Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886."O, nehmt mich mit zum Felsen, gnäd'ge Frau!
Laßt mich im hellen Sonnenlichte wieder Die Stätte schau'n, da jüngst ich Obdach fand; Vielleicht entdeck' ich noch im Sand ein Zeichen Und eine Spur, die von Bedeutung ist." Die Fürstin nickt, reicht lächelnd ihr die Hand Und spricht: "Wohlan, laßt uns in frohem Zuge Das Teufelsnest an hellem Tag beschau'n, Ich will des Volkes Aberglauben brechen Und knieend auf dem Gipfel jenes Bergs Die Heil'gen bitten, daß all' Furcht und Grauen Vom Flammenmeer der Weisheit werd' verschlungen, So spurlos, wie vom Fels die Holzenburg!" Das Abendroth erlosch auf dem Gebirge, In Nebel sank des Rhönlands blauer Strich, Und dunkler färbt der Wald sich in den Thälern, Als stieg die Nacht aus seinen Wipfeln auf. "Nun geh zur Ruh', mein Heinz!" sagt leis Sophia Und drückt des Knaben Kopf an ihre Brust, "Sieh', alle Vöglein schlafen in den Nestern, Und Blümchen nicken freundlich: Gute Nacht! Bald stehen tausend helle Silbersterne Am Himmelsrund und senden ihren Strahl Durchs Fensterlein, zu spähen, ob mein Heinz Die Mutter lieb hat und ihr Wort befolgt!" Die Arme schlingt der Prinz um ihren Nacken: "Kommst Du nicht noch, herzliebes Mütterlein, Mit mir zu beten und mich zuzudecken, Bringst Du mir keinen Kuß zur guten Nacht?" "Ich komme, Heinz!" -- Da glänzen seine Augen, Er streichelt zärtlich Petronellas Hand „O, nehmt mich mit zum Felſen, gnäd’ge Frau!
Laßt mich im hellen Sonnenlichte wieder Die Stätte ſchau’n, da jüngſt ich Obdach fand; Vielleicht entdeck’ ich noch im Sand ein Zeichen Und eine Spur, die von Bedeutung iſt.“ Die Fürſtin nickt, reicht lächelnd ihr die Hand Und ſpricht: „Wohlan, laßt uns in frohem Zuge Das Teufelsneſt an hellem Tag beſchau’n, Ich will des Volkes Aberglauben brechen Und knieend auf dem Gipfel jenes Bergs Die Heil’gen bitten, daß all’ Furcht und Grauen Vom Flammenmeer der Weisheit werd’ verſchlungen, So ſpurlos, wie vom Fels die Holzenburg!“ Das Abendroth erloſch auf dem Gebirge, In Nebel ſank des Rhönlands blauer Strich, Und dunkler färbt der Wald ſich in den Thälern, Als ſtieg die Nacht aus ſeinen Wipfeln auf. „Nun geh zur Ruh’, mein Heinz!“ ſagt leis Sophia Und drückt des Knaben Kopf an ihre Bruſt, „Sieh’, alle Vöglein ſchlafen in den Neſtern, Und Blümchen nicken freundlich: Gute Nacht! Bald ſtehen tauſend helle Silberſterne Am Himmelsrund und ſenden ihren Strahl Durchs Fenſterlein, zu ſpähen, ob mein Heinz Die Mutter lieb hat und ihr Wort befolgt!“ Die Arme ſchlingt der Prinz um ihren Nacken: „Kommſt Du nicht noch, herzliebes Mütterlein, Mit mir zu beten und mich zuzudecken, Bringſt Du mir keinen Kuß zur guten Nacht?“ „Ich komme, Heinz!“ — Da glänzen ſeine Augen, Er ſtreichelt zärtlich Petronellas Hand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0112" n="98"/> <lg n="8"> <l>„O, nehmt mich mit zum Felſen, gnäd’ge Frau!</l><lb/> <l>Laßt mich im hellen Sonnenlichte wieder</l><lb/> <l>Die Stätte ſchau’n, da jüngſt ich Obdach fand;</l><lb/> <l>Vielleicht entdeck’ ich noch im Sand ein Zeichen</l><lb/> <l>Und eine Spur, die von Bedeutung iſt.