Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
Und schwingt sich behende am Steinicht hinab.
Den schleppenden Mantel löst flink ihre Hand,
Schürzt zierlich und fußfrei das blaue Gewand,
Und schlank wie die Gemse, so sicher und frei
Schreitet sie furchtlos am Abgrund vorbei,
Auf schmalem Pfad, über Blöcke, Gerank,
Wagt sie den seltsamen, muthigen Gang,
Bricht Nelken und Steinklee und duftiges Kraut,
Kaum daß sie noch vor sich, noch hinter sich schaut.
Da steht sie urplötzlich vor klaffendem Spalt,
Der ruft ihr ein stummes, doch mächtiges Halt!
Er ist nicht sehr breit -- doch drüber hinaus?
Duftend und groß genug ist der Strauß!
Schon will sie sich wenden, da hat sie gesandt
Noch einen Blick auf die Felsenwand,
Und regungslos steht sie, mit staunendem Schrei,
Da drüben grüßt sie -- Kraut Wohlverleih.
"Dich brech' ich, dich pflück' ich, o Pflänzelein!
Du fehltest noch einzig dem Strauße mein.
Weh' Dir! Du sagtest den feindlichsten Mann
Erst heute Morgen zum Freier mir an,
Da blühst Du schon wieder an schwindelndem Steg,
Da weissagst Du wieder mir Glück auf den Weg!"
Und muthwillig lachend, Nella ist jung,
Wagt sie voll Eifers den kecklichen Sprung.
Wohl kommt sie hinüber, kühn stieß sie sich ab,
Doch hinter ihr bröckelt's und poltert's hinab,
Es rollen die Steine -- o Herzeleid,
Der Felsenspalt ward jetzo doppelt so breit!
Nella neigt schnell sich, pflücket das Kraut,
Dann erst hat ängstlich sie rückwärts geschaut;
Und ſchwingt ſich behende am Steinicht hinab.
Den ſchleppenden Mantel löſt flink ihre Hand,
Schürzt zierlich und fußfrei das blaue Gewand,
Und ſchlank wie die Gemſe, ſo ſicher und frei
Schreitet ſie furchtlos am Abgrund vorbei,
Auf ſchmalem Pfad, über Blöcke, Gerank,
Wagt ſie den ſeltſamen, muthigen Gang,
Bricht Nelken und Steinklee und duftiges Kraut,
Kaum daß ſie noch vor ſich, noch hinter ſich ſchaut.
Da ſteht ſie urplötzlich vor klaffendem Spalt,
Der ruft ihr ein ſtummes, doch mächtiges Halt!
Er iſt nicht ſehr breit — doch drüber hinaus?
Duftend und groß genug iſt der Strauß!
Schon will ſie ſich wenden, da hat ſie geſandt
Noch einen Blick auf die Felſenwand,
Und regungslos ſteht ſie, mit ſtaunendem Schrei,
Da drüben grüßt ſie — Kraut Wohlverleih.
„Dich brech' ich, dich pflück' ich, o Pflänzelein!
Du fehlteſt noch einzig dem Strauße mein.
Weh' Dir! Du ſagteſt den feindlichſten Mann
Erſt heute Morgen zum Freier mir an,
Da blühſt Du ſchon wieder an ſchwindelndem Steg,
Da weiſſagſt Du wieder mir Glück auf den Weg!“
Und muthwillig lachend, Nella iſt jung,
Wagt ſie voll Eifers den kecklichen Sprung.
Wohl kommt ſie hinüber, kühn ſtieß ſie ſich ab,
Doch hinter ihr bröckelt's und poltert's hinab,
Es rollen die Steine — o Herzeleid,
Der Felſenſpalt ward jetzo doppelt ſo breit!
