Friedrich'n erblickte, ließ sie mit einem Schrey die Arme sinken, schlug das Fenster zu und war verschwunden.
Leontin gieng nun fort, um ein neues Pferd der Schwester im Hofe herumzutummeln und Friedrich blieb allein im Garten zurück.
Bald darauf kam die Gräfin Rosa in einem weißen Morgenkleide herab. Sie hieß den Grafen mit einer Schaam willkommen, die ihr unwidersteh¬ lich schön stand. Lange, dunkle Locken fielen zu beyden Seiten bis auf die Schultern und den blen¬ dendweißen Busen hinab. Die schönste Reihe von Zähnen sah man manchmal zwischen den vollen ro¬ then Lippen hervorschimmern. Sie athmete noch warm von der Nacht; es war die prächtigste Schönheit, die Friedrich jemals gesehen hatte. Sie giengen nebeneinander in den Garten hinein. Der Morgen blizte herrlich über die ganze Gegend, aus allen Zweigen jubelten unzählige Vögel. Sie sezten sich in einer dichten Laube auf eine Rasen¬ bank. Friedrich dankte ihr für ihr hülfreiches Mitleid und sprach dann von seiner schönen Donau- Reise. Die Gräfin saß, während er davon erzähl¬ te, beschämt und still, hatte die langen Augen¬ wimper niedergeschlagen, und wagte kaum zu ath¬ men. Als er endlich auch seiner Wunde erwähnte, schlug sie auf einmal die großen schönen Augen auf, um die Wunde zu betrachten. Ihre Augen, Locken und Busen kamen ihm dabey so nahe, daß sich ihre Lippen fast berührten. Er küßte sie auf den rothen
Friedrich'n erblickte, ließ ſie mit einem Schrey die Arme ſinken, ſchlug das Fenſter zu und war verſchwunden.
Leontin gieng nun fort, um ein neues Pferd der Schweſter im Hofe herumzutummeln und Friedrich blieb allein im Garten zurück.
Bald darauf kam die Gräfin Roſa in einem weißen Morgenkleide herab. Sie hieß den Grafen mit einer Schaam willkommen, die ihr unwiderſteh¬ lich ſchön ſtand. Lange, dunkle Locken fielen zu beyden Seiten bis auf die Schultern und den blen¬ dendweißen Buſen hinab. Die ſchönſte Reihe von Zähnen ſah man manchmal zwiſchen den vollen ro¬ then Lippen hervorſchimmern. Sie athmete noch warm von der Nacht; es war die prächtigſte Schönheit, die Friedrich jemals geſehen hatte. Sie giengen nebeneinander in den Garten hinein. Der Morgen blizte herrlich über die ganze Gegend, aus allen Zweigen jubelten unzählige Vögel. Sie ſezten ſich in einer dichten Laube auf eine Raſen¬ bank. Friedrich dankte ihr für ihr hülfreiches Mitleid und ſprach dann von ſeiner ſchönen Donau- Reiſe. Die Gräfin ſaß, während er davon erzähl¬ te, beſchämt und ſtill, hatte die langen Augen¬ wimper niedergeſchlagen, und wagte kaum zu ath¬ men. Als er endlich auch ſeiner Wunde erwähnte, ſchlug ſie auf einmal die großen ſchönen Augen auf, um die Wunde zu betrachten. Ihre Augen, Locken und Buſen kamen ihm dabey ſo nahe, daß ſich ihre Lippen faſt berührten. Er küßte ſie auf den rothen
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Friedrich'n erblickte, ließ ſie mit einem Schrey
die Arme ſinken, ſchlug das Fenſter zu und war
verſchwunden.
Leontin gieng nun fort, um ein neues Pferd
der Schweſter im Hofe herumzutummeln und
Friedrich blieb allein im Garten zurück.
Bald darauf kam die Gräfin Roſa in einem
weißen Morgenkleide herab. Sie hieß den Grafen
mit einer Schaam willkommen, die ihr unwiderſteh¬
lich ſchön ſtand. Lange, dunkle Locken fielen zu
beyden Seiten bis auf die Schultern und den blen¬
dendweißen Buſen hinab. Die ſchönſte Reihe von
Zähnen ſah man manchmal zwiſchen den vollen ro¬
then Lippen hervorſchimmern. Sie athmete noch
warm von der Nacht; es war die prächtigſte
Schönheit, die Friedrich jemals geſehen hatte.
Sie giengen nebeneinander in den Garten hinein.
Der Morgen blizte herrlich über die ganze Gegend,
aus allen Zweigen jubelten unzählige Vögel. Sie
ſezten ſich in einer dichten Laube auf eine Raſen¬
bank. Friedrich dankte ihr für ihr hülfreiches
Mitleid und ſprach dann von ſeiner ſchönen Donau-
Reiſe. Die Gräfin ſaß, während er davon erzähl¬
te, beſchämt und ſtill, hatte die langen Augen¬
wimper niedergeſchlagen, und wagte kaum zu ath¬
men. Als er endlich auch ſeiner Wunde erwähnte,
ſchlug ſie auf einmal die großen ſchönen Augen auf,
um die Wunde zu betrachten. Ihre Augen, Locken
und Buſen kamen ihm dabey ſo nahe, daß ſich ihre
Lippen faſt berührten. Er küßte ſie auf den rothen
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/45>, abgerufen am 23.11.2024.
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