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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar so
leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt,
aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬
len Jahren schon in Lust empfangen, dann wie in
Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt
und gebildet wird, ehe es aus seinem stillen Hause
das fröhliche Licht des Tages begrüßt. -- Das ist
ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin
munter, wäre ich so eine schwangere Frau, als Sie
da sagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine,
vor dem Spiegel über mich selber zu Tode, eh' ich
mit dem ersten Verse niederkäme. -- Hier erblickte
er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktasche
hervorragte; eines davon war: " an die Deut¬
schen," überschrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬
zulesen. Faber zog es heraus und las es. Das
Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum
Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬
schen Ehre. Leontin sowohl als Friedrich er¬
staunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe
der Romanze und fühlten sich wahrhaft erbaut.
Wer sollte es glauben, sagte Leontin, daß Herr
Faber diese Romanze zu eben der Zeit verfertiget
hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die
Franzosen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber
nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las
ihnen ein Gedicht vor, in welchem er sich selber mit
höchst komischer Laune in diesem seinen feigherzigen
Widerspruche darstellte, worin aber mitten durch
die lustigen Scherze ein tiefer Ernst wie mit gro¬
ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬

wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar ſo
leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt,
aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬
len Jahren ſchon in Luſt empfangen, dann wie in
Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt
und gebildet wird, ehe es aus ſeinem ſtillen Hauſe
das fröhliche Licht des Tages begrüßt. — Das iſt
ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin
munter, wäre ich ſo eine ſchwangere Frau, als Sie
da ſagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine,
vor dem Spiegel über mich ſelber zu Tode, eh' ich
mit dem erſten Verſe niederkäme. — Hier erblickte
er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktaſche
hervorragte; eines davon war: „ an die Deut¬
ſchen,“ überſchrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬
zuleſen. Faber zog es heraus und las es. Das
Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum
Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬
ſchen Ehre. Leontin ſowohl als Friedrich er¬
ſtaunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe
der Romanze und fühlten ſich wahrhaft erbaut.
Wer ſollte es glauben, ſagte Leontin, daß Herr
Faber dieſe Romanze zu eben der Zeit verfertiget
hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die
Franzoſen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber
nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las
ihnen ein Gedicht vor, in welchem er ſich ſelber mit
höchſt komiſcher Laune in dieſem ſeinen feigherzigen
Widerſpruche darſtellte, worin aber mitten durch
die luſtigen Scherze ein tiefer Ernſt wie mit gro¬
ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬

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[43/0049] wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar ſo leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt, aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬ len Jahren ſchon in Luſt empfangen, dann wie in Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt und gebildet wird, ehe es aus ſeinem ſtillen Hauſe das fröhliche Licht des Tages begrüßt. — Das iſt ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin munter, wäre ich ſo eine ſchwangere Frau, als Sie da ſagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine, vor dem Spiegel über mich ſelber zu Tode, eh' ich mit dem erſten Verſe niederkäme. — Hier erblickte er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktaſche hervorragte; eines davon war: „ an die Deut¬ ſchen,“ überſchrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬ zuleſen. Faber zog es heraus und las es. Das Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬ ſchen Ehre. Leontin ſowohl als Friedrich er¬ ſtaunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe der Romanze und fühlten ſich wahrhaft erbaut. Wer ſollte es glauben, ſagte Leontin, daß Herr Faber dieſe Romanze zu eben der Zeit verfertiget hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die Franzoſen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las ihnen ein Gedicht vor, in welchem er ſich ſelber mit höchſt komiſcher Laune in dieſem ſeinen feigherzigen Widerſpruche darſtellte, worin aber mitten durch die luſtigen Scherze ein tiefer Ernſt wie mit gro¬ ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/49>, abgerufen am 27.11.2024.