Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Flüchtling Dryandern. Der Doctor aber
blickte noch immer wild zurück, setzte seinen Hut, der
vor Eile ganz schief saß, auf dem Kopfe zurecht und
schimpfte, außer sich vor Zorn und Schreck, über die
dumme Romantik: kaum beträte man das Revier
eines Poeten, so schössen verstorbene Doppelgänger,
gleich wahnsinnigen Pilzen, aus dem unvernünftigen
Boden und säßen auf den Klippen umher und wackel¬
ten mit den Köpfen. -- Da erkannte er auf einmal
in Fiametta's Augen das hübsche Jägerbürschchen vom
Donauschiff, und seine ganze Gedankenfolge bekam
dadurch plötzlich einen anderen Zug. Fiametta errö¬
thete und fragte ihn lächelnd, ob er sich noch mit ihr
schlagen wolle? Er aber besann sich nicht lange.
O, entgegnete er tapfer, ich habe damals auf dem
Schiffe alles recht gut gewußt, und wollte nur die
Damen ein wenig schrecken. -- Ja, ja, das hat die
Schiffsgesellschaft wohl gemerkt, sagte Fortunat, denn
sie haben deinen zurückgelassenen Hut über der Thür
des Wirthshauses angenagelt zum ewigen Gedächtniß
eines verwegenen Duellanten, der vor Zorn und Wuth
plötzlich die Verschwindsucht bekommen.

Unterdeß hatte der Einsiedler das Gebüsch hinter
der Mauer untersucht und kam nun mit großem Ge¬
lächter zurück. Gerade in dem wildverwachsenen Ver¬
steck, wo Dryander das Ständchen gebracht, befand
sich der zertrümmerte Eingang zur Klostergruft; dort

24

dem Fluͤchtling Dryandern. Der Doctor aber
blickte noch immer wild zuruͤck, ſetzte ſeinen Hut, der
vor Eile ganz ſchief ſaß, auf dem Kopfe zurecht und
ſchimpfte, außer ſich vor Zorn und Schreck, uͤber die
dumme Romantik: kaum betraͤte man das Revier
eines Poeten, ſo ſchoͤſſen verſtorbene Doppelgaͤnger,
gleich wahnſinnigen Pilzen, aus dem unvernuͤnftigen
Boden und ſaͤßen auf den Klippen umher und wackel¬
ten mit den Koͤpfen. — Da erkannte er auf einmal
in Fiametta's Augen das huͤbſche Jaͤgerbuͤrſchchen vom
Donauſchiff, und ſeine ganze Gedankenfolge bekam
dadurch ploͤtzlich einen anderen Zug. Fiametta erroͤ¬
thete und fragte ihn laͤchelnd, ob er ſich noch mit ihr
ſchlagen wolle? Er aber beſann ſich nicht lange.
O, entgegnete er tapfer, ich habe damals auf dem
Schiffe alles recht gut gewußt, und wollte nur die
Damen ein wenig ſchrecken. — Ja, ja, das hat die
Schiffsgeſellſchaft wohl gemerkt, ſagte Fortunat, denn
ſie haben deinen zuruͤckgelaſſenen Hut uͤber der Thuͤr
des Wirthshauſes angenagelt zum ewigen Gedaͤchtniß
eines verwegenen Duellanten, der vor Zorn und Wuth
ploͤtzlich die Verſchwindſucht bekommen.

Unterdeß hatte der Einſiedler das Gebuͤſch hinter
der Mauer unterſucht und kam nun mit großem Ge¬
laͤchter zuruͤck. Gerade in dem wildverwachſenen Ver¬
ſteck, wo Dryander das Staͤndchen gebracht, befand
ſich der zertruͤmmerte Eingang zur Kloſtergruft; dort

