Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

klopfen sie furchtsam an die Thür, und es wird ihnen
aufgethan, aber sie sollen den Fremden dienen um das
tägliche Brot; darüber werden sie groß und alt und
kennen die Heimath und den Vater nicht mehr. O wer
ihnen allen den Frieden bringen könnte! Aber wer
das ehrlich will, muß erst Frieden stiften in sich selbst
und wenn er darüber zusammenbräche, was thut's! --
Sieh, Gesell, und das ist geistliches Recht und Ta¬
gewerk.

Ich alter Kerl stand ganz verblüfft vor ihm, denn
ich verstand schon gleich damals so viel davon, daß
ich bisher eigentlich noch gar nichts verstanden hatte
von meinem Metier. Vor meiner eigenen Thür wollt'
ich kehren und die ewige Seligkeit für mich allein zu¬
sammenknickern, wie ein filziger Schuft, als wär's dem
lieben Gott um mich allein zu thun in der Welt. --
Und seht, von der Stund' ab blieb der Jäger hier
auf den Bergen und wohnte im Kloster droben und
machte sich gemein mit mir, wie ein getreuer Kame¬
rad, und ist doch ein grundgelehrter Herr. Denn du
gefällst mir, sagt er, du machst keine Flausen mit dei¬
ner Frömmigkeit. Und wenn ich faste, so hungert er,
und wenn ich aufwache, so hat er die ganze Nacht
gewacht und gebetet, und trinkt keinen Wein und mag
keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal ver¬
zagen, so singt er ein schönes Lied, und -- kurz, das
ist der Herr Vitalis, von dem ihr unten gehört habt.

klopfen ſie furchtſam an die Thuͤr, und es wird ihnen
aufgethan, aber ſie ſollen den Fremden dienen um das
taͤgliche Brot; daruͤber werden ſie groß und alt und
kennen die Heimath und den Vater nicht mehr. O wer
ihnen allen den Frieden bringen koͤnnte! Aber wer
das ehrlich will, muß erſt Frieden ſtiften in ſich ſelbſt
und wenn er daruͤber zuſammenbraͤche, was thut's! —
Sieh, Geſell, und das iſt geiſtliches Recht und Ta¬
gewerk.

