeben. Sie wurde nun ruhig. Innerlichſt fröh¬ lich, aber ſtill, ſaß ſie feſt an mich gedrückt und ſah mit den weitoffnen, ſinnigen Augen unverwandt ins Meer hinaus. Ich bemerkte, daß ſie oft heimlich zuſammenſchauerte, bis ſie, endlich ermüdet ein¬ ſchlummerte.
Da rauſchte plötzlich ein Kahn mit mehreren Leuten und Fackelſchein vorüber nach Venedig zu. Der eine von ihnen ſchwang eben ſeine Fackel und ich erblickte bey dem flüchtigen Scheine den unbe¬ kannten, wunderbar mit mir verknüpften Fremden wieder, der mitten im Kahne aufrecht ſtand. Ich fuhr unwillkührlich bey dem Anblick zuſammen, und höchſtſeltſam, obſchon die ganze Erſcheinung ohne das mindeſte Geräuſch vorübergeglitten war, ſo wachte doch Angelina in demſelben Augenblicke von ſelber auf und ſagte mir erſchrocken, es habe ihr etwas fürchterliches geträumt, ſie wiſſe ſich nun aber nicht mehr darauf zu beſinnen. Ich beruhigte ſie, und ſagte ihr nichts von dem Begegniß, worauf ſie denn bald von neuem einſchlief.
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her noch im letzten Augenblick von neuem ſchüchtern
und halbunſchlüſſig; ſie weinte und fiel mir um den
Hals. Ich faßte ſie endlich um den Leib und trug
ſie in den Kahn, den ich im Golf bereit hielt. Ich
ſtieß ſchnell vom Ufer ab, das Seegel ſchwoll im
lauen Winde, der Halbkreis der erleuchteten Fenſter
verſank allmählig hinter uns und wir befanden uns
allein auf der ſtillen, unermeßlichen Fläche.
Die Liebe hatte ſie nun ganz in meine Gewalt
gegeben. Sie wurde nun ruhig. Innerlichſt fröh¬
lich, aber ſtill, ſaß ſie feſt an mich gedrückt und ſah
mit den weitoffnen, ſinnigen Augen unverwandt ins
Meer hinaus. Ich bemerkte, daß ſie oft heimlich
zuſammenſchauerte, bis ſie, endlich ermüdet ein¬
ſchlummerte.
Da rauſchte plötzlich ein Kahn mit mehreren
Leuten und Fackelſchein vorüber nach Venedig zu.
Der eine von ihnen ſchwang eben ſeine Fackel und
ich erblickte bey dem flüchtigen Scheine den unbe¬
kannten, wunderbar mit mir verknüpften Fremden
wieder, der mitten im Kahne aufrecht ſtand. Ich
fuhr unwillkührlich bey dem Anblick zuſammen, und
höchſtſeltſam, obſchon die ganze Erſcheinung ohne
das mindeſte Geräuſch vorübergeglitten war, ſo
wachte doch Angelina in demſelben Augenblicke von
ſelber auf und ſagte mir erſchrocken, es habe ihr
etwas fürchterliches geträumt, ſie wiſſe ſich nun aber
nicht mehr darauf zu beſinnen. Ich beruhigte ſie,
und ſagte ihr nichts von dem Begegniß, worauf ſie
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/432>, abgerufen am 23.11.2024.
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