Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten, An jenes letzten Abends rothe Kühle, Wo ich die theure Hand noch durfte halten: Steh' ich oft sinnend stille im Gewühle, Und, wie den Schweizer heim'sche Alphornslieder Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen, Oft unverhofft befallen, Kommt tiefe Sehnsucht plötzlich auf mich nieder.
Ich hab' es oft in Deiner Brust gelesen: Nie hast Du recht mich in mir selbst gefunden, Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Wesen, Und so bin ich im Strome Dir verschwunden. O nenn' drum nicht die schöne Jugend wilde, Die mit dem Leben und mit seinen Schmerzen Mag unbekümmert scherzen, Weil sie die Brust reich fühlt und ernst und milde!
Getrennt ist längst schon uns'res Lebens Reise, Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden. Dem festern Blick erweitern sich die Kreise, In Duft ist jenes erste Reich verschwunden -- Doch, wie die Pfade einsam sich verwildern, Was ich seitdem von Lust und Leid bezwungen, Geliebt, geirrt, gesungen: Ich knie' vor Dir in all' den tausend Bildern.
An die Entfernte.
I.
Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten, An jenes letzten Abends rothe Kuͤhle, Wo ich die theure Hand noch durfte halten: Steh' ich oft ſinnend ſtille im Gewuͤhle, Und, wie den Schweizer heim'ſche Alphornslieder Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen, Oft unverhofft befallen, Kommt tiefe Sehnſucht ploͤtzlich auf mich nieder.
Ich hab' es oft in Deiner Bruſt geleſen: Nie haſt Du recht mich in mir ſelbſt gefunden, Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Weſen, Und ſo bin ich im Strome Dir verſchwunden. O nenn' drum nicht die ſchoͤne Jugend wilde, Die mit dem Leben und mit ſeinen Schmerzen Mag unbekuͤmmert ſcherzen, Weil ſie die Bruſt reich fuͤhlt und ernſt und milde!
Getrennt iſt laͤngſt ſchon unſ'res Lebens Reiſe, Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden. Dem feſtern Blick erweitern ſich die Kreiſe, In Duft iſt jenes erſte Reich verſchwunden — Doch, wie die Pfade einſam ſich verwildern, Was ich ſeitdem von Luſt und Leid bezwungen, Geliebt, geirrt, geſungen: Ich knie' vor Dir in all' den tauſend Bildern.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0316"n="298"/></div><divn="2"><head><hirendition="#b #g">An die Entfernte</hi><hirendition="#b">.</hi><lb/></head><lg><head><hirendition="#aq">I</hi>.<lb/></head><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">D</hi>enk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten,</l><lb/><l>An jenes letzten Abends rothe Kuͤhle,</l><lb/><l>Wo ich die theure Hand noch durfte halten:</l><lb/><l>Steh' ich oft ſinnend ſtille im Gewuͤhle,</l><lb/><l>Und, wie den Schweizer heim'ſche Alphornslieder</l><lb/><l>Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,</l><lb/><l>Oft unverhofft befallen,</l><lb/><l>Kommt tiefe Sehnſucht ploͤtzlich auf mich nieder.</l><lb/></lg><lgtype="poem"><l>Ich hab' es oft in Deiner Bruſt geleſen:</l><lb/><l>Nie haſt Du recht mich in mir ſelbſt gefunden,</l><lb/><l>Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Weſen,</l><lb/><l>Und ſo bin ich im Strome Dir verſchwunden.</l><lb/><l>O nenn' drum nicht die ſchoͤne Jugend wilde,</l><lb/><l>Die mit dem Leben und mit ſeinen Schmerzen</l><lb/><l>Mag unbekuͤmmert ſcherzen,</l><lb/><l>Weil ſie die Bruſt reich fuͤhlt und ernſt und milde!</l><lb/></lg><lgtype="poem"><l>Getrennt iſt laͤngſt ſchon unſ'res Lebens Reiſe,</l><lb/><l>Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden.</l><lb/><l>Dem feſtern Blick erweitern ſich die Kreiſe,</l><lb/><l>In Duft iſt jenes erſte Reich verſchwunden —</l><lb/><l>Doch, wie die Pfade einſam ſich verwildern,</l><lb/><l>Was ich ſeitdem von Luſt und Leid bezwungen,</l><lb/><l>Geliebt, geirrt, geſungen:</l><lb/><l>Ich knie' vor Dir in all' den tauſend Bildern.</l><lb/></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[298/0316]
An die Entfernte.
I.
Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten,
An jenes letzten Abends rothe Kuͤhle,
Wo ich die theure Hand noch durfte halten:
Steh' ich oft ſinnend ſtille im Gewuͤhle,
Und, wie den Schweizer heim'ſche Alphornslieder
Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,
Oft unverhofft befallen,
Kommt tiefe Sehnſucht ploͤtzlich auf mich nieder.
Ich hab' es oft in Deiner Bruſt geleſen:
Nie haſt Du recht mich in mir ſelbſt gefunden,
Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Weſen,
Und ſo bin ich im Strome Dir verſchwunden.
O nenn' drum nicht die ſchoͤne Jugend wilde,
Die mit dem Leben und mit ſeinen Schmerzen
Mag unbekuͤmmert ſcherzen,
Weil ſie die Bruſt reich fuͤhlt und ernſt und milde!
Getrennt iſt laͤngſt ſchon unſ'res Lebens Reiſe,
Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden.
Dem feſtern Blick erweitern ſich die Kreiſe,
In Duft iſt jenes erſte Reich verſchwunden —
Doch, wie die Pfade einſam ſich verwildern,
Was ich ſeitdem von Luſt und Leid bezwungen,
Geliebt, geirrt, geſungen:
Ich knie' vor Dir in all' den tauſend Bildern.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/316>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.