Haus des Marchese A., in welchem befreundete Rei¬ sende für Fortunaten die Wohnung besorgt hatten.
Ein alter Diener, mit klugen, kurzen Blicken das geringe Gepäck des genügsamen Reisenden musternd, führte diesen die breiten Marmortreppen hinan, wäh¬ rend er in großem Wortschwall die Abwesenheit des Marchese entschuldigte, welcher erst heut vom Lande zurückkehre und nicht ermangeln werde, den schuldigen Empfang morgen nachzuholen.
Die ersten Stunden in einer großen, unbekannten Stadt gehören zu den einsamsten im Leben, auch For¬ tunaten überflog das Gefühl, als sey er jetzt erst in der Fremde. Er verlor sich ganz in den hohen Ge¬ mächern und betrachtete, als der Diener sich entfernt hatte, vor Langerweile die Stukverzierungen an den Decken, die schweren altmodischen Stühle, die hohen Spiegel mit goldenen Rahmen, so wie die umherhän¬ genden Jagdbilder, Kavaliere in seltsamen Trachten vorstellend, halb Ritter halb Gecken, einen Hirsch mit galanter Reiterkühnheit verfolgend, und junge schöne Damen in Reifröcken unter einem prächtigen Zelt im Walde, Jagdhörner in den Händen, denen der glück¬ liche Jäger seine Beute ehrfurchtsvoll zu Füßen legte. -- Draußen schien ein großer Garten zu liegen, weit über den Garten her schlugen viele Uhren in der Ferne, es war ihm, als sei er schon gestorben und hörte die Todtenglocke über sich.
Haus des Marcheſe A., in welchem befreundete Rei¬ ſende fuͤr Fortunaten die Wohnung beſorgt hatten.
Ein alter Diener, mit klugen, kurzen Blicken das geringe Gepaͤck des genuͤgſamen Reiſenden muſternd, fuͤhrte dieſen die breiten Marmortreppen hinan, waͤh¬ rend er in großem Wortſchwall die Abweſenheit des Marcheſe entſchuldigte, welcher erſt heut vom Lande zuruͤckkehre und nicht ermangeln werde, den ſchuldigen Empfang morgen nachzuholen.
Die erſten Stunden in einer großen, unbekannten Stadt gehoͤren zu den einſamſten im Leben, auch For¬ tunaten uͤberflog das Gefuͤhl, als ſey er jetzt erſt in der Fremde. Er verlor ſich ganz in den hohen Ge¬ maͤchern und betrachtete, als der Diener ſich entfernt hatte, vor Langerweile die Stukverzierungen an den Decken, die ſchweren altmodiſchen Stuͤhle, die hohen Spiegel mit goldenen Rahmen, ſo wie die umherhaͤn¬ genden Jagdbilder, Kavaliere in ſeltſamen Trachten vorſtellend, halb Ritter halb Gecken, einen Hirſch mit galanter Reiterkuͤhnheit verfolgend, und junge ſchoͤne Damen in Reifroͤcken unter einem praͤchtigen Zelt im Walde, Jagdhoͤrner in den Haͤnden, denen der gluͤck¬ liche Jaͤger ſeine Beute ehrfurchtsvoll zu Fuͤßen legte. — Draußen ſchien ein großer Garten zu liegen, weit uͤber den Garten her ſchlugen viele Uhren in der Ferne, es war ihm, als ſei er ſchon geſtorben und hoͤrte die Todtenglocke uͤber ſich.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0194"n="187"/>
Haus des Marcheſe A., in welchem befreundete Rei¬<lb/>ſende fuͤr Fortunaten die Wohnung beſorgt hatten.</p><lb/><p>Ein alter Diener, mit klugen, kurzen Blicken das<lb/>
geringe Gepaͤck des genuͤgſamen Reiſenden muſternd,<lb/>
fuͤhrte dieſen die breiten Marmortreppen hinan, waͤh¬<lb/>
rend er in großem Wortſchwall die Abweſenheit des<lb/>
Marcheſe entſchuldigte, welcher erſt heut vom Lande<lb/>
zuruͤckkehre und nicht ermangeln werde, den ſchuldigen<lb/>
Empfang morgen nachzuholen.</p><lb/><p>Die erſten Stunden in einer großen, unbekannten<lb/>
Stadt gehoͤren zu den einſamſten im Leben, auch For¬<lb/>
tunaten uͤberflog das Gefuͤhl, als ſey er jetzt erſt in<lb/>
der Fremde. Er verlor ſich ganz in den hohen Ge¬<lb/>
maͤchern und betrachtete, als der Diener ſich entfernt<lb/>
hatte, vor Langerweile die Stukverzierungen an den<lb/>
Decken, die ſchweren altmodiſchen Stuͤhle, die hohen<lb/>
Spiegel mit goldenen Rahmen, ſo wie die umherhaͤn¬<lb/>
genden Jagdbilder, Kavaliere in ſeltſamen Trachten<lb/>
vorſtellend, halb Ritter halb Gecken, einen Hirſch mit<lb/>
galanter Reiterkuͤhnheit verfolgend, und junge ſchoͤne<lb/>
Damen in Reifroͤcken unter einem praͤchtigen Zelt im<lb/>
Walde, Jagdhoͤrner in den Haͤnden, denen der gluͤck¬<lb/>
liche Jaͤger ſeine Beute ehrfurchtsvoll zu Fuͤßen legte.<lb/>— Draußen ſchien ein großer Garten zu liegen, weit<lb/>
uͤber den Garten her ſchlugen viele Uhren in der Ferne,<lb/>
es war ihm, als ſei er ſchon geſtorben und hoͤrte die<lb/>
Todtenglocke uͤber ſich.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[187/0194]
Haus des Marcheſe A., in welchem befreundete Rei¬
ſende fuͤr Fortunaten die Wohnung beſorgt hatten.
Ein alter Diener, mit klugen, kurzen Blicken das
geringe Gepaͤck des genuͤgſamen Reiſenden muſternd,
fuͤhrte dieſen die breiten Marmortreppen hinan, waͤh¬
rend er in großem Wortſchwall die Abweſenheit des
Marcheſe entſchuldigte, welcher erſt heut vom Lande
zuruͤckkehre und nicht ermangeln werde, den ſchuldigen
Empfang morgen nachzuholen.
Die erſten Stunden in einer großen, unbekannten
Stadt gehoͤren zu den einſamſten im Leben, auch For¬
tunaten uͤberflog das Gefuͤhl, als ſey er jetzt erſt in
der Fremde. Er verlor ſich ganz in den hohen Ge¬
maͤchern und betrachtete, als der Diener ſich entfernt
hatte, vor Langerweile die Stukverzierungen an den
Decken, die ſchweren altmodiſchen Stuͤhle, die hohen
Spiegel mit goldenen Rahmen, ſo wie die umherhaͤn¬
genden Jagdbilder, Kavaliere in ſeltſamen Trachten
vorſtellend, halb Ritter halb Gecken, einen Hirſch mit
galanter Reiterkuͤhnheit verfolgend, und junge ſchoͤne
Damen in Reifroͤcken unter einem praͤchtigen Zelt im
Walde, Jagdhoͤrner in den Haͤnden, denen der gluͤck¬
liche Jaͤger ſeine Beute ehrfurchtsvoll zu Fuͤßen legte.
— Draußen ſchien ein großer Garten zu liegen, weit
uͤber den Garten her ſchlugen viele Uhren in der Ferne,
es war ihm, als ſei er ſchon geſtorben und hoͤrte die
Todtenglocke uͤber ſich.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/194>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.