Dort hat sich unterdeß alles verwandelt. Nur einzelne Menschen irren noch beim ungewissen Schein der La¬ ternen, die verlöschend flackern, zerrissene Wolken flie¬ gen über die Dächer, die Nacht war finster und stür¬ misch geworden. Da schweiften zwei weibliche Gestal¬ ten eilig durch das Dunkel. Wo schleppst du mich hin? fragte die eine. -- Sah'st du ihn nicht vorhin? entgegnete die andere, ich muß ihn haschen! --
Kordelchen! Du? rief Victor plötzlich vor ihnen stehend aus -- du siehst ja so blaß im Laternenschein, wie eine Leiche mit spielenden, funkelnden Augen. -- Ach, dummes Zeug, red' nicht so graulich, sagte die Komödiantin. -- Er wollte fort, aber sie hatte sich schon fest in seinen Mantel verwickelt.
Sie standen an der offenen Thür eines kleinen Hauses. Ihre leichtfertige Begleiterin, die zu ihrem Verdruß noch gar nicht beachtet worden, wünschte schnippisch viel Vergnügen, und verließ sie empfindlich. Kordelchen aber hatte ihren späten Gast bereits hin¬ eingedrängt. Ein schwüler Duft von halbvertrockneten Blumensträußen, die an den Fenstern standen, quoll ihnen aus der kleinen Stube entgegen. Das tiefher¬ untergebrannte Licht, dem eine leere Flasche zum Leuch¬ ter diente, verbreitete eine ungewisse Dämmerung über ärmliches Hausgeräth, zerbrochene Spiegel, Notenbü¬ cher und Kleidungsstücke, die überall unordentlich um¬ herlagen. Mitten in dieser Verwirrung war ein wohl¬
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Dort hat ſich unterdeß alles verwandelt. Nur einzelne Menſchen irren noch beim ungewiſſen Schein der La¬ ternen, die verloͤſchend flackern, zerriſſene Wolken flie¬ gen uͤber die Daͤcher, die Nacht war finſter und ſtuͤr¬ miſch geworden. Da ſchweiften zwei weibliche Geſtal¬ ten eilig durch das Dunkel. Wo ſchleppſt du mich hin? fragte die eine. — Sah'ſt du ihn nicht vorhin? entgegnete die andere, ich muß ihn haſchen! —
Kordelchen! Du? rief Victor ploͤtzlich vor ihnen ſtehend aus — du ſiehſt ja ſo blaß im Laternenſchein, wie eine Leiche mit ſpielenden, funkelnden Augen. — Ach, dummes Zeug, red' nicht ſo graulich, ſagte die Komoͤdiantin. — Er wollte fort, aber ſie hatte ſich ſchon feſt in ſeinen Mantel verwickelt.
Sie ſtanden an der offenen Thuͤr eines kleinen Hauſes. Ihre leichtfertige Begleiterin, die zu ihrem Verdruß noch gar nicht beachtet worden, wuͤnſchte ſchnippiſch viel Vergnuͤgen, und verließ ſie empfindlich. Kordelchen aber hatte ihren ſpaͤten Gaſt bereits hin¬ eingedraͤngt. Ein ſchwuͤler Duft von halbvertrockneten Blumenſtraͤußen, die an den Fenſtern ſtanden, quoll ihnen aus der kleinen Stube entgegen. Das tiefher¬ untergebrannte Licht, dem eine leere Flaſche zum Leuch¬ ter diente, verbreitete eine ungewiſſe Daͤmmerung uͤber aͤrmliches Hausgeraͤth, zerbrochene Spiegel, Notenbuͤ¬ cher und Kleidungsſtuͤcke, die uͤberall unordentlich um¬ herlagen. Mitten in dieſer Verwirrung war ein wohl¬
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Dort hat ſich unterdeß alles verwandelt. Nur einzelne
Menſchen irren noch beim ungewiſſen Schein der La¬
ternen, die verloͤſchend flackern, zerriſſene Wolken flie¬
gen uͤber die Daͤcher, die Nacht war finſter und ſtuͤr¬
miſch geworden. Da ſchweiften zwei weibliche Geſtal¬
ten eilig durch das Dunkel. Wo ſchleppſt du mich
hin? fragte die eine. — Sah'ſt du ihn nicht vorhin?
entgegnete die andere, ich muß ihn haſchen! —
Kordelchen! Du? rief Victor ploͤtzlich vor ihnen
ſtehend aus — du ſiehſt ja ſo blaß im Laternenſchein,
wie eine Leiche mit ſpielenden, funkelnden Augen. —
Ach, dummes Zeug, red' nicht ſo graulich, ſagte die
Komoͤdiantin. — Er wollte fort, aber ſie hatte ſich
ſchon feſt in ſeinen Mantel verwickelt.
Sie ſtanden an der offenen Thuͤr eines kleinen
Hauſes. Ihre leichtfertige Begleiterin, die zu ihrem
Verdruß noch gar nicht beachtet worden, wuͤnſchte
ſchnippiſch viel Vergnuͤgen, und verließ ſie empfindlich.
Kordelchen aber hatte ihren ſpaͤten Gaſt bereits hin¬
eingedraͤngt. Ein ſchwuͤler Duft von halbvertrockneten
Blumenſtraͤußen, die an den Fenſtern ſtanden, quoll
ihnen aus der kleinen Stube entgegen. Das tiefher¬
untergebrannte Licht, dem eine leere Flaſche zum Leuch¬
ter diente, verbreitete eine ungewiſſe Daͤmmerung uͤber
aͤrmliches Hausgeraͤth, zerbrochene Spiegel, Notenbuͤ¬
cher und Kleidungsſtuͤcke, die uͤberall unordentlich um¬
herlagen. Mitten in dieſer Verwirrung war ein wohl¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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