Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Das Mittelalter.
jene, welche der blendenden Erscheinung Brunhildens den Vorzug
geben, und diese, welche dem still gewinnenden, aber ewig fesseln-
den Reiz der Chriemhilde den Preis zugestehen.

Es sind wenige unter den höfischen Dichtern, welche den
Weisen des Nibelungenliedes gleich den dauernden Liebreiz der
äußern Formenschönheit vorziehen. Nur Walther von der Vogel-
weide meint, daß nach Schönheit nur ein Thor jage, denn auch
der Haß könne in schöner Brust wohnen; Liebreiz gebe Schönheit
und dem Herzen Lust zugleich; Schönheit allein mache nie ein
Weib liebenswerth. Andere, wie der seltsame Ulrich von Liechten-
stein, bemühen sich an ihrem Ideal beides aufzufinden; seine
Frau, die schönste aller Frauen, mit braunen Brauen und weißem
Leib, deren süßer und heißer Mund röther blühet denn die Rose
und so keuschlich lächelt, sie ist lose mit Züchten, sie ist gut, keusch,
fröhlich, stet, züchtereich und von weiblichem Gemüth; ihre süßen
Gebärden, ihr Mund und ihrer Augen Licht, wenn ihn die an-
lachen, da sieht man ihn hohen Muthes. Auch Wolfram von
Eschenbach erhöht den Reiz der äußern Schönheit durch Eigen-
schaften der Seele, wie er Demuth wohnen läßt im Herzen der
Repanse de Schoie, der Trägerin des Grals, die so schön war,
daß ihre Weiße den Schnee zu schwärzen schien. Die meisten Dich-
ter aber, insbesondere die Epiker der späteren Zeit, lassen die
äußeren Gaben immer in den Vordergrund treten und ergehen sich
in der Schilderung derselben gern in behaglicher Breite. Sie blei-
ben sich in den Einzelheiten völlig gleich und variiren selbst sehr
wenig in den Vergleichen so daß wir daraus ersehen, wie sich die
conventionellen Ansichten von der Schönheit im Geschmack voll-
kommen festgestellt haben.

Völlig entsprechend der Veränderung, welche, wie wir sehen
werden, den Fortschritt in der Entwicklung der Kleidung bezeich-
nete, war für die ganze Figur, um als schön zu gelten, Schlank-
heit durchaus erforderlich. Bei einer Fülle der Büste und der "zart
gedrollenen" Hüften, die sich innerhalb der Gränzen der maßvoll-
sten Schönheit hielt, mußten die Seiten lang sein, der Leib in der
Taille zart und fein und schmal:

II. Das Mittelalter.
jene, welche der blendenden Erſcheinung Brunhildens den Vorzug
geben, und dieſe, welche dem ſtill gewinnenden, aber ewig feſſeln-
den Reiz der Chriemhilde den Preis zugeſtehen.

Es ſind wenige unter den höfiſchen Dichtern, welche den
Weiſen des Nibelungenliedes gleich den dauernden Liebreiz der
äußern Formenſchönheit vorziehen. Nur Walther von der Vogel-
weide meint, daß nach Schönheit nur ein Thor jage, denn auch
der Haß könne in ſchöner Bruſt wohnen; Liebreiz gebe Schönheit
und dem Herzen Luſt zugleich; Schönheit allein mache nie ein
Weib liebenswerth. Andere, wie der ſeltſame Ulrich von Liechten-
ſtein, bemühen ſich an ihrem Ideal beides aufzufinden; ſeine
Frau, die ſchönſte aller Frauen, mit braunen Brauen und weißem
Leib, deren ſüßer und heißer Mund röther blühet denn die Roſe
und ſo keuſchlich lächelt, ſie iſt loſe mit Züchten, ſie iſt gut, keuſch,
fröhlich, ſtet, züchtereich und von weiblichem Gemüth; ihre ſüßen
Gebärden, ihr Mund und ihrer Augen Licht, wenn ihn die an-
lachen, da ſieht man ihn hohen Muthes. Auch Wolfram von
Eſchenbach erhöht den Reiz der äußern Schönheit durch Eigen-
ſchaften der Seele, wie er Demuth wohnen läßt im Herzen der
Repanſe de Schoie, der Trägerin des Grals, die ſo ſchön war,
daß ihre Weiße den Schnee zu ſchwärzen ſchien. Die meiſten Dich-
ter aber, insbeſondere die Epiker der ſpäteren Zeit, laſſen die
äußeren Gaben immer in den Vordergrund treten und ergehen ſich
in der Schilderung derſelben gern in behaglicher Breite. Sie blei-
ben ſich in den Einzelheiten völlig gleich und variiren ſelbſt ſehr
wenig in den Vergleichen ſo daß wir daraus erſehen, wie ſich die
conventionellen Anſichten von der Schönheit im Geſchmack voll-
kommen feſtgeſtellt haben.

