Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

künste, in dieser geisterhaften Symmetrie der Laub¬
wände und stummen Marmorbilder ist eine Wehmuth,
die einen wahnsinnig machen könnte.

Jetzt standen sie an dem Abhang des Berges,
dessen obere Fläche das Schloß und der eigentliche
Ziergarten einnahmen. Von der, mit Epheu umrank¬
ten Felswand sah man hier plötzlich in tiefe Schluch¬
ten und Wiesenplätze hinab, wo im kühlen Schatten
uralter Bäume Rehe und Dammhirsche weideten, die
scheu die Köpfe nach ihnen emporhoben, und dann pfeil¬
schnell im tieferen Dunkel verschwanden. -- Sehen
Sie da, rief Fortunats Begleiter aus, das Großartige
und Kühne dieser Komposition. Ich betrete diesen Ort
nie ohne Ehrfurcht vor dem seltenen Genius dieses
Dichter-Grafen -- oder sagen wir es nur lieber gerad'
heraus: Dichterkönigs! besonders muß ich Sie hier
auf jene leichtgeschwungenen Brücken aufmerksam ma¬
chen. Sie führen, wie Sie sehen, über die Wipfel
der Bäume hinweg nach einzeln stehenden hohen, abge¬
rissenen Felsen hinüber, die, mit ihren bunten Gärtchen
auf den Gipfeln, wie funkelnde Blumenzinnen über die
Waldeinsamkeit emporragen. Diesen Einfall hat der
liebenswürdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er
legte diese hängenden Gärten an; das waren die Blocks¬
berge seiner Phantasie. Hier pflegte er als Knabe,
wenn ein Gewitter heraufzog, und im Schlosse alles
ängstlich durcheinander lief, vor der unermeßlichen Aus¬

kuͤnſte, in dieſer geiſterhaften Symmetrie der Laub¬
waͤnde und ſtummen Marmorbilder iſt eine Wehmuth,
die einen wahnſinnig machen koͤnnte.

