lingswetter, die Schwüle brütet und treibt alles vor¬ zeitig hervor, und ich fürchte, es schießt mehr in's Kraut, als in die Blüte. Unsere Jungens wissen schon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und recken und sehnen sich aus allen Gelenken heraus, wäh¬ rend wir in unserer lustigen und gesunden Jugendzeit ohne besondere Sehnsucht hinreichend dumme Streiche machten, und erst die fatalen Lümmeljahre überstehen mußten. Ja, es ist recht verdrießlich! Man möchte sich gern bequem, fröhlich und auf die Dauer einrich¬ ten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Don¬ ner verkündigt überall den unheimlichen Ernst, und so sitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwährend Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt. -- Unter¬ deß hatte Walter den verscheuchten Otto im Garten aufgefunden. Empört und in innerster Seele verletzt, saß er wie eine Nachteule mitten im Gestrüpp. Als er Waltern erblickte, sprang er rasch auf und kam ihm mit erzwungener, gleichgültiger Höflichkeit entgegen. Die Tante, sagte er, ist gewiß schon besorgt, daß ich draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die Nase ist ein empfindlicher Theil, da sitzt die Seele schon tiefer und wärmer, die ficht so leicht nichts an. -- Walter stand einen Augenblick verblüfft, denn es war ihm als säh er auf einmal sich selber als Studenten vor sich stehn, er war ganz aus seinem
lingswetter, die Schwuͤle bruͤtet und treibt alles vor¬ zeitig hervor, und ich fuͤrchte, es ſchießt mehr in's Kraut, als in die Bluͤte. Unſere Jungens wiſſen ſchon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und recken und ſehnen ſich aus allen Gelenken heraus, waͤh¬ rend wir in unſerer luſtigen und geſunden Jugendzeit ohne beſondere Sehnſucht hinreichend dumme Streiche machten, und erſt die fatalen Luͤmmeljahre uͤberſtehen mußten. Ja, es iſt recht verdrießlich! Man moͤchte ſich gern bequem, froͤhlich und auf die Dauer einrich¬ ten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Don¬ ner verkuͤndigt uͤberall den unheimlichen Ernſt, und ſo ſitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwaͤhrend Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt. — Unter¬ deß hatte Walter den verſcheuchten Otto im Garten aufgefunden. Empoͤrt und in innerſter Seele verletzt, ſaß er wie eine Nachteule mitten im Geſtruͤpp. Als er Waltern erblickte, ſprang er raſch auf und kam ihm mit erzwungener, gleichguͤltiger Hoͤflichkeit entgegen. Die Tante, ſagte er, iſt gewiß ſchon beſorgt, daß ich draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die Naſe iſt ein empfindlicher Theil, da ſitzt die Seele ſchon tiefer und waͤrmer, die ficht ſo leicht nichts an. — Walter ſtand einen Augenblick verbluͤfft, denn es war ihm als ſaͤh er auf einmal ſich ſelber als Studenten vor ſich ſtehn, er war ganz aus ſeinem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0054"n="47"/>
lingswetter, die Schwuͤle bruͤtet und treibt alles vor¬<lb/>
zeitig hervor, und ich fuͤrchte, es ſchießt mehr in's<lb/>
Kraut, als in die Bluͤte. Unſere Jungens wiſſen<lb/>ſchon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und<lb/>
recken und ſehnen ſich aus allen Gelenken heraus, waͤh¬<lb/>
rend wir in unſerer luſtigen und geſunden Jugendzeit<lb/>
ohne beſondere Sehnſucht hinreichend dumme Streiche<lb/>
machten, und erſt die fatalen Luͤmmeljahre uͤberſtehen<lb/>
mußten. Ja, es iſt recht verdrießlich! Man moͤchte<lb/>ſich gern bequem, froͤhlich und auf die Dauer einrich¬<lb/>
ten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Don¬<lb/>
ner verkuͤndigt uͤberall den unheimlichen Ernſt, und ſo<lb/>ſitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung<lb/>
vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwaͤhrend<lb/>
Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt. — Unter¬<lb/>
deß hatte Walter den verſcheuchten Otto im Garten<lb/>
aufgefunden. Empoͤrt und in innerſter Seele verletzt,<lb/>ſaß er wie eine Nachteule mitten im Geſtruͤpp. Als<lb/>
er Waltern erblickte, ſprang er raſch auf und kam ihm<lb/>
mit erzwungener, gleichguͤltiger Hoͤflichkeit entgegen.<lb/>
Die Tante, ſagte er, iſt gewiß ſchon beſorgt, daß ich<lb/>
draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die<lb/>
Naſe iſt ein empfindlicher Theil, da ſitzt die Seele<lb/>ſchon tiefer und waͤrmer, die ficht ſo leicht nichts<lb/>
an. — Walter ſtand einen Augenblick verbluͤfft, denn<lb/>
es war ihm als ſaͤh er auf einmal ſich ſelber als<lb/>
Studenten vor ſich ſtehn, er war ganz aus ſeinem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[47/0054]
lingswetter, die Schwuͤle bruͤtet und treibt alles vor¬
zeitig hervor, und ich fuͤrchte, es ſchießt mehr in's
Kraut, als in die Bluͤte. Unſere Jungens wiſſen
ſchon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und
recken und ſehnen ſich aus allen Gelenken heraus, waͤh¬
rend wir in unſerer luſtigen und geſunden Jugendzeit
ohne beſondere Sehnſucht hinreichend dumme Streiche
machten, und erſt die fatalen Luͤmmeljahre uͤberſtehen
mußten. Ja, es iſt recht verdrießlich! Man moͤchte
ſich gern bequem, froͤhlich und auf die Dauer einrich¬
ten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Don¬
ner verkuͤndigt uͤberall den unheimlichen Ernſt, und ſo
ſitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung
vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwaͤhrend
Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt. — Unter¬
deß hatte Walter den verſcheuchten Otto im Garten
aufgefunden. Empoͤrt und in innerſter Seele verletzt,
ſaß er wie eine Nachteule mitten im Geſtruͤpp. Als
er Waltern erblickte, ſprang er raſch auf und kam ihm
mit erzwungener, gleichguͤltiger Hoͤflichkeit entgegen.
Die Tante, ſagte er, iſt gewiß ſchon beſorgt, daß ich
draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die
Naſe iſt ein empfindlicher Theil, da ſitzt die Seele
ſchon tiefer und waͤrmer, die ficht ſo leicht nichts
an. — Walter ſtand einen Augenblick verbluͤfft, denn
es war ihm als ſaͤh er auf einmal ſich ſelber als
Studenten vor ſich ſtehn, er war ganz aus ſeinem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/54>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.