Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wieder unter den Linden vor der Hausthür zusammen,
und ich muß den Brief immer wieder von Anfang bis
zu Ende laut und deutlich vorlesen, bis der Mond
über uns aufgeht. So bist du auch in der Ferne bei
uns, wie denn überhaupt eine stille, mondhelle Nacht
schon an sich etwas traumhaftes hat, und entfernte,
geliebte Gegenden und Personen der Seele wunderbar
näher bringt."

"Wie glücklich seyd ihr Dichter! Euerem zauberi¬
schen Sinne erschließt sich überall, wo ihr wandelt,
wie dem Geliebten, willig und vertraulich die verbor¬
gene Schönheit der Welt, mit jedem Schritt erweitern
sich die Kreise, das Entfernte, Dunkele rückt verständ¬
lich in freundliche Nähe und neue Fernen heben sich
wieder wunderbar immer weiter und schöner. Was ist
dir nicht alles wieder begegnet, seit wir uns trennten!
-- Mit mir geht es gerade umgekehrt. Je weiter ich
komme, je enger wird der Kreis, und die Fernen, die
mich in der Jugend entzückten, verbleichen und versin¬
ken mir allmählich. -- Doch ich denke, das muß wohl
so seyn. Ruhiger, als du dir vielleicht einbilden magst,
habe ich endlich meine Stellung in der Welt erkannt,
und von den vornehmen Täuschungen Abschied genom¬
men. Ich lerne mich bescheiden und beschränken, und
mir ist wohl. Euere Aufgabe ist unübersehbar, ver¬
wickelt und selten recht in eurer eigenen Gewalt. Mein

wieder unter den Linden vor der Hausthuͤr zuſammen,
und ich muß den Brief immer wieder von Anfang bis
zu Ende laut und deutlich vorleſen, bis der Mond
uͤber uns aufgeht. So biſt du auch in der Ferne bei
uns, wie denn uͤberhaupt eine ſtille, mondhelle Nacht
ſchon an ſich etwas traumhaftes hat, und entfernte,
geliebte Gegenden und Perſonen der Seele wunderbar
naͤher bringt.“