Völlig entſprechend der Veränderung, welche, wie wir ſehen
werden, den Fortſchritt in der Entwicklung der Kleidung bezeich-
nete, war für die ganze Figur, um als ſchön zu gelten, Schlank-
heit durchaus erforderlich. Bei einer Fülle der Büſte und der „zart
gedrollenen“ Hüften, die ſich innerhalb der Gränzen der maßvoll-
ſten Schönheit hielt, mußten die Seiten lang ſein, der Leib in der
Taille zart und fein und ſchmal:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0102" n="84"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
jene, welche der blendenden Er&#x017F;cheinung Brunhildens den Vorzug<lb/>
geben, und die&#x017F;e, welche dem &#x017F;till gewinnenden, aber ewig fe&#x017F;&#x017F;eln-<lb/>
den Reiz der Chriemhilde den Preis zuge&#x017F;tehen.</p><lb/>
            <p>Es &#x017F;ind wenige unter den höfi&#x017F;chen Dichtern, welche den<lb/>
Wei&#x017F;en des Nibelungenliedes gleich den dauernden Liebreiz der<lb/>
äußern Formen&#x017F;chönheit vorziehen. Nur Walther von der Vogel-<lb/>
weide meint, daß nach Schönheit nur ein Thor jage, denn auch<lb/>
der Haß könne in &#x017F;chöner Bru&#x017F;t wohnen; Liebreiz gebe Schönheit<lb/>
und dem Herzen Lu&#x017F;t zugleich; Schönheit allein mache nie ein<lb/>
Weib liebenswerth. Andere, wie der &#x017F;elt&#x017F;ame Ulrich von Liechten-<lb/>
&#x017F;tein, bemühen &#x017F;ich an ihrem Ideal beides aufzufinden; &#x017F;eine<lb/>
Frau, die &#x017F;chön&#x017F;te aller Frauen, mit braunen Brauen und weißem<lb/>
Leib, deren &#x017F;üßer und heißer Mund röther blühet denn die Ro&#x017F;e<lb/>
und &#x017F;o keu&#x017F;chlich lächelt, &#x017F;ie i&#x017F;t lo&#x017F;e mit Züchten, &#x017F;ie i&#x017F;t gut, keu&#x017F;ch,<lb/>
fröhlich, &#x017F;tet, züchtereich und von weiblichem Gemüth; ihre &#x017F;üßen<lb/>
Gebärden, ihr Mund und ihrer Augen Licht, wenn ihn die an-<lb/>
lachen, da &#x017F;ieht man ihn hohen Muthes. Auch Wolfram von<lb/>
E&#x017F;chenbach erhöht den Reiz der äußern Schönheit durch Eigen-<lb/>
&#x017F;chaften der Seele, wie er Demuth wohnen läßt im Herzen der<lb/>
Repan&#x017F;e de Schoie, der Trägerin des Grals, die &#x017F;o &#x017F;chön war,<lb/>
daß ihre Weiße den Schnee zu &#x017F;chwärzen &#x017F;chien. Die mei&#x017F;ten Dich-<lb/>
ter aber, insbe&#x017F;ondere die Epiker der &#x017F;päteren Zeit, la&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
äußeren Gaben immer in den Vordergrund treten und ergehen &#x017F;ich<lb/>
in der Schilderung der&#x017F;elben gern in behaglicher Breite. Sie blei-<lb/>
ben &#x017F;ich in den Einzelheiten völlig gleich und variiren &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr<lb/>
wenig in den Vergleichen &#x017F;o daß wir daraus er&#x017F;ehen, wie &#x017F;ich die<lb/>
conventionellen An&#x017F;ichten von der Schönheit im Ge&#x017F;chmack voll-<lb/>
kommen fe&#x017F;tge&#x017F;tellt haben.</p><lb/>