24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0376" n="369"/>
dem Flu&#x0364;chtling <hi rendition="#g">Dryandern</hi>. Der Doctor aber<lb/>
blickte noch immer wild zuru&#x0364;ck, &#x017F;etzte &#x017F;einen Hut, der<lb/>
vor Eile ganz &#x017F;chief &#x017F;aß, auf dem Kopfe zurecht und<lb/>
&#x017F;chimpfte, außer &#x017F;ich vor Zorn und Schreck, u&#x0364;ber die<lb/>
dumme Romantik: kaum betra&#x0364;te man das Revier<lb/>
eines Poeten, &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;torbene Doppelga&#x0364;nger,<lb/>
gleich wahn&#x017F;innigen Pilzen, aus dem unvernu&#x0364;nftigen<lb/>
Boden und &#x017F;a&#x0364;ßen auf den Klippen umher und wackel¬<lb/>
ten mit den Ko&#x0364;pfen. &#x2014; Da erkannte er auf einmal<lb/>
in Fiametta's Augen das hu&#x0364;b&#x017F;che Ja&#x0364;gerbu&#x0364;r&#x017F;chchen vom<lb/>
Donau&#x017F;chiff, und &#x017F;eine ganze Gedankenfolge bekam<lb/>
dadurch plo&#x0364;tzlich einen anderen Zug. Fiametta erro&#x0364;¬<lb/>
thete und fragte ihn la&#x0364;chelnd, ob er &#x017F;ich noch mit ihr<lb/>
&#x017F;chlagen wolle? Er aber be&#x017F;ann &#x017F;ich nicht lange.<lb/>
O, entgegnete er tapfer, ich habe damals auf dem<lb/>
Schiffe alles recht gut gewußt, und wollte nur die<lb/>
Damen ein wenig &#x017F;chrecken. &#x2014; Ja, ja, das hat die<lb/>
Schiffsge&#x017F;ell&#x017F;chaft wohl gemerkt, &#x017F;agte Fortunat, denn<lb/>
&#x017F;ie haben deinen zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;enen Hut u&#x0364;ber der Thu&#x0364;r<lb/>
des Wirthshau&#x017F;es angenagelt zum ewigen Geda&#x0364;chtniß<lb/>
eines verwegenen Duellanten, der vor Zorn und Wuth<lb/>
plo&#x0364;tzlich die Ver&#x017F;chwind&#x017F;ucht bekommen.</p><lb/>
          <p>Unterdeß hatte der Ein&#x017F;iedler das Gebu&#x0364;&#x017F;ch hinter<lb/>
der Mauer unter&#x017F;ucht und kam nun mit großem Ge¬<lb/>
la&#x0364;chter zuru&#x0364;ck. Gerade in dem wildverwach&#x017F;enen Ver¬<lb/>
&#x017F;teck, wo Dryander das Sta&#x0364;ndchen gebracht, befand<lb/>
&#x017F;ich der zertru&#x0364;mmerte Eingang zur Klo&#x017F;tergruft; dort<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">24<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0376] dem Fluͤchtling Dryandern. Der Doctor aber blickte noch immer wild zuruͤck, ſetzte ſeinen Hut, der vor Eile ganz ſchief ſaß, auf dem Kopfe zurecht und ſchimpfte, außer ſich vor Zorn und Schreck, uͤber die dumme Romantik: kaum betraͤte man das Revier eines Poeten, ſo ſchoͤſſen verſtorbene Doppelgaͤnger, gleich wahnſinnigen Pilzen, aus dem unvernuͤnftigen Boden und ſaͤßen auf den Klippen umher und wackel¬ ten mit den Koͤpfen. — Da erkannte er auf einmal in Fiametta's Augen das huͤbſche Jaͤgerbuͤrſchchen vom Donauſchiff, und ſeine ganze Gedankenfolge bekam dadurch ploͤtzlich einen anderen Zug. Fiametta erroͤ¬ thete und fragte ihn laͤchelnd, ob er ſich noch mit ihr ſchlagen wolle? Er aber beſann ſich nicht lange. O, entgegnete er tapfer, ich habe damals auf dem Schiffe alles recht gut gewußt, und wollte nur die Damen ein wenig ſchrecken. — Ja, ja, das hat die Schiffsgeſellſchaft wohl gemerkt, ſagte Fortunat, denn ſie haben deinen zuruͤckgelaſſenen Hut uͤber der Thuͤr des Wirthshauſes angenagelt zum ewigen Gedaͤchtniß eines verwegenen Duellanten, der vor Zorn und Wuth ploͤtzlich die Verſchwindſucht bekommen. Unterdeß hatte der Einſiedler das Gebuͤſch hinter der Mauer unterſucht und kam nun mit großem Ge¬ laͤchter zuruͤck. Gerade in dem wildverwachſenen Ver¬ ſteck, wo Dryander das Staͤndchen gebracht, befand ſich der zertruͤmmerte Eingang zur Kloſtergruft; dort 24

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/376
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/376>, abgerufen am 24.11.2024.