„Wie gluͤcklich ſeyd ihr Dichter! Euerem zauberi¬
ſchen Sinne erſchließt ſich uͤberall, wo ihr wandelt,
wie dem Geliebten, willig und vertraulich die verbor¬
gene Schoͤnheit der Welt, mit jedem Schritt erweitern
ſich die Kreiſe, das Entfernte, Dunkele ruͤckt verſtaͤnd¬
lich in freundliche Naͤhe und neue Fernen heben ſich
wieder wunderbar immer weiter und ſchoͤner. Was iſt
dir nicht alles wieder begegnet, ſeit wir uns trennten!
— Mit mir geht es gerade umgekehrt. Je weiter ich
komme, je enger wird der Kreis, und die Fernen, die
mich in der Jugend entzuͤckten, verbleichen und verſin¬
ken mir allmaͤhlich. — Doch ich denke, das muß wohl
ſo ſeyn. Ruhiger, als du dir vielleicht einbilden magſt,
habe ich endlich meine Stellung in der Welt erkannt,
und von den vornehmen Taͤuſchungen Abſchied genom¬
men. Ich lerne mich beſcheiden und beſchraͤnken, und
mir iſt wohl. Euere Aufgabe iſt unuͤberſehbar, ver¬
wickelt und ſelten recht in eurer eigenen Gewalt. Mein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="167"/>
wieder unter den Linden vor der Hausthu&#x0364;r zu&#x017F;ammen,<lb/>
und ich muß den Brief immer wieder von Anfang bis<lb/>
zu Ende laut und deutlich vorle&#x017F;en, bis der Mond<lb/>
u&#x0364;ber uns aufgeht. So bi&#x017F;t du auch in der Ferne bei<lb/>
uns, wie denn u&#x0364;berhaupt eine &#x017F;tille, mondhelle Nacht<lb/>
&#x017F;chon an &#x017F;ich etwas traumhaftes hat, und entfernte,<lb/>
geliebte Gegenden und Per&#x017F;onen der Seele wunderbar<lb/>
na&#x0364;her bringt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wie glu&#x0364;cklich &#x017F;eyd ihr Dichter! Euerem zauberi¬<lb/>
&#x017F;chen Sinne er&#x017F;chließt &#x017F;ich u&#x0364;berall, wo ihr wandelt,<lb/>
wie dem Geliebten, willig und vertraulich die verbor¬<lb/>
gene Scho&#x0364;nheit der Welt, mit jedem Schritt erweitern<lb/>
&#x017F;ich die Krei&#x017F;e, das Entfernte, Dunkele ru&#x0364;ckt ver&#x017F;ta&#x0364;nd¬<lb/>
lich in freundliche Na&#x0364;he und neue Fernen heben &#x017F;ich<lb/>
wieder wunderbar immer weiter und &#x017F;cho&#x0364;ner. Was i&#x017F;t<lb/>
dir nicht alles wieder begegnet, &#x017F;eit wir uns trennten!<lb/>
&#x2014; Mit mir geht es gerade umgekehrt. Je weiter ich<lb/>
komme, je enger wird der Kreis, und die Fernen, die<lb/>
mich in der Jugend entzu&#x0364;ckten, verbleichen und ver&#x017F;in¬<lb/>
ken mir allma&#x0364;hlich. &#x2014; Doch ich denke, das muß wohl<lb/>
&#x017F;o &#x017F;eyn. Ruhiger, als du dir vielleicht einbilden mag&#x017F;t,<lb/>
habe ich endlich meine Stellung in der Welt erkannt,<lb/>
und von den vornehmen Ta&#x0364;u&#x017F;chungen Ab&#x017F;chied genom¬<lb/>
men. Ich lerne mich be&#x017F;cheiden und be&#x017F;chra&#x0364;nken, und<lb/>
mir i&#x017F;t wohl. Euere Aufgabe i&#x017F;t unu&#x0364;ber&#x017F;ehbar, ver¬<lb/>
wickelt und &#x017F;elten recht in eurer eigenen Gewalt. Mein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0174] wieder unter den Linden vor der Hausthuͤr zuſammen, und ich muß den Brief immer wieder von Anfang bis zu Ende laut und deutlich vorleſen, bis der Mond uͤber uns aufgeht. So biſt du auch in der Ferne bei uns, wie denn uͤberhaupt eine ſtille, mondhelle Nacht ſchon an ſich etwas traumhaftes hat, und entfernte, geliebte Gegenden und Perſonen der Seele wunderbar naͤher bringt.“ „Wie gluͤcklich ſeyd ihr Dichter! Euerem zauberi¬ ſchen Sinne erſchließt ſich uͤberall, wo ihr wandelt, wie dem Geliebten, willig und vertraulich die verbor¬ gene Schoͤnheit der Welt, mit jedem Schritt erweitern ſich die Kreiſe, das Entfernte, Dunkele ruͤckt verſtaͤnd¬ lich in freundliche Naͤhe und neue Fernen heben ſich wieder wunderbar immer weiter und ſchoͤner. Was iſt dir nicht alles wieder begegnet, ſeit wir uns trennten! — Mit mir geht es gerade umgekehrt. Je weiter ich komme, je enger wird der Kreis, und die Fernen, die mich in der Jugend entzuͤckten, verbleichen und verſin¬ ken mir allmaͤhlich. — Doch ich denke, das muß wohl ſo ſeyn. Ruhiger, als du dir vielleicht einbilden magſt, habe ich endlich meine Stellung in der Welt erkannt, und von den vornehmen Taͤuſchungen Abſchied genom¬ men. Ich lerne mich beſcheiden und beſchraͤnken, und mir iſt wohl. Euere Aufgabe iſt unuͤberſehbar, ver¬ wickelt und ſelten recht in eurer eigenen Gewalt. Mein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/174
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/174>, abgerufen am 24.11.2024.