Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

unverwandt an. Ich kenn' dich recht gut, sagte sie
dann mit einem schlauen Lächeln, weißt du noch, wie
du uns in jener regnigten Nacht zum erstenmal trafst,
als wir nach einem kleinen Städtchen zogen? Damals
hatt' ich ein Loch im Strumpf, Kamilla stichelte dar¬
auf, denn Kamillen sind bitter -- ach nein, du bist's
nicht! schloß sie traurig. Dann hing sie sich in sei¬
nen Arm und flüsterte ihm geheimnißvoll zu: ich weiß
wohl, wie er eigentlich heißt, aber ich verrath's nicht,
sag' du's auch nicht weiter, denn die Nacht hat Oh¬
ren -- Ohren --

Und Augen verstohlen,
Wenn alles im Schlaf,
Da kommt er mich holen --
S'ist ein vornehmer Graf.
Kordelchen! Kordelchen! rief jetzt eine Stimme außer¬
halb des Gartens. Das Mädchen riß sich schnell los
und verschwand wie ein aufgescheuchtes Reh zwischen
den Bäumen. -- Otto sah ihr lange nach, dann, plötz¬
lich vom Entsetzen ergriffen, floh er unaufhaltsam über
die öden Gänge, aus dem Garten, durch die einsame
Vorstadt fort. Es war indeß schon völlig dunkel ge¬
worden, die Sterne spielten munter am Himmel, von
dem fernen Thurm in der Stadt sang die Spieluhr
wieder ihr frommes Lied; er mußte sein Gesicht mit
beiden Händen verdecken, es war, als zögen Engel
über ihn singend durch die stille Nacht.

unverwandt an. Ich kenn' dich recht gut, ſagte ſie
dann mit einem ſchlauen Laͤcheln, weißt du noch, wie
du uns in jener regnigten Nacht zum erſtenmal trafſt,
als wir nach einem kleinen Staͤdtchen zogen? Damals
hatt' ich ein Loch im Strumpf, Kamilla ſtichelte dar¬
auf, denn Kamillen ſind bitter — ach nein, du biſt's
nicht! ſchloß ſie traurig. Dann hing ſie ſich in ſei¬
nen Arm und fluͤſterte ihm geheimnißvoll zu: ich weiß
wohl, wie er eigentlich heißt, aber ich verrath's nicht,
ſag' du's auch nicht weiter, denn die Nacht hat Oh¬
ren — Ohren —

