Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

einmal nicht anders, das haben wir Virtuosen alle so
an uns." -- "Ach so!" entgegnete das Mädchen. Sie
wollte noch etwas mehr sagen, aber da entstand auf
einmal ein entsetzliches Gepolter im Wirthshause, die
Hausthüre ging mit großem Gekrache auf und ein
dünner Kerl kam wie ein ausgeschoßner Ladstock her¬
ausgeflogen, worauf die Thür sogleich wieder hinter
ihm zugeschlagen wurde.

Das Mädchen war bei dem ersten Geräusch wie
ein Reh davon gesprungen und im Dunkel verschwun¬
den. Die Figur vor der Thür aber raffte sich hurtig
wieder vom Boden auf und fing nun an mit solcher
Geschwindigkeit gegen das Haus loszuschimpfen, daß es
ordentlich zum Erstaunen war. "Was!" schrie er, "ich
besoffen? ich die Kreidestriche an der verräucherten Thür
nicht bezahlen? Löscht sie aus, löscht sie aus! Hab' ich
Euch nicht erst gestern über'n Kochlöffel balbirt und
in die Nase geschnitten, daß Ihr mir den Löffel morsch
entzwei gebissen habt? Balbieren macht einen Strich --
Kochlöffel, wieder ein Strich -- Pflaster auf die Nase,
noch ein Strich -- wieviel solche hundsföttische Stri¬
che wollt Ihr denn noch bezahlt haben? Aber gut,
schon gut! ich lasse das ganze Dorf, die ganze Welt
ungeschoren. Lauf't meinetwegen mit Euren Bärten,
daß der liebe Gott am jüngsten Tage nicht weiß, ob
Ihr Juden seid oder Christen! Ja, hängt Euch an
Euren eignen Bärten auf, Ihr zottigen Landbären!"
Hier brach er auf einmal in ein jämmerliches Weinen
aus und fuhr ganz erbärmlich durch die Fistel fort:

einmal nicht anders, das haben wir Virtuoſen alle ſo
an uns.“ — „Ach ſo!“ entgegnete das Maͤdchen. Sie
wollte noch etwas mehr ſagen, aber da entſtand auf
einmal ein entſetzliches Gepolter im Wirthshauſe, die
Hausthuͤre ging mit großem Gekrache auf und ein
duͤnner Kerl kam wie ein ausgeſchoßner Ladſtock her¬
ausgeflogen, worauf die Thuͤr ſogleich wieder hinter
ihm zugeſchlagen wurde.

