lichen Teppich umgeschlagen und er sähe nun die gro¬ ben, rohen Fäden der glühenden Traumblumen -- ihm graute recht vor dieser faden Kehrseite des Lebens.
Hier hielt der Wagen plötzlich vor einem Hause mitten im Felde, ein Mann in Nachtmütze und Pelz trat verschlafen mit einer Laterne heraus, um einige Packete zu übergeben, und andere in Empfang zu neh¬ men. Währenddeß öffnete sich hinter ihm leise der Schieber des kleinen Fensters, der Wiederschein der Laterne beleuchtete flüchtig ein wunderschönes Mäd¬ chengesicht, das schnell wieder zurückfuhr. Otto erschrak, die Züge waren ihm bekannt, er konnte sich aber durchaus nicht besinnen. Da gähnte der Mann im Pelz. Friß mich nicht, Mauschel! rief ihm der lustige Conducteur vom Kutschbock zu. -- Ich esse kein Schweinefleisch, entgegnete der Jude trocken. Die Passagiere lachten, der Postillon knallte, und rasselnd flog der Wagen wieder in die stille Nacht hinaus.
Auf der nächsten Mittags-Station verließ Otto seine Reisegesellschaft, die jetzt schlummernd in allen Winkeln der Passagierstube umherlag, während die Rüstigeren, überwacht und verdrießlich, nach Kaffee, Rum und Butterbroten durcheinanderschrieen. Von hier aus gingen Seitenwege nach Hohenstein, dort im schattigen Grün wollte er ausruhen; er hofft' es noch vor Nacht zu erreichen, so matt und krank er sich auch fühlte. Er fragte nach dem nächsten Wege, man
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lichen Teppich umgeſchlagen und er ſaͤhe nun die gro¬ ben, rohen Faͤden der gluͤhenden Traumblumen — ihm graute recht vor dieſer faden Kehrſeite des Lebens.
Hier hielt der Wagen ploͤtzlich vor einem Hauſe mitten im Felde, ein Mann in Nachtmuͤtze und Pelz trat verſchlafen mit einer Laterne heraus, um einige Packete zu uͤbergeben, und andere in Empfang zu neh¬ men. Waͤhrenddeß oͤffnete ſich hinter ihm leiſe der Schieber des kleinen Fenſters, der Wiederſchein der Laterne beleuchtete fluͤchtig ein wunderſchoͤnes Maͤd¬ chengeſicht, das ſchnell wieder zuruͤckfuhr. Otto erſchrak, die Zuͤge waren ihm bekannt, er konnte ſich aber durchaus nicht beſinnen. Da gaͤhnte der Mann im Pelz. Friß mich nicht, Mauſchel! rief ihm der luſtige Conducteur vom Kutſchbock zu. — Ich eſſe kein Schweinefleiſch, entgegnete der Jude trocken. Die Paſſagiere lachten, der Poſtillon knallte, und raſſelnd flog der Wagen wieder in die ſtille Nacht hinaus.
Auf der naͤchſten Mittags-Station verließ Otto ſeine Reiſegeſellſchaft, die jetzt ſchlummernd in allen Winkeln der Paſſagierſtube umherlag, waͤhrend die Ruͤſtigeren, uͤberwacht und verdrießlich, nach Kaffee, Rum und Butterbroten durcheinanderſchrieen. Von hier aus gingen Seitenwege nach Hohenſtein, dort im ſchattigen Gruͤn wollte er ausruhen; er hofft' es noch vor Nacht zu erreichen, ſo matt und krank er ſich auch fuͤhlte. Er fragte nach dem naͤchſten Wege, man
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lichen Teppich umgeſchlagen und er ſaͤhe nun die gro¬
ben, rohen Faͤden der gluͤhenden Traumblumen — ihm
graute recht vor dieſer faden Kehrſeite des Lebens.
Hier hielt der Wagen ploͤtzlich vor einem Hauſe
mitten im Felde, ein Mann in Nachtmuͤtze und Pelz
trat verſchlafen mit einer Laterne heraus, um einige
Packete zu uͤbergeben, und andere in Empfang zu neh¬
men. Waͤhrenddeß oͤffnete ſich hinter ihm leiſe der
Schieber des kleinen Fenſters, der Wiederſchein der
Laterne beleuchtete fluͤchtig ein wunderſchoͤnes Maͤd¬
chengeſicht, das ſchnell wieder zuruͤckfuhr. Otto erſchrak,
die Zuͤge waren ihm bekannt, er konnte ſich aber
durchaus nicht beſinnen. Da gaͤhnte der Mann im
Pelz. Friß mich nicht, Mauſchel! rief ihm der luſtige
Conducteur vom Kutſchbock zu. — Ich eſſe kein
Schweinefleiſch, entgegnete der Jude trocken. Die
Paſſagiere lachten, der Poſtillon knallte, und raſſelnd
flog der Wagen wieder in die ſtille Nacht hinaus.
Auf der naͤchſten Mittags-Station verließ Otto
ſeine Reiſegeſellſchaft, die jetzt ſchlummernd in allen
Winkeln der Paſſagierſtube umherlag, waͤhrend die
Ruͤſtigeren, uͤberwacht und verdrießlich, nach Kaffee,
Rum und Butterbroten durcheinanderſchrieen. Von
hier aus gingen Seitenwege nach Hohenſtein, dort
im ſchattigen Gruͤn wollte er ausruhen; er hofft' es noch
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auch fuͤhlte. Er fragte nach dem naͤchſten Wege, man
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/328>, abgerufen am 22.11.2024.
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