            <p>Völlig ent&#x017F;prechend der Veränderung, welche, wie wir &#x017F;ehen<lb/>
werden, den Fort&#x017F;chritt in der Entwicklung der Kleidung bezeich-<lb/>
nete, war für die ganze <hi rendition="#g">Figur</hi>, um als &#x017F;chön zu gelten, Schlank-<lb/>
heit durchaus erforderlich. Bei einer Fülle der Bü&#x017F;te und der &#x201E;zart<lb/>
gedrollenen&#x201C; Hüften, die &#x017F;ich innerhalb der Gränzen der maßvoll-<lb/>
&#x017F;ten Schönheit hielt, mußten die Seiten lang &#x017F;ein, der Leib in der<lb/>
Taille zart und fein und &#x017F;chmal:</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0102] II. Das Mittelalter. jene, welche der blendenden Erſcheinung Brunhildens den Vorzug geben, und dieſe, welche dem ſtill gewinnenden, aber ewig feſſeln- den Reiz der Chriemhilde den Preis zugeſtehen. Es ſind wenige unter den höfiſchen Dichtern, welche den Weiſen des Nibelungenliedes gleich den dauernden Liebreiz der äußern Formenſchönheit vorziehen. Nur Walther von der Vogel- weide meint, daß nach Schönheit nur ein Thor jage, denn auch der Haß könne in ſchöner Bruſt wohnen; Liebreiz gebe Schönheit und dem Herzen Luſt zugleich; Schönheit allein mache nie ein Weib liebenswerth. Andere, wie der ſeltſame Ulrich von Liechten- ſtein, bemühen ſich an ihrem Ideal beides aufzufinden; ſeine Frau, die ſchönſte aller Frauen, mit braunen Brauen und weißem Leib, deren ſüßer und heißer Mund röther blühet denn die Roſe und ſo keuſchlich lächelt, ſie iſt loſe mit Züchten, ſie iſt gut, keuſch, fröhlich, ſtet, züchtereich und von weiblichem Gemüth; ihre ſüßen Gebärden, ihr Mund und ihrer Augen Licht, wenn ihn die an- lachen, da ſieht man ihn hohen Muthes. Auch Wolfram von Eſchenbach erhöht den Reiz der äußern Schönheit durch Eigen- ſchaften der Seele, wie er Demuth wohnen läßt im Herzen der Repanſe de Schoie, der Trägerin des Grals, die ſo ſchön war, daß ihre Weiße den Schnee zu ſchwärzen ſchien. Die meiſten Dich- ter aber, insbeſondere die Epiker der ſpäteren Zeit, laſſen die äußeren Gaben immer in den Vordergrund treten und ergehen ſich in der Schilderung derſelben gern in behaglicher Breite. Sie blei- ben ſich in den Einzelheiten völlig gleich und variiren ſelbſt ſehr wenig in den Vergleichen ſo daß wir daraus erſehen, wie ſich die conventionellen Anſichten von der Schönheit im Geſchmack voll- kommen feſtgeſtellt haben. Völlig entſprechend der Veränderung, welche, wie wir ſehen werden, den Fortſchritt in der Entwicklung der Kleidung bezeich- nete, war für die ganze Figur, um als ſchön zu gelten, Schlank- heit durchaus erforderlich. Bei einer Fülle der Büſte und der „zart gedrollenen“ Hüften, die ſich innerhalb der Gränzen der maßvoll- ſten Schönheit hielt, mußten die Seiten lang ſein, der Leib in der Taille zart und fein und ſchmal:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/102
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/102>, abgerufen am 21.11.2024.