Der schönste Frühlings-Morgen funkelte vor dem Palast über den Garten, da grünte und sang schon alles in der reizenden Verwilderung, in den ausgetrock¬ neten Becken der Wasserkünste jagten sich jubelnd bunte Vögel, üppig blühende Ranken umschlangen muthwillig die Marmorstatüen, als wollte der Frühling sie mit Küssen ersticken. Arglos zwischen den nackten Götter¬ bildern stand Fiametta, die vierzehnjährige Tochter des Marchese, mit ihrer Kammerjungfer Lenore plau¬ dernd, die ihr die schönen, dunklen Haarflechten auf¬ steckte. Sie war ihr heute ungeduldig entsprungen, beide waren neugierig, ihren Gast, den gestern ange¬ kommenen Engländer, zu sehen, wofür sie jeden reisen¬ den Fremden hielten. Mir träumte heut von ihm, sagte Fiametta, er sah aus wie die jungen deutschen Maler mit den langen blonden Locken, und stand in einer unbekannten, prächtigen Gegend, die schimmerte und blitzte, daß ich vor Blendung gar nicht hinsehen konnte. Ich wußt' es wohl, es war der Morgen, der schon durch die rothen Gardinen schimmerte, aber ich drückte die Augen fest zu -- hier hielt sie ein und lachte in sich. -- Lenore sah sie fragend an. -- Nein, nein, meinte Fiametta leicht erröthend, was er mir da ins Ohr sagte, sag' ich nicht wieder -- ob er noch jung seyn mag? -- Lenore erzählte, daß sie gestern Abends noch im Garten gewesen, da habe sie seinen Schatten im Zimmer auf und nieder schwanken ge¬
Der ſchoͤnſte Fruͤhlings-Morgen funkelte vor dem Palaſt uͤber den Garten, da gruͤnte und ſang ſchon alles in der reizenden Verwilderung, in den ausgetrock¬ neten Becken der Waſſerkuͤnſte jagten ſich jubelnd bunte Voͤgel, uͤppig bluͤhende Ranken umſchlangen muthwillig die Marmorſtatuͤen, als wollte der Fruͤhling ſie mit Kuͤſſen erſticken. Arglos zwiſchen den nackten Goͤtter¬ bildern ſtand Fiametta, die vierzehnjaͤhrige Tochter des Marcheſe, mit ihrer Kammerjungfer Lenore plau¬ dernd, die ihr die ſchoͤnen, dunklen Haarflechten auf¬ ſteckte. Sie war ihr heute ungeduldig entſprungen, beide waren neugierig, ihren Gaſt, den geſtern ange¬ kommenen Englaͤnder, zu ſehen, wofuͤr ſie jeden reiſen¬ den Fremden hielten. Mir traͤumte heut von ihm, ſagte Fiametta, er ſah aus wie die jungen deutſchen Maler mit den langen blonden Locken, und ſtand in einer unbekannten, praͤchtigen Gegend, die ſchimmerte und blitzte, daß ich vor Blendung gar nicht hinſehen konnte. Ich wußt' es wohl, es war der Morgen, der ſchon durch die rothen Gardinen ſchimmerte, aber ich druͤckte die Augen feſt zu — hier hielt ſie ein und lachte in ſich. — Lenore ſah ſie fragend an. — Nein, nein, meinte Fiametta leicht erroͤthend, was er mir da ins Ohr ſagte, ſag' ich nicht wieder — ob er noch jung ſeyn mag? — Lenore erzaͤhlte, daß ſie geſtern Abends noch im Garten geweſen, da habe ſie ſeinen Schatten im Zimmer auf und nieder ſchwanken ge¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0196"n="189"/><p>Der ſchoͤnſte Fruͤhlings-Morgen funkelte vor dem<lb/>
Palaſt uͤber den Garten, da gruͤnte und ſang ſchon<lb/>
