Ring vom Finger zog, ergriff sie rasch ein Pistol, das er unter dem Rock auf der Brust trug, und stieß ihn damit rücklings von der Rampe auf der sie standen. -- Sie ist im Garten, greift die kleine Hexe! rief jetzt eine Stimme tiefer unten. Da drückte sie schnell ihr Pistol ab und: Herr Jesus! hörte man unten die¬ selbe Stimme verhallen. Dann, sich in den Mantel wickelnd, rief sie hinab: "mir nach, sonst seid ihr alle verloren!"
"Aber es war alles schon zu spät. Die Unsrigen, die unerwartet erfahren, daß der Graf es heimlich mit dem Feinde halte, hatten die dunkle Nacht benutzt, das Schloß ohne Geräusch beschlichen und den Grafen bereits gefangen in ihrer Mitte. Dieser nun, als er die Tochter an der Stimme erkannte, glaubte sich von seinem eigenen Kinde verrathen, in dieser Verblendung entriß er wüthend einem der Soldaten den Degen, um sie selbst zu richten. Sein Leben war ihm nichts gegen die Ehre und Freiheit; so ward ihm schnell die letzte zu Theil, indem die anderen Soldaten, da sie ihn nicht mehr aufhalten konnten, ihn von hinten mit vie¬ len Stichen durchbohrten. -- Unterdeß aber war, wie die Gräfin vorausgesehen, durch den Schuß alles mun¬ ter geworden. Gleichwie die Krähen, wenn man Nachts in die Wipfel schießt, sich mit wildem Geschrei in die Lüfte stürzen, so brachen bewaffnete Jäger, Bediente und Bauern, die damals einen leisen Schlaf
Ring vom Finger zog, ergriff ſie raſch ein Piſtol, das er unter dem Rock auf der Bruſt trug, und ſtieß ihn damit ruͤcklings von der Rampe auf der ſie ſtanden. — Sie iſt im Garten, greift die kleine Hexe! rief jetzt eine Stimme tiefer unten. Da druͤckte ſie ſchnell ihr Piſtol ab und: Herr Jeſus! hoͤrte man unten die¬ ſelbe Stimme verhallen. Dann, ſich in den Mantel wickelnd, rief ſie hinab: „mir nach, ſonſt ſeid ihr alle verloren!“
„Aber es war alles ſchon zu ſpaͤt. Die Unſrigen, die unerwartet erfahren, daß der Graf es heimlich mit dem Feinde halte, hatten die dunkle Nacht benutzt, das Schloß ohne Geraͤuſch beſchlichen und den Grafen bereits gefangen in ihrer Mitte. Dieſer nun, als er die Tochter an der Stimme erkannte, glaubte ſich von ſeinem eigenen Kinde verrathen, in dieſer Verblendung entriß er wuͤthend einem der Soldaten den Degen, um ſie ſelbſt zu richten. Sein Leben war ihm nichts gegen die Ehre und Freiheit; ſo ward ihm ſchnell die letzte zu Theil, indem die anderen Soldaten, da ſie ihn nicht mehr aufhalten konnten, ihn von hinten mit vie¬ len Stichen durchbohrten. — Unterdeß aber war, wie die Graͤfin vorausgeſehen, durch den Schuß alles mun¬ ter geworden. Gleichwie die Kraͤhen, wenn man Nachts in die Wipfel ſchießt, ſich mit wildem Geſchrei in die Luͤfte ſtuͤrzen, ſo brachen bewaffnete Jaͤger, Bediente und Bauern, die damals einen leiſen Schlaf
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Ring vom Finger zog, ergriff ſie raſch ein Piſtol, das
er unter dem Rock auf der Bruſt trug, und ſtieß ihn
damit ruͤcklings von der Rampe auf der ſie ſtanden.
— Sie iſt im Garten, greift die kleine Hexe! rief
jetzt eine Stimme tiefer unten. Da druͤckte ſie ſchnell
ihr Piſtol ab und: Herr Jeſus! hoͤrte man unten die¬
ſelbe Stimme verhallen. Dann, ſich in den Mantel
wickelnd, rief ſie hinab: „mir nach, ſonſt ſeid ihr alle
verloren!“
„Aber es war alles ſchon zu ſpaͤt. Die Unſrigen,
die unerwartet erfahren, daß der Graf es heimlich mit
dem Feinde halte, hatten die dunkle Nacht benutzt,
das Schloß ohne Geraͤuſch beſchlichen und den Grafen
bereits gefangen in ihrer Mitte. Dieſer nun, als er
die Tochter an der Stimme erkannte, glaubte ſich von
ſeinem eigenen Kinde verrathen, in dieſer Verblendung
entriß er wuͤthend einem der Soldaten den Degen, um
ſie ſelbſt zu richten. Sein Leben war ihm nichts gegen
die Ehre und Freiheit; ſo ward ihm ſchnell die letzte
zu Theil, indem die anderen Soldaten, da ſie ihn
nicht mehr aufhalten konnten, ihn von hinten mit vie¬
len Stichen durchbohrten. — Unterdeß aber war, wie
die Graͤfin vorausgeſehen, durch den Schuß alles mun¬
ter geworden. Gleichwie die Kraͤhen, wenn man
Nachts in die Wipfel ſchießt, ſich mit wildem Geſchrei
in die Luͤfte ſtuͤrzen, ſo brachen bewaffnete Jaͤger,
Bediente und Bauern, die damals einen leiſen Schlaf
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/137>, abgerufen am 21.11.2024.
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