Der Einsiedler wandte sich hier und machte sich etwas mit dem Tische zu thun, denn er schämte sich, weil ihm die Thränen in den Augen standen. Man¬ fred aber stand auf, ein überraschender Gedanke schien durch seine Seele zu fliegen. Führt mich zu Vitalis hinauf, sagte er, ich muß ihn durchaus sprechen! Der Einsiedler schüttelte bedenklich den Kopf. Ich will's wohl thun, meinte er, aber seht Euch vor, wenn Euch bloß die Neugier treibt. -- Da war erst neulich Einer, ein junges Blut, der wollte durchaus mit Einsiedler werden. -- Aber ich dacht' mir's gleich -- denn zum gottseligen Leben gehört eine gute, feste Natur -- wenn er Nachts mit mir im Walde stand, da schauerte ihn, wie ein Mädchen, unsere alten Gebete waren ihm noch nicht schön genug, er setzte sie in künstliche Verse, dann weinte er auch zuviel und hatte so allerhand Sehnsuchten. Zuletzt hatte er gar ein junges, hüb¬ sches Hirtenmädchen aufgespürt, die wollt' er mit Ge¬ walt bekehren, aber sie war schon frömmer, als er, und, eh' er sich's versah, verliebt' er sich in sie, da wurde er ganz traurig -- und kurz, wie ich's vorausgesagt hatte, mit dem Herrn Vitalis ist nicht zu spaßen, der jagt' ihn wieder fort --
Hieß der junge Mann nicht Otto? fragte Dryan¬ der. -- Wahrhaftig, so nannte er sich, erwiederte der Einsiedler verwundert. --
Die Nacht war indeß völlig hereingebrochen, als
Der Einſiedler wandte ſich hier und machte ſich etwas mit dem Tiſche zu thun, denn er ſchaͤmte ſich, weil ihm die Thraͤnen in den Augen ſtanden. Man¬ fred aber ſtand auf, ein uͤberraſchender Gedanke ſchien durch ſeine Seele zu fliegen. Fuͤhrt mich zu Vitalis hinauf, ſagte er, ich muß ihn durchaus ſprechen! Der Einſiedler ſchuͤttelte bedenklich den Kopf. Ich will's wohl thun, meinte er, aber ſeht Euch vor, wenn Euch bloß die Neugier treibt. — Da war erſt neulich Einer, ein junges Blut, der wollte durchaus mit Einſiedler werden. — Aber ich dacht' mir's gleich — denn zum gottſeligen Leben gehoͤrt eine gute, feſte Natur — wenn er Nachts mit mir im Walde ſtand, da ſchauerte ihn, wie ein Maͤdchen, unſere alten Gebete waren ihm noch nicht ſchoͤn genug, er ſetzte ſie in kuͤnſtliche Verſe, dann weinte er auch zuviel und hatte ſo allerhand Sehnſuchten. Zuletzt hatte er gar ein junges, huͤb¬ ſches Hirtenmaͤdchen aufgeſpuͤrt, die wollt' er mit Ge¬ walt bekehren, aber ſie war ſchon froͤmmer, als er, und, eh' er ſich's verſah, verliebt' er ſich in ſie, da wurde er ganz traurig — und kurz, wie ich's vorausgeſagt hatte, mit dem Herrn Vitalis iſt nicht zu ſpaßen, der jagt' ihn wieder fort —
Hieß der junge Mann nicht Otto? fragte Dryan¬ der. — Wahrhaftig, ſo nannte er ſich, erwiederte der Einſiedler verwundert. —
Die Nacht war indeß voͤllig hereingebrochen, als
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Der Einſiedler wandte ſich hier und machte ſich
etwas mit dem Tiſche zu thun, denn er ſchaͤmte ſich,
weil ihm die Thraͤnen in den Augen ſtanden. Man¬
fred aber ſtand auf, ein uͤberraſchender Gedanke ſchien
durch ſeine Seele zu fliegen. Fuͤhrt mich zu Vitalis
hinauf, ſagte er, ich muß ihn durchaus ſprechen! Der
Einſiedler ſchuͤttelte bedenklich den Kopf. Ich will's
wohl thun, meinte er, aber ſeht Euch vor, wenn Euch
bloß die Neugier treibt. — Da war erſt neulich Einer,
ein junges Blut, der wollte durchaus mit Einſiedler
werden. — Aber ich dacht' mir's gleich — denn zum
gottſeligen Leben gehoͤrt eine gute, feſte Natur —
wenn er Nachts mit mir im Walde ſtand, da ſchauerte
ihn, wie ein Maͤdchen, unſere alten Gebete waren ihm
noch nicht ſchoͤn genug, er ſetzte ſie in kuͤnſtliche Verſe,
dann weinte er auch zuviel und hatte ſo allerhand
Sehnſuchten. Zuletzt hatte er gar ein junges, huͤb¬
ſches Hirtenmaͤdchen aufgeſpuͤrt, die wollt' er mit Ge¬
walt bekehren, aber ſie war ſchon froͤmmer, als er, und,
eh' er ſich's verſah, verliebt' er ſich in ſie, da wurde
er ganz traurig — und kurz, wie ich's vorausgeſagt
hatte, mit dem Herrn Vitalis iſt nicht zu ſpaßen, der
jagt' ihn wieder fort —
Hieß der junge Mann nicht Otto? fragte Dryan¬
der. — Wahrhaftig, ſo nannte er ſich, erwiederte der
Einſiedler verwundert. —
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/292>, abgerufen am 23.11.2024.
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