flackerten im Winde, der Nachtwächter schickte sich eben an, die zehnte Stunde auszurufen; von fern aber über die hellbeleuchteten Dächer und Schornsteine qualmte ihm schon der trübrothe Schein der Illumi¬ nation entgegen wie die aufgehende Sonne an einem nebligen Herbstmorgen. So war er an's Theater ge¬ kommen. Durch ein hohes, verhangenes Fenster glaubte er drinn die Schauspieler mit aller Gewalt der Leidenschaft pathetisch deklamiren zu hören, ihn schauerte, so kühl und nüchtern war es dagegen hier draußen. Eine lange Reihe von Wagen, auf ihre Herrschaften wartend, stand an der finsteren Mauer, die Kutscher schlummerten auf ihren hohen Kutschböcken, der eine zog gähnend seine Taschenuhr heraus und hielt sie an den ungewissen Schein der Laterne. Was Teufel spielen sie denn heut so lange? fragte er einen Kerl, der eben an einem Eckpfeiler seine Fackel putzte, daß die Funken auf einen Augenblick das ganze lang¬ weilige Chaos wunderlich beleuchteten. Dieser nannte ein bekanntes Stück vom Grafen Victor von Hohen¬ stein. -- Da fuhr Lothario unwillkührlich zusammen. Er ging rasch hinein, ein gutes Trinkgeld verschaffte ihm von dem verwunderten Logendiener noch einen Platz in der Fremdenloge.
Das Haus war prächtig erleuchtet und zum Er¬ drücken voll, aus der fürstlichen Loge zwischen den reichen Vorhängen blitzt' und schimmerte es von Ster¬
flackerten im Winde, der Nachtwaͤchter ſchickte ſich eben an, die zehnte Stunde auszurufen; von fern aber uͤber die hellbeleuchteten Daͤcher und Schornſteine qualmte ihm ſchon der truͤbrothe Schein der Illumi¬ nation entgegen wie die aufgehende Sonne an einem nebligen Herbſtmorgen. So war er an's Theater ge¬ kommen. Durch ein hohes, verhangenes Fenſter glaubte er drinn die Schauſpieler mit aller Gewalt der Leidenſchaft pathetiſch deklamiren zu hoͤren, ihn ſchauerte, ſo kuͤhl und nuͤchtern war es dagegen hier draußen. Eine lange Reihe von Wagen, auf ihre Herrſchaften wartend, ſtand an der finſteren Mauer, die Kutſcher ſchlummerten auf ihren hohen Kutſchboͤcken, der eine zog gaͤhnend ſeine Taſchenuhr heraus und hielt ſie an den ungewiſſen Schein der Laterne. Was Teufel ſpielen ſie denn heut ſo lange? fragte er einen Kerl, der eben an einem Eckpfeiler ſeine Fackel putzte, daß die Funken auf einen Augenblick das ganze lang¬ weilige Chaos wunderlich beleuchteten. Dieſer nannte ein bekanntes Stuͤck vom Grafen Victor von Hohen¬ ſtein. — Da fuhr Lothario unwillkuͤhrlich zuſammen. Er ging raſch hinein, ein gutes Trinkgeld verſchaffte ihm von dem verwunderten Logendiener noch einen Platz in der Fremdenloge.
Das Haus war praͤchtig erleuchtet und zum Er¬ druͤcken voll, aus der fuͤrſtlichen Loge zwiſchen den reichen Vorhaͤngen blitzt' und ſchimmerte es von Ster¬
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flackerten im Winde, der Nachtwaͤchter ſchickte ſich
eben an, die zehnte Stunde auszurufen; von fern aber
uͤber die hellbeleuchteten Daͤcher und Schornſteine
qualmte ihm ſchon der truͤbrothe Schein der Illumi¬
nation entgegen wie die aufgehende Sonne an einem
nebligen Herbſtmorgen. So war er an's Theater ge¬
kommen. Durch ein hohes, verhangenes Fenſter
glaubte er drinn die Schauſpieler mit aller Gewalt
der Leidenſchaft pathetiſch deklamiren zu hoͤren, ihn
ſchauerte, ſo kuͤhl und nuͤchtern war es dagegen hier
draußen. Eine lange Reihe von Wagen, auf ihre
Herrſchaften wartend, ſtand an der finſteren Mauer,
die Kutſcher ſchlummerten auf ihren hohen Kutſchboͤcken,
der eine zog gaͤhnend ſeine Taſchenuhr heraus und
hielt ſie an den ungewiſſen Schein der Laterne. Was
Teufel ſpielen ſie denn heut ſo lange? fragte er einen
Kerl, der eben an einem Eckpfeiler ſeine Fackel putzte,
daß die Funken auf einen Augenblick das ganze lang¬
weilige Chaos wunderlich beleuchteten. Dieſer nannte
ein bekanntes Stuͤck vom Grafen Victor von Hohen¬
ſtein. — Da fuhr Lothario unwillkuͤhrlich zuſammen.
Er ging raſch hinein, ein gutes Trinkgeld verſchaffte
ihm von dem verwunderten Logendiener noch einen
Platz in der Fremdenloge.
Das Haus war praͤchtig erleuchtet und zum Er¬
druͤcken voll, aus der fuͤrſtlichen Loge zwiſchen den
reichen Vorhaͤngen blitzt' und ſchimmerte es von Ster¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/259>, abgerufen am 24.11.2024.
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