Und Augen verſtohlen,
Wenn alles im Schlaf,
Da kommt er mich holen —
S'iſt ein vornehmer Graf.
Kordelchen! Kordelchen! rief jetzt eine Stimme außer¬
halb des Gartens. Das Maͤdchen riß ſich ſchnell los
und verſchwand wie ein aufgeſcheuchtes Reh zwiſchen
den Baͤumen. — Otto ſah ihr lange nach, dann, ploͤtz¬
lich vom Entſetzen ergriffen, floh er unaufhaltſam uͤber
die oͤden Gaͤnge, aus dem Garten, durch die einſame
Vorſtadt fort. Es war indeß ſchon voͤllig dunkel ge¬
worden, die Sterne ſpielten munter am Himmel, von
dem fernen Thurm in der Stadt ſang die Spieluhr
wieder ihr frommes Lied; er mußte ſein Geſicht mit
beiden Haͤnden verdecken, es war, als zoͤgen Engel
uͤber ihn ſingend durch die ſtille Nacht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0325" n="318"/>
unverwandt an. Ich kenn' dich recht gut, &#x017F;agte &#x017F;ie<lb/>
dann mit einem &#x017F;chlauen La&#x0364;cheln, weißt du noch, wie<lb/>
du uns in jener regnigten Nacht zum er&#x017F;tenmal traf&#x017F;t,<lb/>
als wir nach einem kleinen Sta&#x0364;dtchen zogen? Damals<lb/>
hatt' ich ein Loch im Strumpf, Kamilla &#x017F;tichelte dar¬<lb/>
auf, denn Kamillen &#x017F;ind bitter &#x2014; ach nein, du bi&#x017F;t's<lb/>
nicht! &#x017F;chloß &#x017F;ie traurig. Dann hing &#x017F;ie &#x017F;ich in &#x017F;ei¬<lb/>
nen Arm und flu&#x0364;&#x017F;terte ihm geheimnißvoll zu: ich weiß<lb/>
wohl, wie er eigentlich heißt, aber ich verrath's nicht,<lb/>
&#x017F;ag' du's auch nicht weiter, denn die Nacht hat Oh¬<lb/>
ren &#x2014; Ohren &#x2014;<lb/><lg type="poem"><l>Und Augen ver&#x017F;tohlen,</l><lb/><l>Wenn alles im Schlaf,</l><lb/><l>Da kommt er mich holen &#x2014;</l><lb/><l>S'i&#x017F;t ein vornehmer Graf.</l><lb/></lg> Kordelchen! Kordelchen! rief jetzt eine Stimme außer¬<lb/>
halb des Gartens. Das Ma&#x0364;dchen riß &#x017F;ich &#x017F;chnell los<lb/>
und ver&#x017F;chwand wie ein aufge&#x017F;cheuchtes Reh zwi&#x017F;chen<lb/>
den Ba&#x0364;umen. &#x2014; Otto &#x017F;ah ihr lange nach, dann, plo&#x0364;tz¬<lb/>
lich vom Ent&#x017F;etzen ergriffen, floh er unaufhalt&#x017F;am u&#x0364;ber<lb/>
die o&#x0364;den Ga&#x0364;nge, aus dem Garten, durch die ein&#x017F;ame<lb/>
Vor&#x017F;tadt fort. Es war indeß &#x017F;chon vo&#x0364;llig dunkel ge¬<lb/>
worden, die Sterne &#x017F;pielten munter am Himmel, von<lb/>
dem fernen Thurm in der Stadt &#x017F;ang die Spieluhr<lb/>
wieder ihr frommes Lied; er mußte &#x017F;ein Ge&#x017F;icht mit<lb/>
beiden Ha&#x0364;nden verdecken, es war, als zo&#x0364;gen Engel<lb/>
u&#x0364;ber ihn &#x017F;ingend durch die &#x017F;tille Nacht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0325] unverwandt an. Ich kenn' dich recht gut, ſagte ſie dann mit einem ſchlauen Laͤcheln, weißt du noch, wie du uns in jener regnigten Nacht zum erſtenmal trafſt, als wir nach einem kleinen Staͤdtchen zogen? Damals hatt' ich ein Loch im Strumpf, Kamilla ſtichelte dar¬ auf, denn Kamillen ſind bitter — ach nein, du biſt's nicht! ſchloß ſie traurig. Dann hing ſie ſich in ſei¬ nen Arm und fluͤſterte ihm geheimnißvoll zu: ich weiß wohl, wie er eigentlich heißt, aber ich verrath's nicht, ſag' du's auch nicht weiter, denn die Nacht hat Oh¬ ren — Ohren — Und Augen verſtohlen, Wenn alles im Schlaf, Da kommt er mich holen — S'iſt ein vornehmer Graf. Kordelchen! Kordelchen! rief jetzt eine Stimme außer¬ halb des Gartens. Das Maͤdchen riß ſich ſchnell los und verſchwand wie ein aufgeſcheuchtes Reh zwiſchen den Baͤumen. — Otto ſah ihr lange nach, dann, ploͤtz¬ lich vom Entſetzen ergriffen, floh er unaufhaltſam uͤber die oͤden Gaͤnge, aus dem Garten, durch die einſame Vorſtadt fort. Es war indeß ſchon voͤllig dunkel ge¬ worden, die Sterne ſpielten munter am Himmel, von dem fernen Thurm in der Stadt ſang die Spieluhr wieder ihr frommes Lied; er mußte ſein Geſicht mit beiden Haͤnden verdecken, es war, als zoͤgen Engel uͤber ihn ſingend durch die ſtille Nacht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/325
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/325>, abgerufen am 22.11.2024.