Jetzt ſtanden ſie an dem Abhang des Berges,
deſſen obere Flaͤche das Schloß und der eigentliche
Ziergarten einnahmen. Von der, mit Epheu umrank¬
ten Felswand ſah man hier ploͤtzlich in tiefe Schluch¬
ten und Wieſenplaͤtze hinab, wo im kuͤhlen Schatten
uralter Baͤume Rehe und Dammhirſche weideten, die
ſcheu die Koͤpfe nach ihnen emporhoben, und dann pfeil¬
ſchnell im tieferen Dunkel verſchwanden. — Sehen
Sie da, rief Fortunats Begleiter aus, das Großartige
und Kuͤhne dieſer Kompoſition. Ich betrete dieſen Ort
nie ohne Ehrfurcht vor dem ſeltenen Genius dieſes
Dichter-Grafen — oder ſagen wir es nur lieber gerad'
heraus: Dichterkoͤnigs! beſonders muß ich Sie hier
auf jene leichtgeſchwungenen Bruͤcken aufmerkſam ma¬
chen. Sie fuͤhren, wie Sie ſehen, uͤber die Wipfel
der Baͤume hinweg nach einzeln ſtehenden hohen, abge¬
riſſenen Felſen hinuͤber, die, mit ihren bunten Gaͤrtchen
auf den Gipfeln, wie funkelnde Blumenzinnen uͤber die
Waldeinſamkeit emporragen. Dieſen Einfall hat der
liebenswuͤrdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er
legte dieſe haͤngenden Gaͤrten an; das waren die Blocks¬
berge ſeiner Phantaſie. Hier pflegte er als Knabe,
wenn ein Gewitter heraufzog, und im Schloſſe alles
aͤngſtlich durcheinander lief, vor der unermeßlichen Aus¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0032" n="25"/>
ku&#x0364;n&#x017F;te, in die&#x017F;er gei&#x017F;terhaften Symmetrie der Laub¬<lb/>
wa&#x0364;nde und &#x017F;tummen Marmorbilder i&#x017F;t eine Wehmuth,<lb/>
die einen wahn&#x017F;innig machen ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
          <p>Jetzt &#x017F;tanden &#x017F;ie an dem Abhang des Berges,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en obere Fla&#x0364;che das Schloß und der eigentliche<lb/>
Ziergarten einnahmen. Von der, mit Epheu umrank¬<lb/>
ten Felswand &#x017F;ah man hier plo&#x0364;tzlich in tiefe Schluch¬<lb/>
ten und Wie&#x017F;enpla&#x0364;tze hinab, wo im ku&#x0364;hlen Schatten<lb/>
uralter Ba&#x0364;ume Rehe und Dammhir&#x017F;che weideten, die<lb/>
&#x017F;cheu die Ko&#x0364;pfe nach ihnen emporhoben, und dann pfeil¬<lb/>
&#x017F;chnell im tieferen Dunkel ver&#x017F;chwanden. &#x2014; Sehen<lb/>
Sie da, rief Fortunats Begleiter aus, das Großartige<lb/>
und Ku&#x0364;hne die&#x017F;er Kompo&#x017F;ition. Ich betrete die&#x017F;en Ort<lb/>
nie ohne Ehrfurcht vor dem &#x017F;eltenen Genius die&#x017F;es<lb/>
Dichter-Grafen &#x2014; oder &#x017F;agen wir es nur lieber gerad'<lb/>
heraus: Dichterko&#x0364;nigs! be&#x017F;onders muß ich Sie hier<lb/>
auf jene leichtge&#x017F;chwungenen Bru&#x0364;cken aufmerk&#x017F;am ma¬<lb/>
chen. Sie fu&#x0364;hren, wie Sie &#x017F;ehen, u&#x0364;ber die Wipfel<lb/>
der Ba&#x0364;ume hinweg nach einzeln &#x017F;tehenden hohen, abge¬<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;enen Fel&#x017F;en hinu&#x0364;ber, die, mit ihren bunten Ga&#x0364;rtchen<lb/>
auf den Gipfeln, wie funkelnde Blumenzinnen u&#x0364;ber die<lb/>
Waldein&#x017F;amkeit emporragen. Die&#x017F;en Einfall hat der<lb/>
liebenswu&#x0364;rdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er<lb/>
legte die&#x017F;e ha&#x0364;ngenden Ga&#x0364;rten an; das waren die Blocks¬<lb/>
berge &#x017F;einer Phanta&#x017F;ie. Hier pflegte er als Knabe,<lb/>
wenn ein Gewitter heraufzog, und im Schlo&#x017F;&#x017F;e alles<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tlich durcheinander lief, vor der unermeßlichen Aus¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0032] kuͤnſte, in dieſer geiſterhaften Symmetrie der Laub¬ waͤnde und ſtummen Marmorbilder iſt eine Wehmuth, die einen wahnſinnig machen koͤnnte. Jetzt ſtanden ſie an dem Abhang des Berges, deſſen obere Flaͤche das Schloß und der eigentliche Ziergarten einnahmen. Von der, mit Epheu umrank¬ ten Felswand ſah man hier ploͤtzlich in tiefe Schluch¬ ten und Wieſenplaͤtze hinab, wo im kuͤhlen Schatten uralter Baͤume Rehe und Dammhirſche weideten, die ſcheu die Koͤpfe nach ihnen emporhoben, und dann pfeil¬ ſchnell im tieferen Dunkel verſchwanden. — Sehen Sie da, rief Fortunats Begleiter aus, das Großartige und Kuͤhne dieſer Kompoſition. Ich betrete dieſen Ort nie ohne Ehrfurcht vor dem ſeltenen Genius dieſes Dichter-Grafen — oder ſagen wir es nur lieber gerad' heraus: Dichterkoͤnigs! beſonders muß ich Sie hier auf jene leichtgeſchwungenen Bruͤcken aufmerkſam ma¬ chen. Sie fuͤhren, wie Sie ſehen, uͤber die Wipfel der Baͤume hinweg nach einzeln ſtehenden hohen, abge¬ riſſenen Felſen hinuͤber, die, mit ihren bunten Gaͤrtchen auf den Gipfeln, wie funkelnde Blumenzinnen uͤber die Waldeinſamkeit emporragen. Dieſen Einfall hat der liebenswuͤrdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er legte dieſe haͤngenden Gaͤrten an; das waren die Blocks¬ berge ſeiner Phantaſie. Hier pflegte er als Knabe, wenn ein Gewitter heraufzog, und im Schloſſe alles aͤngſtlich durcheinander lief, vor der unermeßlichen Aus¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/32
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/32>, abgerufen am 21.11.2024.