Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724.

Bild:
<< vorherige Seite

von bewegungs-gründen.
gemeinen wesens, dem nutzen des zuhörers,
dem interesse unschuldiger mitleidens-würdi-
ger personen, ohne eigennutz aufopfere; die
falschheit hasse; die aufrichtigkeit hochhalte,
und sich derselben befleißige; wenn man alle
ruhmräthige, satyrische einfälle und invectiven
in den zuhörer meidet; sich nicht leicht über et-
was moquiret, oder wann man etwas tadelt,
es in sehr frembden exempeln thut, oder in
prima persona plurali redet; wenn man die
wiedrigen gedancken des auditoris unver-
merckt bestreitet; niemahls der orthodoxie
und recepten doctrin zu nahe tritt; dem audi-
tori nicht offentlich wiederspricht; die sache
feinem eignen urtheil überläst; solche illustran-
tia anführet und lobet, die dem auditori ge-
fallen; sich so viel möglich mit demselben sym-
pathisiret; alles nach dessen geschmack und
begrif einrichtet etc.

Uberhaupt sind die leute denenienigen gut, die ih-
nen gefallen, und es gefallen tugend, weißheit,
vernünftige schlüsse, an dem redner öfters nur
wenigen, und diesen darff man keinen wind vor-
machen. Hingegen gefället uns, was nach
unsern geschmack und neigungen eingerichtet ist,
also muß ein redner den zuhörer recht ausstudie-
ren, wenn er desselben liebe erhalten will, damit
er sich mit demselben sympathisiren könne und
durch eine lebhaft angenommene gleichheit, die
der grund aller liebe ist, sich bey ihm insinuire.
Zwar ist die natürliche sympathie stärcker als
die gemachte, datur etiam hic felicitas, mancher
bekümmert sich wenig oder nichts um die gewo-
genheit der leute und bekommt sie am ersten,
ein

von bewegungs-gruͤnden.
gemeinen weſens, dem nutzen des zuhoͤrers,
dem intereſſe unſchuldiger mitleidens-wuͤrdi-
ger perſonen, ohne eigennutz aufopfere; die
falſchheit haſſe; die aufrichtigkeit hochhalte,
und ſich derſelben befleißige; wenn man alle
ruhmraͤthige, ſatyriſche einfaͤlle und invectiven
in den zuhoͤrer meidet; ſich nicht leicht uͤber et-
was moquiret, oder wann man etwas tadelt,
es in ſehr frembden exempeln thut, oder in
prima perſona plurali redet; wenn man die
wiedrigen gedancken des auditoris unver-
merckt beſtreitet; niemahls der orthodoxie
und recepten doctrin zu nahe tritt; dem audi-
tori nicht offentlich wiederſpricht; die ſache
feinem eignen urtheil uͤberlaͤſt; ſolche illuſtran-
tia anfuͤhret und lobet, die dem auditori ge-
fallen; ſich ſo viel moͤglich mit demſelben ſym-
pathiſiret; alles nach deſſen geſchmack und
begrif einrichtet ꝛc.

