ihn Gertrud trotzig, machte Manfreden eine kurze Verbeugung und ging nach dem Schlosse, wo die alte Haushälterin des Barons, die den Spektakel in der Hausthür verwundert mit angehört hatte, die Erhitzte aufnahm und in ihre Zimmer führte.
Ist sie nicht zum Küssen schön, wenn sie böse wird? sagte Dryander zu Manfred gewandt. Man¬ fred, ganz entrüstet über diese verkehrte, nichtsnutzige Wirthschaft, stellte ihn ernstlich zur Rede, daß er durch solche Tollheiten die Frau geistig vernichte. -- Ganz und gar nicht, erwiederte Dryander, faule Sta¬ turen werden erst in der Leidenschaft bedeutend und reizend, sie ist eigentlich sehr dumm. --
Unterdeß war ein Tisch mit Erfrischungen im Garten aufgeschlagen worden. Dryander nahm ohne weiteres Platz, band sich eine Serviette unter'm Kinne wie zum Rasiren vor, und begann so eifrig zu essen, wie Manfred noch niemals gesehen. Dazwischen er¬ zählte er, von allen Schüsseln zugleich zulangend, wie in seinem Bräutigams-Stande auf dem fürstlichen Jagdschlosse seine Aversion gegen eine feierliche Hoch¬ zeit ein unübersteigliches Hinderniß geworden, wie er sodann einmal plötzlich vor dem hochaufgestapelten Hochzeitsbette erschrocken und davongegangen, Gertrud aber bald darauf aus Melankolie gleichfalls von dem Schlosse verschwunden sey.
ihn Gertrud trotzig, machte Manfreden eine kurze Verbeugung und ging nach dem Schloſſe, wo die alte Haushaͤlterin des Barons, die den Spektakel in der Hausthuͤr verwundert mit angehoͤrt hatte, die Erhitzte aufnahm und in ihre Zimmer fuͤhrte.
Iſt ſie nicht zum Kuͤſſen ſchoͤn, wenn ſie boͤſe wird? ſagte Dryander zu Manfred gewandt. Man¬ fred, ganz entruͤſtet uͤber dieſe verkehrte, nichtsnutzige Wirthſchaft, ſtellte ihn ernſtlich zur Rede, daß er durch ſolche Tollheiten die Frau geiſtig vernichte. — Ganz und gar nicht, erwiederte Dryander, faule Sta¬ turen werden erſt in der Leidenſchaft bedeutend und reizend, ſie iſt eigentlich ſehr dumm. —
Unterdeß war ein Tiſch mit Erfriſchungen im Garten aufgeſchlagen worden. Dryander nahm ohne weiteres Platz, band ſich eine Serviette unter'm Kinne wie zum Raſiren vor, und begann ſo eifrig zu eſſen, wie Manfred noch niemals geſehen. Dazwiſchen er¬ zaͤhlte er, von allen Schuͤſſeln zugleich zulangend, wie in ſeinem Braͤutigams-Stande auf dem fuͤrſtlichen Jagdſchloſſe ſeine Averſion gegen eine feierliche Hoch¬ zeit ein unuͤberſteigliches Hinderniß geworden, wie er ſodann einmal ploͤtzlich vor dem hochaufgeſtapelten Hochzeitsbette erſchrocken und davongegangen, Gertrud aber bald darauf aus Melankolie gleichfalls von dem Schloſſe verſchwunden ſey.
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ihn Gertrud trotzig, machte Manfreden eine kurze
Verbeugung und ging nach dem Schloſſe, wo die alte
Haushaͤlterin des Barons, die den Spektakel in der
Hausthuͤr verwundert mit angehoͤrt hatte, die Erhitzte
aufnahm und in ihre Zimmer fuͤhrte.
Iſt ſie nicht zum Kuͤſſen ſchoͤn, wenn ſie boͤſe
wird? ſagte Dryander zu Manfred gewandt. Man¬
fred, ganz entruͤſtet uͤber dieſe verkehrte, nichtsnutzige
Wirthſchaft, ſtellte ihn ernſtlich zur Rede, daß er
durch ſolche Tollheiten die Frau geiſtig vernichte. —
Ganz und gar nicht, erwiederte Dryander, faule Sta¬
turen werden erſt in der Leidenſchaft bedeutend und
reizend, ſie iſt eigentlich ſehr dumm. —
Unterdeß war ein Tiſch mit Erfriſchungen im
Garten aufgeſchlagen worden. Dryander nahm ohne
weiteres Platz, band ſich eine Serviette unter'm Kinne
wie zum Raſiren vor, und begann ſo eifrig zu eſſen,
wie Manfred noch niemals geſehen. Dazwiſchen er¬
zaͤhlte er, von allen Schuͤſſeln zugleich zulangend, wie
in ſeinem Braͤutigams-Stande auf dem fuͤrſtlichen
Jagdſchloſſe ſeine Averſion gegen eine feierliche Hoch¬
zeit ein unuͤberſteigliches Hinderniß geworden, wie er
ſodann einmal ploͤtzlich vor dem hochaufgeſtapelten
Hochzeitsbette erſchrocken und davongegangen, Gertrud
aber bald darauf aus Melankolie gleichfalls von dem
Schloſſe verſchwunden ſey.
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/275>, abgerufen am 24.11.2024.
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