“</l><lb/> <l>Die Fürſtin nickt, reicht lächelnd ihr die Hand</l><lb/> <l>Und ſpricht: „Wohlan, laßt uns in frohem Zuge</l><lb/> <l>Das Teufelsneſt an hellem Tag beſchau’n,</l><lb/> <l>Ich will des Volkes Aberglauben brechen</l><lb/> <l>Und knieend auf dem Gipfel jenes Bergs</l><lb/> <l>Die Heil’gen bitten, daß all’ Furcht und Grauen</l><lb/> <l>Vom Flammenmeer der Weisheit werd’ verſchlungen,</l><lb/> <l>So ſpurlos, wie vom Fels die Holzenburg!“</l><lb/> <l>Das Abendroth erloſch auf dem Gebirge,</l><lb/> <l>In Nebel ſank des Rhönlands blauer Strich,</l><lb/> <l>Und dunkler färbt der Wald ſich in den Thälern,</l><lb/> <l>Als ſtieg die Nacht aus ſeinen Wipfeln auf.</l><lb/> <l>„Nun geh zur Ruh’, mein Heinz!“ ſagt leis Sophia</l><lb/> <l>Und drückt des Knaben Kopf an ihre Bruſt,</l><lb/> <l>„Sieh’, alle Vöglein ſchlafen in den Neſtern,</l><lb/> <l>Und Blümchen nicken freundlich: Gute Nacht!</l><lb/> <l>Bald ſtehen tauſend helle Silberſterne</l><lb/> <l>Am Himmelsrund und ſenden ihren Strahl</l><lb/> <l>Durchs Fenſterlein, zu ſpähen, ob mein Heinz</l><lb/> <l>Die Mutter lieb hat und ihr Wort befolgt!“</l><lb/> <l>Die Arme ſchlingt der Prinz um ihren Nacken:</l><lb/> <l>„Kommſt Du nicht noch, herzliebes Mütterlein,</l><lb/> <l>Mit mir zu beten und mich zuzudecken,</l><lb/> <l>Bringſt Du mir keinen Kuß zur guten Nacht?“</l><lb/> <l>„Ich komme, Heinz!“ — Da glänzen ſeine Augen,</l><lb/> <l>Er ſtreichelt zärtlich Petronellas Hand</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [98/0112]
„O, nehmt mich mit zum Felſen, gnäd’ge Frau!
Laßt mich im hellen Sonnenlichte wieder
Die Stätte ſchau’n, da jüngſt ich Obdach fand;
Vielleicht entdeck’ ich noch im Sand ein Zeichen
Und eine Spur, die von Bedeutung iſt.“
Die Fürſtin nickt, reicht lächelnd ihr die Hand
Und ſpricht: „Wohlan, laßt uns in frohem Zuge
Das Teufelsneſt an hellem Tag beſchau’n,
Ich will des Volkes Aberglauben brechen
Und knieend auf dem Gipfel jenes Bergs
Die Heil’gen bitten, daß all’ Furcht und Grauen
Vom Flammenmeer der Weisheit werd’ verſchlungen,
So ſpurlos, wie vom Fels die Holzenburg!“
Das Abendroth erloſch auf dem Gebirge,
In Nebel ſank des Rhönlands blauer Strich,
Und dunkler färbt der Wald ſich in den Thälern,
Als ſtieg die Nacht aus ſeinen Wipfeln auf.
„Nun geh zur Ruh’, mein Heinz!“ ſagt leis Sophia
Und drückt des Knaben Kopf an ihre Bruſt,
„Sieh’, alle Vöglein ſchlafen in den Neſtern,
Und Blümchen nicken freundlich: Gute Nacht!
Bald ſtehen tauſend helle Silberſterne
Am Himmelsrund und ſenden ihren Strahl
Durchs Fenſterlein, zu ſpähen, ob mein Heinz
Die Mutter lieb hat und ihr Wort befolgt!“
Die Arme ſchlingt der Prinz um ihren Nacken:
„Kommſt Du nicht noch, herzliebes Mütterlein,
Mit mir zu beten und mich zuzudecken,
Bringſt Du mir keinen Kuß zur guten Nacht?“
„Ich komme, Heinz!“ — Da glänzen ſeine Augen,
Er ſtreichelt zärtlich Petronellas Hand
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