alles in der reizenden Verwilderung, in den ausgetrock¬<lb/>
neten Becken der Waſſerkuͤnſte jagten ſich jubelnd bunte<lb/>
Voͤgel, uͤppig bluͤhende Ranken umſchlangen muthwillig<lb/>
die Marmorſtatuͤen, als wollte der Fruͤhling ſie mit<lb/>
Kuͤſſen erſticken. Arglos zwiſchen den nackten Goͤtter¬<lb/>
bildern ſtand <hirendition="#g">Fiametta</hi>, die vierzehnjaͤhrige Tochter<lb/>
des Marcheſe, mit ihrer Kammerjungfer Lenore plau¬<lb/>
dernd, die ihr die ſchoͤnen, dunklen Haarflechten auf¬<lb/>ſteckte. Sie war ihr heute ungeduldig entſprungen,<lb/>
beide waren neugierig, ihren Gaſt, den geſtern ange¬<lb/>
kommenen Englaͤnder, zu ſehen, wofuͤr ſie jeden reiſen¬<lb/>
den Fremden hielten. Mir traͤumte heut von ihm,<lb/>ſagte Fiametta, er ſah aus wie die jungen deutſchen<lb/>
Maler mit den langen blonden Locken, und ſtand in<lb/>
einer unbekannten, praͤchtigen Gegend, die ſchimmerte<lb/>
und blitzte, daß ich vor Blendung gar nicht hinſehen<lb/>
konnte. Ich wußt' es wohl, es war der Morgen, der<lb/>ſchon durch die rothen Gardinen ſchimmerte, aber ich<lb/>
druͤckte die Augen feſt zu — hier hielt ſie ein und<lb/>
lachte in ſich. — Lenore ſah ſie fragend an. — Nein,<lb/>
nein, meinte Fiametta leicht erroͤthend, was er mir da<lb/>
ins Ohr ſagte, ſag' ich nicht wieder — ob er noch<lb/>
jung ſeyn mag? — Lenore erzaͤhlte, daß ſie geſtern<lb/>
Abends noch im Garten geweſen, da habe ſie ſeinen<lb/>
Schatten im Zimmer auf und nieder ſchwanken ge¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[189/0196]
Der ſchoͤnſte Fruͤhlings-Morgen funkelte vor dem
Palaſt uͤber den Garten, da gruͤnte und ſang ſchon
alles in der reizenden Verwilderung, in den ausgetrock¬
neten Becken der Waſſerkuͤnſte jagten ſich jubelnd bunte
Voͤgel, uͤppig bluͤhende Ranken umſchlangen muthwillig
die Marmorſtatuͤen, als wollte der Fruͤhling ſie mit
Kuͤſſen erſticken. Arglos zwiſchen den nackten Goͤtter¬
bildern ſtand Fiametta, die vierzehnjaͤhrige Tochter
des Marcheſe, mit ihrer Kammerjungfer Lenore plau¬
dernd, die ihr die ſchoͤnen, dunklen Haarflechten auf¬
ſteckte. Sie war ihr heute ungeduldig entſprungen,
beide waren neugierig, ihren Gaſt, den geſtern ange¬
kommenen Englaͤnder, zu ſehen, wofuͤr ſie jeden reiſen¬
den Fremden hielten. Mir traͤumte heut von ihm,
ſagte Fiametta, er ſah aus wie die jungen deutſchen
Maler mit den langen blonden Locken, und ſtand in
einer unbekannten, praͤchtigen Gegend, die ſchimmerte
und blitzte, daß ich vor Blendung gar nicht hinſehen
konnte. Ich wußt' es wohl, es war der Morgen, der
ſchon durch die rothen Gardinen ſchimmerte, aber ich
druͤckte die Augen feſt zu — hier hielt ſie ein und
lachte in ſich. — Lenore ſah ſie fragend an. — Nein,
nein, meinte Fiametta leicht erroͤthend, was er mir da
ins Ohr ſagte, ſag' ich nicht wieder — ob er noch
jung ſeyn mag? — Lenore erzaͤhlte, daß ſie geſtern
Abends noch im Garten geweſen, da habe ſie ſeinen
Schatten im Zimmer auf und nieder ſchwanken ge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/196>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.