Nella neigt ſchnell ſich, pflücket das Kraut,
Dann erſt hat ängſtlich ſie rückwärts geſchaut;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0137" n="123"/>
          <lg n="5">
            <l>Und &#x017F;chwingt &#x017F;ich behende am Steinicht hinab.</l><lb/>
            <l>Den &#x017F;chleppenden Mantel lö&#x017F;t flink ihre Hand,</l><lb/>
            <l>Schürzt zierlich und fußfrei das blaue Gewand,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;chlank wie die Gem&#x017F;e, &#x017F;o &#x017F;icher und frei</l><lb/>
            <l>Schreitet &#x017F;ie furchtlos am Abgrund vorbei,</l><lb/>
            <l>Auf &#x017F;chmalem Pfad, über Blöcke, Gerank,</l><lb/>
            <l>Wagt &#x017F;ie den &#x017F;elt&#x017F;amen, muthigen Gang,</l><lb/>
            <l>Bricht Nelken und Steinklee und duftiges Kraut,</l><lb/>
            <l>Kaum daß &#x017F;ie noch vor &#x017F;ich, noch hinter &#x017F;ich &#x017F;chaut.</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;teht &#x017F;ie urplötzlich vor klaffendem Spalt,</l><lb/>
            <l>Der ruft ihr ein &#x017F;tummes, doch mächtiges Halt!</l><lb/>
            <l>Er i&#x017F;t nicht &#x017F;ehr breit &#x2014; doch drüber hinaus?</l><lb/>
            <l>Duftend und groß genug i&#x017F;t der Strauß!</l><lb/>
            <l>Schon will &#x017F;ie &#x017F;ich wenden, da hat &#x017F;ie ge&#x017F;andt</l><lb/>
            <l>Noch einen Blick auf die Fel&#x017F;enwand,</l><lb/>
            <l>Und regungslos &#x017F;teht &#x017F;ie, mit &#x017F;taunendem Schrei,</l><lb/>
            <l>Da drüben grüßt &#x017F;ie &#x2014; Kraut Wohlverleih.</l><lb/>
            <l>&#x201E;Dich brech' ich, dich pflück' ich, o Pflänzelein!</l><lb/>
            <l>Du fehlte&#x017F;t noch einzig dem Strauße mein.</l><lb/>
            <l>Weh' Dir! Du &#x017F;agte&#x017F;t den feindlich&#x017F;ten Mann</l><lb/>
            <l>Er&#x017F;t heute Morgen zum Freier mir an,</l><lb/>
            <l>Da blüh&#x017F;t Du &#x017F;chon wieder an &#x017F;chwindelndem Steg,</l><lb/>
            <l>Da wei&#x017F;&#x017F;ag&#x017F;t Du wieder mir Glück auf den Weg!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Und muthwillig lachend, Nella i&#x017F;t jung,</l><lb/>
            <l>Wagt &#x017F;ie voll Eifers den kecklichen Sprung.</l><lb/>
            <l>Wohl kommt &#x017F;ie hinüber, kühn &#x017F;tieß &#x017F;ie &#x017F;ich ab,</l><lb/>
            <l>Doch hinter ihr bröckelt's und poltert's hinab,</l><lb/>
            <l>Es rollen die Steine &#x2014; o Herzeleid,</l><lb/>
            <l>Der Fel&#x017F;en&#x017F;palt ward jetzo doppelt &#x017F;o breit!</l><lb/>
            <l>Nella neigt &#x017F;chnell &#x017F;ich, pflücket das Kraut,</l><lb/>
            <l>Dann er&#x017F;t hat äng&#x017F;tlich &#x017F;ie rückwärts ge&#x017F;chaut;</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0137] Und ſchwingt ſich behende am Steinicht hinab. Den ſchleppenden Mantel löſt flink ihre Hand, Schürzt zierlich und fußfrei das blaue Gewand, Und ſchlank wie die Gemſe, ſo ſicher und frei Schreitet ſie furchtlos am Abgrund vorbei, Auf ſchmalem Pfad, über Blöcke, Gerank, Wagt ſie den ſeltſamen, muthigen Gang, Bricht Nelken und Steinklee und duftiges Kraut, Kaum daß ſie noch vor ſich, noch hinter ſich ſchaut. Da ſteht ſie urplötzlich vor klaffendem Spalt, Der ruft ihr ein ſtummes, doch mächtiges Halt! Er iſt nicht ſehr breit — doch drüber hinaus? Duftend und groß genug iſt der Strauß! Schon will ſie ſich wenden, da hat ſie geſandt Noch einen Blick auf die Felſenwand, Und regungslos ſteht ſie, mit ſtaunendem Schrei, Da drüben grüßt ſie — Kraut Wohlverleih. „Dich brech' ich, dich pflück' ich, o Pflänzelein! Du fehlteſt noch einzig dem Strauße mein. Weh' Dir! Du ſagteſt den feindlichſten Mann Erſt heute Morgen zum Freier mir an, Da blühſt Du ſchon wieder an ſchwindelndem Steg, Da weiſſagſt Du wieder mir Glück auf den Weg!“ Und muthwillig lachend, Nella iſt jung, Wagt ſie voll Eifers den kecklichen Sprung. Wohl kommt ſie hinüber, kühn ſtieß ſie ſich ab, Doch hinter ihr bröckelt's und poltert's hinab, Es rollen die Steine — o Herzeleid, Der Felſenſpalt ward jetzo doppelt ſo breit! Nella neigt ſchnell ſich, pflücket das Kraut, Dann erſt hat ängſtlich ſie rückwärts geſchaut;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886/137
Zitationshilfe: Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886/137>, abgerufen am 15.05.2024.