Das Maͤdchen war bei dem erſten Geraͤuſch wie
ein Reh davon geſprungen und im Dunkel verſchwun¬
den. Die Figur vor der Thuͤr aber raffte ſich hurtig
wieder vom Boden auf und fing nun an mit ſolcher
Geſchwindigkeit gegen das Haus loszuſchimpfen, daß es
ordentlich zum Erſtaunen war. „Was!“ ſchrie er, „ich
beſoffen? ich die Kreideſtriche an der verraͤucherten Thuͤr
nicht bezahlen? Loͤſcht ſie aus, loͤſcht ſie aus! Hab' ich
Euch nicht erſt geſtern uͤber'n Kochloͤffel balbirt und
in die Naſe geſchnitten, daß Ihr mir den Loͤffel morſch
entzwei gebiſſen habt? Balbieren macht einen Strich —
Kochloͤffel, wieder ein Strich — Pflaſter auf die Naſe,
noch ein Strich — wieviel ſolche hundsfoͤttiſche Stri¬
che wollt Ihr denn noch bezahlt haben? Aber gut,
ſchon gut! ich laſſe das ganze Dorf, die ganze Welt
ungeſchoren. Lauf't meinetwegen mit Euren Baͤrten,
daß der liebe Gott am juͤngſten Tage nicht weiß, ob
Ihr Juden ſeid oder Chriſten! Ja, haͤngt Euch an
Euren eignen Baͤrten auf, Ihr zottigen Landbaͤren!“
Hier brach er auf einmal in ein jaͤmmerliches Weinen
aus und fuhr ganz erbaͤrmlich durch die Fiſtel fort:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0053" n="43"/>
einmal nicht anders, das haben wir Virtuo&#x017F;en alle &#x017F;o<lb/>
an uns.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ach &#x017F;o!&#x201C; entgegnete das Ma&#x0364;dchen. Sie<lb/>
wollte noch etwas mehr &#x017F;agen, aber da ent&#x017F;tand auf<lb/>
einmal ein ent&#x017F;etzliches Gepolter im Wirthshau&#x017F;e, die<lb/>
Hausthu&#x0364;re ging mit großem Gekrache auf und ein<lb/>
du&#x0364;nner Kerl kam wie ein ausge&#x017F;choßner Lad&#x017F;tock her¬<lb/>
ausgeflogen, worauf die Thu&#x0364;r &#x017F;ogleich wieder hinter<lb/>
ihm zuge&#x017F;chlagen wurde.</p><lb/>
          <p>Das Ma&#x0364;dchen war bei dem er&#x017F;ten Gera&#x0364;u&#x017F;ch wie<lb/>
ein Reh davon ge&#x017F;prungen und im Dunkel ver&#x017F;chwun¬<lb/>
den. Die Figur vor der Thu&#x0364;r aber raffte &#x017F;ich hurtig<lb/>
wieder vom Boden auf und fing nun an mit &#x017F;olcher<lb/><choice><sic>Ge&#x017F;chindigkeit</sic><corr>Ge&#x017F;chwindigkeit</corr></choice> gegen das <choice><sic>Hans</sic><corr>Haus</corr></choice> loszu&#x017F;chimpfen, daß es<lb/>
ordentlich zum Er&#x017F;taunen war. &#x201E;Was!&#x201C; &#x017F;chrie er, &#x201E;ich<lb/>
be&#x017F;offen? ich die Kreide&#x017F;triche an der verra&#x0364;ucherten Thu&#x0364;r<lb/>
nicht bezahlen? Lo&#x0364;&#x017F;cht &#x017F;ie aus, lo&#x0364;&#x017F;cht &#x017F;ie aus! Hab' ich<lb/>
Euch nicht er&#x017F;t ge&#x017F;tern u&#x0364;ber'n Kochlo&#x0364;ffel balbirt und<lb/>
in die Na&#x017F;e ge&#x017F;chnitten, daß Ihr mir den Lo&#x0364;ffel mor&#x017F;ch<lb/>
entzwei gebi&#x017F;&#x017F;en habt? Balbieren macht einen Strich &#x2014;<lb/>
Kochlo&#x0364;ffel, wieder ein Strich &#x2014; Pfla&#x017F;ter auf die Na&#x017F;e,<lb/>
noch ein Strich &#x2014; wieviel &#x017F;olche hundsfo&#x0364;tti&#x017F;che Stri¬<lb/>
che wollt Ihr denn noch bezahlt haben? Aber gut,<lb/>
&#x017F;chon gut! ich la&#x017F;&#x017F;e das ganze Dorf, die ganze Welt<lb/>
unge&#x017F;choren. Lauf't meinetwegen mit Euren Ba&#x0364;rten,<lb/>
daß der liebe Gott am ju&#x0364;ng&#x017F;ten Tage nicht weiß, ob<lb/>
Ihr Juden &#x017F;eid oder Chri&#x017F;ten! Ja, ha&#x0364;ngt Euch an<lb/>
Euren eignen Ba&#x0364;rten auf, Ihr zottigen Landba&#x0364;ren!&#x201C;<lb/>
Hier brach er auf einmal in ein ja&#x0364;mmerliches Weinen<lb/>
aus und fuhr ganz erba&#x0364;rmlich durch die Fi&#x017F;tel fort:<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0053] einmal nicht anders, das haben wir Virtuoſen alle ſo an uns.“ — „Ach ſo!“ entgegnete das Maͤdchen. Sie wollte noch etwas mehr ſagen, aber da entſtand auf einmal ein entſetzliches Gepolter im Wirthshauſe, die Hausthuͤre ging mit großem Gekrache auf und ein duͤnner Kerl kam wie ein ausgeſchoßner Ladſtock her¬ ausgeflogen, worauf die Thuͤr ſogleich wieder hinter ihm zugeſchlagen wurde. Das Maͤdchen war bei dem erſten Geraͤuſch wie ein Reh davon geſprungen und im Dunkel verſchwun¬ den. Die Figur vor der Thuͤr aber raffte ſich hurtig wieder vom Boden auf und fing nun an mit ſolcher Geſchwindigkeit gegen das Haus loszuſchimpfen, daß es ordentlich zum Erſtaunen war. „Was!“ ſchrie er, „ich beſoffen? ich die Kreideſtriche an der verraͤucherten Thuͤr nicht bezahlen? Loͤſcht ſie aus, loͤſcht ſie aus! Hab' ich Euch nicht erſt geſtern uͤber'n Kochloͤffel balbirt und in die Naſe geſchnitten, daß Ihr mir den Loͤffel morſch entzwei gebiſſen habt? Balbieren macht einen Strich — Kochloͤffel, wieder ein Strich — Pflaſter auf die Naſe, noch ein Strich — wieviel ſolche hundsfoͤttiſche Stri¬ che wollt Ihr denn noch bezahlt haben? Aber gut, ſchon gut! ich laſſe das ganze Dorf, die ganze Welt ungeſchoren. Lauf't meinetwegen mit Euren Baͤrten, daß der liebe Gott am juͤngſten Tage nicht weiß, ob Ihr Juden ſeid oder Chriſten! Ja, haͤngt Euch an Euren eignen Baͤrten auf, Ihr zottigen Landbaͤren!“ Hier brach er auf einmal in ein jaͤmmerliches Weinen aus und fuhr ganz erbaͤrmlich durch die Fiſtel fort:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/53
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/53>, abgerufen am 22.11.2024.