gekleideter Mann am Tische fest eingeschlafen, die Fe¬ der lag umgefallen noch zwischen seinen Fingern auf dem halbbeschriebenen Blatte vor ihm.
Still, still, der wird ein Paar Augen machen! sagte Kordelchen, indem sie Victor'n leise an der Hand in einen entfernten Winkel führte und ihn dabei, eh' er sich's versah, herzhaft in den Finger biß. Dann setzte sie sich auf einen Reisekoffer, öffnete ihre Schürze, die voll Knackmandeln war, und fing vergnügt an zu naschen und zu plaudern, man sah ihr recht die Freude aus den muntern Augen glänzen. So in aller Geschwindigkeit erzählte sie ihm, daß sie mit Otto'n aus dem langweiligen Italien ent¬ flohen, seit einigen Tagen hier sey, und wieder auf's Theater wolle. Auf einmal sah sie Victor'n lange in's Gesicht. Armer Lothario, sagte sie, du sieh'st schlecht aus. Dacht' ich's doch gleich, als du damals die Augen so hoch warfst, siehst du, wer hieß dich, Gemsen jagen! -- Aber so iß doch mit -- und hast du die Fürstin heut gesehen? -- sie ist als Gräfin Juanna maskirt. -- Dazwischen warf sie wieder Mandelschaalen nach dem Schreiber hinüber, der noch immer schlief.
Da fuhr dieser erschrocken auf -- es war Otto -- sie wollte sich todt lachen, wie er so wild aus dem Schlaf umherstierte. Aber Victor, bisher wie in Gedanken verloren, hatte sich bei dem unerwarteten Anblick des wüsten Gesichts plötzlich aufgerichtet. Um Gotteswillen,
gekleideter Mann am Tiſche feſt eingeſchlafen, die Fe¬ der lag umgefallen noch zwiſchen ſeinen Fingern auf dem halbbeſchriebenen Blatte vor ihm.
Still, ſtill, der wird ein Paar Augen machen! ſagte Kordelchen, indem ſie Victor'n leiſe an der Hand in einen entfernten Winkel fuͤhrte und ihn dabei, eh' er ſich's verſah, herzhaft in den Finger biß. Dann ſetzte ſie ſich auf einen Reiſekoffer, oͤffnete ihre Schuͤrze, die voll Knackmandeln war, und fing vergnuͤgt an zu naſchen und zu plaudern, man ſah ihr recht die Freude aus den muntern Augen glaͤnzen. So in aller Geſchwindigkeit erzaͤhlte ſie ihm, daß ſie mit Otto'n aus dem langweiligen Italien ent¬ flohen, ſeit einigen Tagen hier ſey, und wieder auf's Theater wolle. Auf einmal ſah ſie Victor'n lange in's Geſicht. Armer Lothario, ſagte ſie, du ſieh'ſt ſchlecht aus. Dacht' ich's doch gleich, als du damals die Augen ſo hoch warfſt, ſiehſt du, wer hieß dich, Gemſen jagen! — Aber ſo iß doch mit — und haſt du die Fuͤrſtin heut geſehen? — ſie iſt als Graͤfin Juanna maskirt. — Dazwiſchen warf ſie wieder Mandelſchaalen nach dem Schreiber hinuͤber, der noch immer ſchlief.
Da fuhr dieſer erſchrocken auf — es war Otto — ſie wollte ſich todt lachen, wie er ſo wild aus dem Schlaf umherſtierte. Aber Victor, bisher wie in Gedanken verloren, hatte ſich bei dem unerwarteten Anblick des wuͤſten Geſichts ploͤtzlich aufgerichtet. Um Gotteswillen,
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gekleideter Mann am Tiſche feſt eingeſchlafen, die Fe¬
der lag umgefallen noch zwiſchen ſeinen Fingern auf
dem halbbeſchriebenen Blatte vor ihm.
Still, ſtill, der wird ein Paar Augen machen! ſagte
Kordelchen, indem ſie Victor'n leiſe an der Hand in einen
entfernten Winkel fuͤhrte und ihn dabei, eh' er ſich's verſah,
herzhaft in den Finger biß. Dann ſetzte ſie ſich auf einen
Reiſekoffer, oͤffnete ihre Schuͤrze, die voll Knackmandeln
war, und fing vergnuͤgt an zu naſchen und zu plaudern,
man ſah ihr recht die Freude aus den muntern Augen
glaͤnzen. So in aller Geſchwindigkeit erzaͤhlte ſie ihm,
daß ſie mit Otto'n aus dem langweiligen Italien ent¬
flohen, ſeit einigen Tagen hier ſey, und wieder auf's
Theater wolle. Auf einmal ſah ſie Victor'n lange
in's Geſicht. Armer Lothario, ſagte ſie, du ſieh'ſt
ſchlecht aus. Dacht' ich's doch gleich, als du damals
die Augen ſo hoch warfſt, ſiehſt du, wer hieß dich,
Gemſen jagen! — Aber ſo iß doch mit — und haſt
du die Fuͤrſtin heut geſehen? — ſie iſt als Graͤfin
Juanna maskirt. — Dazwiſchen warf ſie wieder
Mandelſchaalen nach dem Schreiber hinuͤber, der noch
immer ſchlief.
Da fuhr dieſer erſchrocken auf — es war Otto — ſie
wollte ſich todt lachen, wie er ſo wild aus dem Schlaf
umherſtierte. Aber Victor, bisher wie in Gedanken
verloren, hatte ſich bei dem unerwarteten Anblick des
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/267>, abgerufen am 24.11.2024.
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