Der Winter war vergangen, die schöne Früh¬ lingszeit ließ die Ströme los und schlug weit und breit ihr liebliches Reich wieder auf, da erblickte Friedrich eines Morgens, da er eben von der Höhe schaute, unten in der Ferne zwey Reiter, die über die grünen Matten hinzogen. Sie verschwanden bald hinter den Bäumen, bald erschienen sie wieder auf einen Augenblick, bis sie Friedrich endlich in dem Walde völlig aus dem Gesichte verlohr.
Er wollte nach einiger Zeit eben wieder in das Schloß zurückkehren, als die beyden Reiter plötzlich vor ihm aus dem Walde den Berg heraufkamen. Er erkannte sogleich seinen Leontin. Sein Beglei¬ ter, ein feiner, junger Jäger, sprang ebenfalls vom Pferde und kam auf ihn zu.
Setzen wir uns, sagte Leontin gleich nach der ersten Begrüssung munter; ich habe Dir viel zu sagen. Vor allem: kennst Du den? Hiebey hob er dem Jäger den Hut aus der Stirne, und Frie¬ drich erkannte mit Erstaunen die schöne Julie, die in dieser Verkleidung mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stand. Wir sind auf einer großen Reise begriffen, sagte er darauf. Die Jungfrau Europa, die so hochherzig mit ihren ausgebreiteten Armen dastand, als wolle sie die ganze Welt umspan¬ nen, hat die alten, sinnreichen, frommen, schönen Sitten abgelegt und ist eine Metze geworden. Sie buhlt frey mit dem gesunden Menschenverstande,
Der Winter war vergangen, die ſchöne Früh¬ lingszeit ließ die Ströme los und ſchlug weit und breit ihr liebliches Reich wieder auf, da erblickte Friedrich eines Morgens, da er eben von der Höhe ſchaute, unten in der Ferne zwey Reiter, die über die grünen Matten hinzogen. Sie verſchwanden bald hinter den Bäumen, bald erſchienen ſie wieder auf einen Augenblick, bis ſie Friedrich endlich in dem Walde völlig aus dem Geſichte verlohr.
Er wollte nach einiger Zeit eben wieder in das Schloß zurückkehren, als die beyden Reiter plötzlich vor ihm aus dem Walde den Berg heraufkamen. Er erkannte ſogleich ſeinen Leontin. Sein Beglei¬ ter, ein feiner, junger Jäger, ſprang ebenfalls vom Pferde und kam auf ihn zu.
Setzen wir uns, ſagte Leontin gleich nach der erſten Begrüſſung munter; ich habe Dir viel zu ſagen. Vor allem: kennſt Du den? Hiebey hob er dem Jäger den Hut aus der Stirne, und Frie¬ drich erkannte mit Erſtaunen die ſchöne Julie, die in dieſer Verkleidung mit niedergeſchlagenen Augen vor ihm ſtand. Wir ſind auf einer großen Reiſe begriffen, ſagte er darauf. Die Jungfrau Europa, die ſo hochherzig mit ihren ausgebreiteten Armen daſtand, als wolle ſie die ganze Welt umſpan¬ nen, hat die alten, ſinnreichen, frommen, ſchönen Sitten abgelegt und iſt eine Metze geworden. Sie buhlt frey mit dem geſunden Menſchenverſtande,
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Der Winter war vergangen, die ſchöne Früh¬
lingszeit ließ die Ströme los und ſchlug weit und
breit ihr liebliches Reich wieder auf, da erblickte
Friedrich eines Morgens, da er eben von der Höhe
ſchaute, unten in der Ferne zwey Reiter, die über
die grünen Matten hinzogen. Sie verſchwanden
bald hinter den Bäumen, bald erſchienen ſie wieder
auf einen Augenblick, bis ſie Friedrich endlich in
dem Walde völlig aus dem Geſichte verlohr.
Er wollte nach einiger Zeit eben wieder in das
Schloß zurückkehren, als die beyden Reiter plötzlich
vor ihm aus dem Walde den Berg heraufkamen.
Er erkannte ſogleich ſeinen Leontin. Sein Beglei¬
ter, ein feiner, junger Jäger, ſprang ebenfalls vom
Pferde und kam auf ihn zu.
Setzen wir uns, ſagte Leontin gleich nach der
erſten Begrüſſung munter; ich habe Dir viel zu
ſagen. Vor allem: kennſt Du den? Hiebey hob
er dem Jäger den Hut aus der Stirne, und Frie¬
drich erkannte mit Erſtaunen die ſchöne Julie, die
in dieſer Verkleidung mit niedergeſchlagenen Augen
vor ihm ſtand. Wir ſind auf einer großen Reiſe
begriffen, ſagte er darauf. Die Jungfrau Europa,
die ſo hochherzig mit ihren ausgebreiteten Armen
daſtand, als wolle ſie die ganze Welt umſpan¬
nen, hat die alten, ſinnreichen, frommen, ſchönen
Sitten abgelegt und iſt eine Metze geworden. Sie
buhlt frey mit dem geſunden Menſchenverſtande,
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/459>, abgerufen am 24.11.2024.
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