Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Der Fromme. Es saß ein Kind gebunden und gefangen, Wo vor der Menschen eitlem Thun und Schallen Der Vorzeit Wunderlaute trüb verhallen; Der alten Heimath dacht' sie voll Verlangen. Da sieht sie draußen Ströme, hell ergangen, Durch zaub'risch Land viel Pilger, Sänger wallen, Kühl rauscht der Wald, die lust'gen Hörner schallen, Aurora scheint, so weit die Blicke langen. -- O laß die Sehnsucht ganz Dein Herz durchdringen! So legt sich blühend um die Welt Dein Trauern Und himmlisch wird Dein Schmerz und Deine Sor¬ gen. Ein frisch Gemüth mag wohl die Welt bezwingen, Ein recht Gebet bricht Banden bald und Mauern: Und frei springst Du hinunter in den Morgen. Willkommen, Liebchen, denn am Meeresstrande! Wie rauschen lockend da an's Herz die Wellen Und tiefe Sehnsucht will die Seele schwellen, Wenn and're träge schlafen auf dem Lande. So walte Gott! -- ich lös' des Schiffleins Bande,
Wegweiser sind die Stern', die ewig hellen, Viel Seegel fahren da und frisch' Gesellen Begrüßend uns von ihrer Schiffe Rande. Der Fromme. Es ſaß ein Kind gebunden und gefangen, Wo vor der Menſchen eitlem Thun und Schallen Der Vorzeit Wunderlaute truͤb verhallen; Der alten Heimath dacht' ſie voll Verlangen. Da ſieht ſie draußen Stroͤme, hell ergangen, Durch zaub'riſch Land viel Pilger, Saͤnger wallen, Kuͤhl rauſcht der Wald, die luſt'gen Hoͤrner ſchallen, Aurora ſcheint, ſo weit die Blicke langen. — O laß die Sehnſucht ganz Dein Herz durchdringen! So legt ſich bluͤhend um die Welt Dein Trauern Und himmliſch wird Dein Schmerz und Deine Sor¬ gen. Ein friſch Gemuͤth mag wohl die Welt bezwingen, Ein recht Gebet bricht Banden bald und Mauern: Und frei ſpringſt Du hinunter in den Morgen. Willkommen, Liebchen, denn am Meeresſtrande! Wie rauſchen lockend da an's Herz die Wellen Und tiefe Sehnſucht will die Seele ſchwellen, Wenn and're traͤge ſchlafen auf dem Lande. So walte Gott! — ich loͤſ' des Schiffleins Bande,
Wegweiſer ſind die Stern', die ewig hellen, Viel Seegel fahren da und friſch' Geſellen Begruͤßend uns von ihrer Schiffe Rande. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0274" n="256"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Der Fromme</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">E</hi>s ſaß ein Kind gebunden und gefangen,</l><lb/> <l>Wo vor der Menſchen eitlem Thun und Schallen</l><lb/> <l>Der Vorzeit Wunderlaute truͤb verhallen;</l><lb/> <l>Der alten Heimath dacht' ſie voll Verlangen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Da ſieht ſie draußen Stroͤme, hell ergangen,</l><lb/> <l>Durch zaub'riſch Land viel Pilger, Saͤnger wallen,</l><lb/> <l>Kuͤhl rauſcht der Wald, die luſt'gen Hoͤrner ſchallen,</l><lb/> <l>Aurora ſcheint, ſo weit die Blicke langen. —</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>O laß die Sehnſucht ganz Dein Herz durchdringen!</l><lb/> <l>So legt ſich bluͤhend um die Welt Dein Trauern</l><lb/> <l>Und himmliſch wird Dein Schmerz und Deine Sor¬</l><lb/> <l>gen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Ein friſch Gemuͤth mag wohl die Welt bezwingen,</l><lb/> <l>Ein recht Gebet bricht Banden bald und Mauern:</l><lb/> <l>Und frei ſpringſt Du hinunter in den Morgen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Willkommen, Liebchen, denn am Meeresſtrande!</l><lb/> <l>Wie rauſchen lockend da an's Herz die Wellen</l><lb/> <l>Und tiefe Sehnſucht will die Seele ſchwellen,</l><lb/> <l>Wenn and're traͤge ſchlafen auf dem Lande.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>So walte Gott! — ich loͤſ' des Schiffleins Bande,</l><lb/> <l>Wegweiſer ſind die Stern', die ewig hellen,</l><lb/> <l>Viel Seegel fahren da und friſch' Geſellen</l><lb/> <l>Begruͤßend uns von ihrer Schiffe Rande.</l><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [256/0274]
Der Fromme.
Es ſaß ein Kind gebunden und gefangen,
Wo vor der Menſchen eitlem Thun und Schallen
Der Vorzeit Wunderlaute truͤb verhallen;
Der alten Heimath dacht' ſie voll Verlangen.
Da ſieht ſie draußen Stroͤme, hell ergangen,
Durch zaub'riſch Land viel Pilger, Saͤnger wallen,
Kuͤhl rauſcht der Wald, die luſt'gen Hoͤrner ſchallen,
Aurora ſcheint, ſo weit die Blicke langen. —
O laß die Sehnſucht ganz Dein Herz durchdringen!
So legt ſich bluͤhend um die Welt Dein Trauern
Und himmliſch wird Dein Schmerz und Deine Sor¬
gen.
Ein friſch Gemuͤth mag wohl die Welt bezwingen,
Ein recht Gebet bricht Banden bald und Mauern:
Und frei ſpringſt Du hinunter in den Morgen.
Willkommen, Liebchen, denn am Meeresſtrande!
Wie rauſchen lockend da an's Herz die Wellen
Und tiefe Sehnſucht will die Seele ſchwellen,
Wenn and're traͤge ſchlafen auf dem Lande.
So walte Gott! — ich loͤſ' des Schiffleins Bande,
Wegweiſer ſind die Stern', die ewig hellen,
Viel Seegel fahren da und friſch' Geſellen
Begruͤßend uns von ihrer Schiffe Rande.
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