Uberhaupt ſind die leute denenienigen gut, die ih-
nen gefallen, und es gefallen tugend, weißheit,
vernuͤnftige ſchluͤſſe, an dem redner oͤfters nur
wenigen, und dieſen darff man keinen wind vor-
machen. Hingegen gefaͤllet uns, was nach
unſern geſchmack und neigungen eingerichtet iſt,
alſo muß ein redner den zuhoͤrer recht ausſtudie-
ren, wenn er deſſelben liebe erhalten will, damit
er ſich mit demſelben ſympathiſiren koͤnne und
durch eine lebhaft angenommene gleichheit, die
der grund aller liebe iſt, ſich bey ihm inſinuire.
Zwar iſt die natuͤrliche ſympathie ſtaͤrcker als
die gemachte, datur etiam hic felicitas, mancher
bekuͤmmert ſich wenig oder nichts um die gewo-
genheit der leute und bekommt ſie am erſten,
ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0141" n="123"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von                                 bewegungs-gru&#x0364;nden.</hi></fw><lb/>
gemeinen we&#x017F;ens,                         dem nutzen des zuho&#x0364;rers,<lb/>
dem intere&#x017F;&#x017F;e                         un&#x017F;chuldiger mitleidens-wu&#x0364;rdi-<lb/>
ger per&#x017F;onen, ohne                         eigennutz aufopfere; die<lb/>
fal&#x017F;chheit ha&#x017F;&#x017F;e; die                         aufrichtigkeit hochhalte,<lb/>
und &#x017F;ich der&#x017F;elben befleißige;                         wenn man alle<lb/>
ruhmra&#x0364;thige, &#x017F;atyri&#x017F;che                         einfa&#x0364;lle und invectiven<lb/>
in den zuho&#x0364;rer meidet;                         &#x017F;ich nicht leicht u&#x0364;ber et-<lb/>
was moquiret, oder wann man                         etwas tadelt,<lb/>
es in &#x017F;ehr frembden exempeln thut, oder in<lb/>
prima per&#x017F;ona plurali redet; wenn man die<lb/>
wiedrigen gedancken                         des auditoris unver-<lb/>
merckt be&#x017F;treitet; niemahls der                         orthodoxie<lb/>
und recepten doctrin zu nahe tritt; dem audi-<lb/>
tori                         nicht offentlich wieder&#x017F;pricht; die &#x017F;ache<lb/>
feinem eignen                         urtheil u&#x0364;berla&#x0364;&#x017F;t; &#x017F;olche                         illu&#x017F;tran-<lb/>
tia anfu&#x0364;hret und lobet, die dem auditori                         ge-<lb/>
fallen; &#x017F;ich &#x017F;o viel mo&#x0364;glich mit                         dem&#x017F;elben &#x017F;ym-<lb/>
pathi&#x017F;iret; alles nach                         de&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;chmack und<lb/>
begrif einrichtet                         &#xA75B;c.</p><lb/>
          <list>
            <item>Uberhaupt &#x017F;ind die leute denenienigen gut, die ih-<lb/>
nen                             gefallen, und es gefallen tugend, weißheit,<lb/>
vernu&#x0364;nftige                             &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, an dem redner o&#x0364;fters                             nur<lb/>
wenigen, und die&#x017F;en darff man keinen wind vor-<lb/>
machen. Hingegen gefa&#x0364;llet uns, was nach<lb/>
un&#x017F;ern                             ge&#x017F;chmack und neigungen eingerichtet i&#x017F;t,<lb/>
al&#x017F;o                             muß ein redner den zuho&#x0364;rer recht aus&#x017F;tudie-<lb/>
ren,                             wenn er de&#x017F;&#x017F;elben liebe erhalten will, damit<lb/>
er                             &#x017F;ich mit dem&#x017F;elben &#x017F;ympathi&#x017F;iren                             ko&#x0364;nne und<lb/>
durch eine lebhaft angenommene gleichheit,                             die<lb/>
der grund aller liebe i&#x017F;t, &#x017F;ich bey ihm                             in&#x017F;inuire.<lb/>
Zwar i&#x017F;t die natu&#x0364;rliche                             &#x017F;ympathie &#x017F;ta&#x0364;rcker als<lb/>
die gemachte, <hi rendition="#aq">datur etiam hic felicitas,</hi> mancher<lb/>
beku&#x0364;mmert &#x017F;ich wenig oder nichts um die gewo-<lb/>
genheit der leute und bekommt &#x017F;ie am er&#x017F;ten,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein</fw><lb/></item>
          </list>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0141] von bewegungs-gruͤnden. gemeinen weſens, dem nutzen des zuhoͤrers, dem intereſſe unſchuldiger mitleidens-wuͤrdi- ger perſonen, ohne eigennutz aufopfere; die falſchheit haſſe; die aufrichtigkeit hochhalte, und ſich derſelben befleißige; wenn man alle ruhmraͤthige, ſatyriſche einfaͤlle und invectiven in den zuhoͤrer meidet; ſich nicht leicht uͤber et- was moquiret, oder wann man etwas tadelt, es in ſehr frembden exempeln thut, oder in prima perſona plurali redet; wenn man die wiedrigen gedancken des auditoris unver- merckt beſtreitet; niemahls der orthodoxie und recepten doctrin zu nahe tritt; dem audi- tori nicht offentlich wiederſpricht; die ſache feinem eignen urtheil uͤberlaͤſt; ſolche illuſtran- tia anfuͤhret und lobet, die dem auditori ge- fallen; ſich ſo viel moͤglich mit demſelben ſym- pathiſiret; alles nach deſſen geſchmack und begrif einrichtet ꝛc. Uberhaupt ſind die leute denenienigen gut, die ih- nen gefallen, und es gefallen tugend, weißheit, vernuͤnftige ſchluͤſſe, an dem redner oͤfters nur wenigen, und dieſen darff man keinen wind vor- machen. Hingegen gefaͤllet uns, was nach unſern geſchmack und neigungen eingerichtet iſt, alſo muß ein redner den zuhoͤrer recht ausſtudie- ren, wenn er deſſelben liebe erhalten will, damit er ſich mit demſelben ſympathiſiren koͤnne und durch eine lebhaft angenommene gleichheit, die der grund aller liebe iſt, ſich bey ihm inſinuire. Zwar iſt die natuͤrliche ſympathie ſtaͤrcker als die gemachte, datur etiam hic felicitas, mancher bekuͤmmert ſich wenig oder nichts um die gewo- genheit der leute und bekommt ſie am erſten, ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/141
Zitationshilfe: Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/141>, abgerufen am 14.05.2024.