Ein lauter Freudenschrey entfuhr ihrer Brust, als sie nach einigen Stunden die hellen Augen auf¬ schlug, denn die Sonne gieng eben prächtig über der Küste von Italien auf, die in duftigem Wun¬ derglanze vor uns da lag. Es war der erste über¬ schwengliche Blick des jungen Gemüthes in das freye, lüsternlockende, reiche, noch ungewisse Leben. Wir stiegen nun ans Land und setzten unsere Reise zu Pferde gen Rom fort. Dieses Ziehen in den blauen, lieblichen Tagen über grüne Berge, Thäler und Flüsse, rollt sich noch jetzt blendend vor meiner Erinnerung auf, wie ein mit prächtigglänzenden, wunderbaren Blumen gestickter Teppich, auf dem ich mich selbst als lustige Figur mit buntgeflickter Narrenjacke erblicke.
In Rom nisteten wir uns in einem entlegenen Quartiere der Stadt ein, wo uns niemand bemerkte. Wir führten einen gar wunderlichen, ziemlich unor¬ dentlichen Haushalt miteinander, denn Angelina ge¬ wöhnte sich sehr bald auch an das freye, sorglose Künstler-Wesen. Sie hatte, gleich, als wir ans Land stiegen, Mannskleider anlegen müssen, um nicht erkannt zu werden, und ich gab sie so für meinen Vetter aus. Die Tracht, in der sie mich nun auch frey auf allen Spaziergängen begleitete, stand ihr sehr niedlich; sie sah oft aus wie Correg¬ gio's Bogenschütz. Sie mußte mir oft zum Modell sitzen, und sie that es gern, denn sie wußte wohl, wie schön sie war. Damals wurden meine Gemähl¬
Ein lauter Freudenſchrey entfuhr ihrer Bruſt, als ſie nach einigen Stunden die hellen Augen auf¬ ſchlug, denn die Sonne gieng eben prächtig über der Küſte von Italien auf, die in duftigem Wun¬ derglanze vor uns da lag. Es war der erſte über¬ ſchwengliche Blick des jungen Gemüthes in das freye, lüſternlockende, reiche, noch ungewiſſe Leben. Wir ſtiegen nun ans Land und ſetzten unſere Reiſe zu Pferde gen Rom fort. Dieſes Ziehen in den blauen, lieblichen Tagen über grüne Berge, Thäler und Flüſſe, rollt ſich noch jetzt blendend vor meiner Erinnerung auf, wie ein mit prächtigglänzenden, wunderbaren Blumen geſtickter Teppich, auf dem ich mich ſelbſt als luſtige Figur mit buntgeflickter Narrenjacke erblicke.
In Rom niſteten wir uns in einem entlegenen Quartiere der Stadt ein, wo uns niemand bemerkte. Wir führten einen gar wunderlichen, ziemlich unor¬ dentlichen Haushalt miteinander, denn Angelina ge¬ wöhnte ſich ſehr bald auch an das freye, ſorgloſe Künſtler-Weſen. Sie hatte, gleich, als wir ans Land ſtiegen, Mannskleider anlegen müſſen, um nicht erkannt zu werden, und ich gab ſie ſo für meinen Vetter aus. Die Tracht, in der ſie mich nun auch frey auf allen Spaziergängen begleitete, ſtand ihr ſehr niedlich; ſie ſah oft aus wie Correg¬ gio's Bogenſchütz. Sie mußte mir oft zum Modell ſitzen, und ſie that es gern, denn ſie wußte wohl, wie ſchön ſie war. Damals wurden meine Gemähl¬
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Ein lauter Freudenſchrey entfuhr ihrer Bruſt,
als ſie nach einigen Stunden die hellen Augen auf¬
ſchlug, denn die Sonne gieng eben prächtig über
der Küſte von Italien auf, die in duftigem Wun¬
derglanze vor uns da lag. Es war der erſte über¬
ſchwengliche Blick des jungen Gemüthes in das
freye, lüſternlockende, reiche, noch ungewiſſe Leben.
Wir ſtiegen nun ans Land und ſetzten unſere Reiſe
zu Pferde gen Rom fort. Dieſes Ziehen in den
blauen, lieblichen Tagen über grüne Berge, Thäler
und Flüſſe, rollt ſich noch jetzt blendend vor meiner
Erinnerung auf, wie ein mit prächtigglänzenden,
wunderbaren Blumen geſtickter Teppich, auf dem
ich mich ſelbſt als luſtige Figur mit buntgeflickter
Narrenjacke erblicke.
In Rom niſteten wir uns in einem entlegenen
Quartiere der Stadt ein, wo uns niemand bemerkte.
Wir führten einen gar wunderlichen, ziemlich unor¬
dentlichen Haushalt miteinander, denn Angelina ge¬
wöhnte ſich ſehr bald auch an das freye, ſorgloſe
Künſtler-Weſen. Sie hatte, gleich, als wir ans
Land ſtiegen, Mannskleider anlegen müſſen, um
nicht erkannt zu werden, und ich gab ſie ſo für
meinen Vetter aus. Die Tracht, in der ſie mich
nun auch frey auf allen Spaziergängen begleitete,
ſtand ihr ſehr niedlich; ſie ſah oft aus wie Correg¬
gio's Bogenſchütz. Sie mußte mir oft zum Modell
ſitzen, und ſie that es gern, denn ſie wußte wohl,
wie ſchön ſie war. Damals wurden meine Gemähl¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/433>, abgerufen am 23.11.2024.
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