hieb sich mit seinem Schwerte Bahn durch das Ge¬ strüpp, aus welchem verstörte Schlangen nach den Steinritzen schlüpften. So waren sie auf einen Fel¬ sen gekommen, der Schwindel erregend über eine uner¬ meßliche, dämmernde Tiefe hinüberhing. Albert stand am äußersten Rande und wies mit seinem Schwerte schweigend in die Ferne. -- Großer Gott, wie herr¬ lich! rief Otto überrascht aus -- Rom lag da unten still und feierlich im Mondglanz. -- Da hörte er auf einmal ein Geräusch, er sah Albert plötzlich wanken, sinken. Der Unglückliche hatte sich mit heidnischer Tu¬ gend in sein eignes Schwert gestürzt. -- Grüße das Vaterland -- ich sterbe -- frei, sagte er ohne Zeichen des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugesprunge¬ nen Otto kräftig ab, und glitt, eh' ihn dieser wieder fassen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.
Entsetzt beugte sich Otto über die Felsenwand, es war alles still unten, nur der Strom rauschte zornig herauf -- da faßte ihn ein unwiderstehliches Grauen, halbbewußtlos schwang er sich von Klippe zu Klippe den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er seitwärts in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Gestalten mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte gräßlich beleuchteten. Nun schlugen hin und wieder Hunde an, einzelne Stimmen wurden in dem Thale wach, der Wiederschein der Windlichter spiegelte sich wild im Flusse. Otto wagte nicht mehr zurückzublicken, schauernd
hieb ſich mit ſeinem Schwerte Bahn durch das Ge¬ ſtruͤpp, aus welchem verſtoͤrte Schlangen nach den Steinritzen ſchluͤpften. So waren ſie auf einen Fel¬ ſen gekommen, der Schwindel erregend uͤber eine uner¬ meßliche, daͤmmernde Tiefe hinuͤberhing. Albert ſtand am aͤußerſten Rande und wies mit ſeinem Schwerte ſchweigend in die Ferne. — Großer Gott, wie herr¬ lich! rief Otto uͤberraſcht aus — Rom lag da unten ſtill und feierlich im Mondglanz. — Da hoͤrte er auf einmal ein Geraͤuſch, er ſah Albert ploͤtzlich wanken, ſinken. Der Ungluͤckliche hatte ſich mit heidniſcher Tu¬ gend in ſein eignes Schwert geſtuͤrzt. — Gruͤße das Vaterland — ich ſterbe — frei, ſagte er ohne Zeichen des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugeſprunge¬ nen Otto kraͤftig ab, und glitt, eh' ihn dieſer wieder faſſen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.
Entſetzt beugte ſich Otto uͤber die Felſenwand, es war alles ſtill unten, nur der Strom rauſchte zornig herauf — da faßte ihn ein unwiderſtehliches Grauen, halbbewußtlos ſchwang er ſich von Klippe zu Klippe den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er ſeitwaͤrts in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Geſtalten mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte graͤßlich beleuchteten. Nun ſchlugen hin und wieder Hunde an, einzelne Stimmen wurden in dem Thale wach, der Wiederſchein der Windlichter ſpiegelte ſich wild im Fluſſe. Otto wagte nicht mehr zuruͤckzublicken, ſchauernd
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hieb ſich mit ſeinem Schwerte Bahn durch das Ge¬
ſtruͤpp, aus welchem verſtoͤrte Schlangen nach den
Steinritzen ſchluͤpften. So waren ſie auf einen Fel¬
ſen gekommen, der Schwindel erregend uͤber eine uner¬
meßliche, daͤmmernde Tiefe hinuͤberhing. Albert ſtand
am aͤußerſten Rande und wies mit ſeinem Schwerte
ſchweigend in die Ferne. — Großer Gott, wie herr¬
lich! rief Otto uͤberraſcht aus — Rom lag da unten
ſtill und feierlich im Mondglanz. — Da hoͤrte er auf
einmal ein Geraͤuſch, er ſah Albert ploͤtzlich wanken,
ſinken. Der Ungluͤckliche hatte ſich mit heidniſcher Tu¬
gend in ſein eignes Schwert geſtuͤrzt. — Gruͤße das
Vaterland — ich ſterbe — frei, ſagte er ohne Zeichen
des Schmerzes, wehrte die Hand des hinzugeſprunge¬
nen Otto kraͤftig ab, und glitt, eh' ihn dieſer wieder
faſſen konnte, rettungslos in den Abgrund hinab.
Entſetzt beugte ſich Otto uͤber die Felſenwand, es
war alles ſtill unten, nur der Strom rauſchte zornig
herauf — da faßte ihn ein unwiderſtehliches Grauen,
halbbewußtlos ſchwang er ſich von Klippe zu Klippe
den Berg hinunter. Im Fliehen bemerkte er ſeitwaͤrts
in dem Abgrunde mehrere dunkle bewaffnete Geſtalten
mit Fackeln, die den Todten in ihrer Mitte graͤßlich
beleuchteten. Nun ſchlugen hin und wieder Hunde an,
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Wiederſchein der Windlichter ſpiegelte ſich wild im
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/243>, abgerufen am 21.11.2024.
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