ten alle fortleben, wie es ihnen ihr frischer, guter Sinn eingab; das Waldhorn irrte fast Tag und Nacht in dem Walde hin und her, dazwischen spuckte die eben erwachende Sinnlichkeit der kleinen Marie wie ein reizender Kobold, und so machte dieser seltsame, bunte Haushalt diesen ganzen Auf¬ enthalt zu einer wahren Feenburg. Mitten in dem schönen Feste blieb nur ein einziges Wesen einsam und Antheillos. Das war Erwin, der schöne Kna¬ be, der mit Friedrich auf das Schloß gekommen war. Er war allen unbegreiflich. Sein einziges Ziel und Augenmerk schien es, seinen Herrn, den Grafen Friedrich, zu bedienen, welches er bis zur geringsten Kleinigkeit aufmerksam, emsig und gewissenhaft that. Sonst mischte er sich in keine Geschäfte oder Lust der anderen, erschien zerstreut, immer fremd, verschlossen und fast hart, so lieblich weich auch seine helle Stimme klang. Nur manch¬ mal bey Veranlassungen, die oft allen gleichgültig waren, sprach er auf einmal viel und bewegt, und jedem fiel dann sein schönes, seelenvolles Gesicht auf. Unter seine Seltsamkeiten gehörte auch, daß er niemals zu bewegen war, eine Nacht in der Stube zuzubringen. Wenn alles im Schlosse schlief und draussen die Sterne am Himmel prangten, gieng er vielmehr mit der Guitarre aus, sezte sich gewöhnlich auf die alte Schloßmauer über dem Waldgrunde und übte sich dort heimlich auf dem Instrumente. Wie oft, wenn Friedrich manch¬ mal in der Nacht erwachte, brachte der Wind ein¬ zelne Töne seines Gesanges über den stillen Hof zu
ten alle fortleben, wie es ihnen ihr friſcher, guter Sinn eingab; das Waldhorn irrte faſt Tag und Nacht in dem Walde hin und her, dazwiſchen ſpuckte die eben erwachende Sinnlichkeit der kleinen Marie wie ein reizender Kobold, und ſo machte dieſer ſeltſame, bunte Haushalt dieſen ganzen Auf¬ enthalt zu einer wahren Feenburg. Mitten in dem ſchönen Feſte blieb nur ein einziges Weſen einſam und Antheillos. Das war Erwin, der ſchöne Kna¬ be, der mit Friedrich auf das Schloß gekommen war. Er war allen unbegreiflich. Sein einziges Ziel und Augenmerk ſchien es, ſeinen Herrn, den Grafen Friedrich, zu bedienen, welches er bis zur geringſten Kleinigkeit aufmerkſam, emſig und gewiſſenhaft that. Sonſt miſchte er ſich in keine Geſchäfte oder Luſt der anderen, erſchien zerſtreut, immer fremd, verſchloſſen und faſt hart, ſo lieblich weich auch ſeine helle Stimme klang. Nur manch¬ mal bey Veranlaſſungen, die oft allen gleichgültig waren, ſprach er auf einmal viel und bewegt, und jedem fiel dann ſein ſchönes, ſeelenvolles Geſicht auf. Unter ſeine Seltſamkeiten gehörte auch, daß er niemals zu bewegen war, eine Nacht in der Stube zuzubringen. Wenn alles im Schloſſe ſchlief und drauſſen die Sterne am Himmel prangten, gieng er vielmehr mit der Guitarre aus, ſezte ſich gewöhnlich auf die alte Schloßmauer über dem Waldgrunde und übte ſich dort heimlich auf dem Inſtrumente. Wie oft, wenn Friedrich manch¬ mal in der Nacht erwachte, brachte der Wind ein¬ zelne Töne ſeines Geſanges über den ſtillen Hof zu
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ten alle fortleben, wie es ihnen ihr friſcher, guter
Sinn eingab; das Waldhorn irrte faſt Tag und
Nacht in dem Walde hin und her, dazwiſchen
ſpuckte die eben erwachende Sinnlichkeit der kleinen
Marie wie ein reizender Kobold, und ſo machte
dieſer ſeltſame, bunte Haushalt dieſen ganzen Auf¬
enthalt zu einer wahren Feenburg. Mitten in dem
ſchönen Feſte blieb nur ein einziges Weſen einſam
und Antheillos. Das war Erwin, der ſchöne Kna¬
be, der mit Friedrich auf das Schloß gekommen
war. Er war allen unbegreiflich. Sein einziges
Ziel und Augenmerk ſchien es, ſeinen Herrn, den
Grafen Friedrich, zu bedienen, welches er bis
zur geringſten Kleinigkeit aufmerkſam, emſig und
gewiſſenhaft that. Sonſt miſchte er ſich in keine
Geſchäfte oder Luſt der anderen, erſchien zerſtreut,
immer fremd, verſchloſſen und faſt hart, ſo lieblich
weich auch ſeine helle Stimme klang. Nur manch¬
mal bey Veranlaſſungen, die oft allen gleichgültig
waren, ſprach er auf einmal viel und bewegt, und
jedem fiel dann ſein ſchönes, ſeelenvolles Geſicht
auf. Unter ſeine Seltſamkeiten gehörte auch, daß
er niemals zu bewegen war, eine Nacht in der
Stube zuzubringen. Wenn alles im Schloſſe ſchlief
und drauſſen die Sterne am Himmel prangten,
gieng er vielmehr mit der Guitarre aus, ſezte ſich
gewöhnlich auf die alte Schloßmauer über dem
Waldgrunde und übte ſich dort heimlich auf dem
Inſtrumente. Wie oft, wenn Friedrich manch¬
mal in der Nacht erwachte, brachte der Wind ein¬
zelne Töne ſeines Geſanges über den ſtillen Hof zu
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/56>, abgerufen am 27.11.2024.
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