Ich alter Kerl ſtand ganz verbluͤfft vor ihm, denn
ich verſtand ſchon gleich damals ſo viel davon, daß
ich bisher eigentlich noch gar nichts verſtanden hatte
von meinem Metier. Vor meiner eigenen Thuͤr wollt'
ich kehren und die ewige Seligkeit fuͤr mich allein zu¬
ſammenknickern, wie ein filziger Schuft, als waͤr's dem
lieben Gott um mich allein zu thun in der Welt. —
Und ſeht, von der Stund' ab blieb der Jaͤger hier
auf den Bergen und wohnte im Kloſter droben und
machte ſich gemein mit mir, wie ein getreuer Kame¬
rad, und iſt doch ein grundgelehrter Herr. Denn du
gefaͤllſt mir, ſagt er, du machſt keine Flauſen mit dei¬
ner Froͤmmigkeit. Und wenn ich faſte, ſo hungert er,
und wenn ich aufwache, ſo hat er die ganze Nacht
gewacht und gebetet, und trinkt keinen Wein und mag
keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal ver¬
zagen, ſo ſingt er ein ſchoͤnes Lied, und — kurz, das
iſt der Herr Vitalis, von dem ihr unten gehoͤrt habt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0291" n="284"/>
klopfen &#x017F;ie furcht&#x017F;am an die Thu&#x0364;r, und es wird ihnen<lb/>
aufgethan, aber &#x017F;ie &#x017F;ollen den Fremden dienen um das<lb/>
ta&#x0364;gliche Brot; daru&#x0364;ber werden &#x017F;ie groß und alt und<lb/>
kennen die Heimath und den Vater nicht mehr. O wer<lb/>
ihnen allen den Frieden bringen ko&#x0364;nnte! Aber wer<lb/>
das ehrlich will, muß er&#x017F;t Frieden &#x017F;tiften in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
und wenn er daru&#x0364;ber zu&#x017F;ammenbra&#x0364;che, was thut's! &#x2014;<lb/>
Sieh, Ge&#x017F;ell, und das i&#x017F;t gei&#x017F;tliches Recht und Ta¬<lb/>
gewerk.</p><lb/>
          <p>Ich alter Kerl &#x017F;tand ganz verblu&#x0364;fft vor ihm, denn<lb/>
ich ver&#x017F;tand &#x017F;chon gleich damals &#x017F;o viel davon, daß<lb/>
ich bisher eigentlich noch gar nichts ver&#x017F;tanden hatte<lb/>
von meinem Metier. Vor meiner eigenen Thu&#x0364;r wollt'<lb/>
ich kehren und die ewige Seligkeit fu&#x0364;r mich allein zu¬<lb/>
&#x017F;ammenknickern, wie ein filziger Schuft, als wa&#x0364;r's dem<lb/>
lieben Gott um mich allein zu thun in der Welt. &#x2014;<lb/>
Und &#x017F;eht, von der Stund' ab blieb der Ja&#x0364;ger hier<lb/>
auf den Bergen und wohnte im Klo&#x017F;ter droben und<lb/>
machte &#x017F;ich gemein mit mir, wie ein getreuer Kame¬<lb/>
rad, und i&#x017F;t doch ein grundgelehrter Herr. Denn du<lb/>
gefa&#x0364;ll&#x017F;t mir, &#x017F;agt er, du mach&#x017F;t keine Flau&#x017F;en mit dei¬<lb/>
ner Fro&#x0364;mmigkeit. Und wenn ich fa&#x017F;te, &#x017F;o hungert er,<lb/>
und wenn ich aufwache, &#x017F;o hat er die ganze Nacht<lb/>
gewacht und gebetet, und trinkt keinen Wein und mag<lb/>
keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal ver¬<lb/>
zagen, &#x017F;o &#x017F;ingt er ein &#x017F;cho&#x0364;nes Lied, und &#x2014; kurz, das<lb/>
i&#x017F;t der Herr <hi rendition="#g">Vitalis</hi>, von dem ihr unten geho&#x0364;rt habt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0291] klopfen ſie furchtſam an die Thuͤr, und es wird ihnen aufgethan, aber ſie ſollen den Fremden dienen um das taͤgliche Brot; daruͤber werden ſie groß und alt und kennen die Heimath und den Vater nicht mehr. O wer ihnen allen den Frieden bringen koͤnnte! Aber wer das ehrlich will, muß erſt Frieden ſtiften in ſich ſelbſt und wenn er daruͤber zuſammenbraͤche, was thut's! — Sieh, Geſell, und das iſt geiſtliches Recht und Ta¬ gewerk. Ich alter Kerl ſtand ganz verbluͤfft vor ihm, denn ich verſtand ſchon gleich damals ſo viel davon, daß ich bisher eigentlich noch gar nichts verſtanden hatte von meinem Metier. Vor meiner eigenen Thuͤr wollt' ich kehren und die ewige Seligkeit fuͤr mich allein zu¬ ſammenknickern, wie ein filziger Schuft, als waͤr's dem lieben Gott um mich allein zu thun in der Welt. — Und ſeht, von der Stund' ab blieb der Jaͤger hier auf den Bergen und wohnte im Kloſter droben und machte ſich gemein mit mir, wie ein getreuer Kame¬ rad, und iſt doch ein grundgelehrter Herr. Denn du gefaͤllſt mir, ſagt er, du machſt keine Flauſen mit dei¬ ner Froͤmmigkeit. Und wenn ich faſte, ſo hungert er, und wenn ich aufwache, ſo hat er die ganze Nacht gewacht und gebetet, und trinkt keinen Wein und mag keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal ver¬ zagen, ſo ſingt er ein ſchoͤnes Lied, und — kurz, das iſt der Herr Vitalis, von dem ihr unten gehoͤrt habt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/291
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/291>, abgerufen am 23.11.2024.