1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
hang, der schon damals im Reich der Mode statt fand und eine ziemlich allgemeine, im Wesentlichen gleiche Tracht der vorneh- men Welt herausgebildet hatte. Die meisten Einflüsse gingen schon damals von Frankreich aus.
In einer bereits oben angeführten Stelle im Frauendienst des Ulrich von Liechtenstein trägt die verehrte Dame seines Her- zens, als sie ihn empfängt, über dem weißen Hemde eine Su- keine von Scharlach, mit weißem Hermelin gefüttert, sowie im Tristan des Heinrich von Friberg die blonde Isolde mit Rock, Sukenie und Mantel bekleidet ist. Auch in dem Gedicht "Frauen- treue", welches in von der Hagen's Gesammtabenteuern mitge- theilt wird, ist dieses Kleidungsstückes in lehrreicher Weise ge- dacht. Eine Frau steht an der Leiche des Geliebten und opfert ihm ihre Kleider: erst legt sie den Mantel ab, dann entkleidet sie sich der Sukenie und drittens auch des Rockes, "daß sie vor Leide gar der Scham vergaß." Wir erkennen hier deutlich die Aufein- anderfolge der Stücke und erfahren zugleich aus diesen Beispielen, die wir den verschiedenartigsten und verschiedenen Gegenden an- gehörenden Gedichten entnehmen, daß die Sukenie ein überall verbreitetes, gewöhnliches Oberkleid war, selbst wenn die Ablei- tung des Wortes von dem altslavischen sukno, Gewand, die richtige ist. In jedem Falle war sie ein, wenn auch am Oberkör- per eng anliegendes, doch langes, auf die Füße fallendes Ober- kleid.
Gewiß ähnlich war auch der Sürkot, dem Worte nach französischen Ursprungs und schon Oberkleid bedeutend. Später ändert sich die Form desselben mit der Umwandlung der Mode, während der Name bleibt. Wenn das Oberkleid den Namen Corsett -- wir müssen dabei von der heutigen Bedeutung des Wortes völlig absehen -- oder Kursit, Kursat und Kürsen führt, so war es stets mit Rauchwerk gefüttert; denn obwohl die Ableitung des Wortes Kürsch zweifelhaft ist, so ist doch sicher, daß es in dieser Form von Anfang an Pelz bezeichnet, und von dem Gegenstand erst der Name auf das Kleid und auf das Hand- werk, Kürschner, übergegangen ist. Als eine besondere Art von
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
hang, der ſchon damals im Reich der Mode ſtatt fand und eine ziemlich allgemeine, im Weſentlichen gleiche Tracht der vorneh- men Welt herausgebildet hatte. Die meiſten Einflüſſe gingen ſchon damals von Frankreich aus.
In einer bereits oben angeführten Stelle im Frauendienſt des Ulrich von Liechtenſtein trägt die verehrte Dame ſeines Her- zens, als ſie ihn empfängt, über dem weißen Hemde eine Su- keine von Scharlach, mit weißem Hermelin gefüttert, ſowie im Triſtan des Heinrich von Friberg die blonde Iſolde mit Rock, Sukenie und Mantel bekleidet iſt. Auch in dem Gedicht „Frauen- treue“, welches in von der Hagen’s Geſammtabenteuern mitge- theilt wird, iſt dieſes Kleidungsſtückes in lehrreicher Weiſe ge- dacht. Eine Frau ſteht an der Leiche des Geliebten und opfert ihm ihre Kleider: erſt legt ſie den Mantel ab, dann entkleidet ſie ſich der Sukenie und drittens auch des Rockes, „daß ſie vor Leide gar der Scham vergaß.“ Wir erkennen hier deutlich die Aufein- anderfolge der Stücke und erfahren zugleich aus dieſen Beiſpielen, die wir den verſchiedenartigſten und verſchiedenen Gegenden an- gehörenden Gedichten entnehmen, daß die Sukenie ein überall verbreitetes, gewöhnliches Oberkleid war, ſelbſt wenn die Ablei- tung des Wortes von dem altſlaviſchen sukno, Gewand, die richtige iſt. In jedem Falle war ſie ein, wenn auch am Oberkör- per eng anliegendes, doch langes, auf die Füße fallendes Ober- kleid.
Gewiß ähnlich war auch der Sürkot, dem Worte nach franzöſiſchen Urſprungs und ſchon Oberkleid bedeutend. Später ändert ſich die Form deſſelben mit der Umwandlung der Mode, während der Name bleibt. Wenn das Oberkleid den Namen Corſett — wir müſſen dabei von der heutigen Bedeutung des Wortes völlig abſehen — oder Kurſit, Kurſat und Kürſen führt, ſo war es ſtets mit Rauchwerk gefüttert; denn obwohl die Ableitung des Wortes Kürſch zweifelhaft iſt, ſo iſt doch ſicher, daß es in dieſer Form von Anfang an Pelz bezeichnet, und von dem Gegenſtand erſt der Name auf das Kleid und auf das Hand- werk, Kürſchner, übergegangen iſt. Als eine beſondere Art von
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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
hang, der ſchon damals im Reich der Mode ſtatt fand und eine
ziemlich allgemeine, im Weſentlichen gleiche Tracht der vorneh-
men Welt herausgebildet hatte. Die meiſten Einflüſſe gingen
ſchon damals von Frankreich aus.
In einer bereits oben angeführten Stelle im Frauendienſt
des Ulrich von Liechtenſtein trägt die verehrte Dame ſeines Her-
zens, als ſie ihn empfängt, über dem weißen Hemde eine Su-
keine von Scharlach, mit weißem Hermelin gefüttert, ſowie im
Triſtan des Heinrich von Friberg die blonde Iſolde mit Rock,
Sukenie und Mantel bekleidet iſt. Auch in dem Gedicht „Frauen-
treue“, welches in von der Hagen’s Geſammtabenteuern mitge-
theilt wird, iſt dieſes Kleidungsſtückes in lehrreicher Weiſe ge-
dacht. Eine Frau ſteht an der Leiche des Geliebten und opfert
ihm ihre Kleider: erſt legt ſie den Mantel ab, dann entkleidet ſie
ſich der Sukenie und drittens auch des Rockes, „daß ſie vor Leide
gar der Scham vergaß.“ Wir erkennen hier deutlich die Aufein-
anderfolge der Stücke und erfahren zugleich aus dieſen Beiſpielen,
die wir den verſchiedenartigſten und verſchiedenen Gegenden an-
gehörenden Gedichten entnehmen, daß die Sukenie ein überall
verbreitetes, gewöhnliches Oberkleid war, ſelbſt wenn die Ablei-
tung des Wortes von dem altſlaviſchen sukno, Gewand, die
richtige iſt. In jedem Falle war ſie ein, wenn auch am Oberkör-
per eng anliegendes, doch langes, auf die Füße fallendes Ober-
kleid.
Gewiß ähnlich war auch der Sürkot, dem Worte nach
franzöſiſchen Urſprungs und ſchon Oberkleid bedeutend. Später
ändert ſich die Form deſſelben mit der Umwandlung der Mode,
während der Name bleibt. Wenn das Oberkleid den Namen
Corſett — wir müſſen dabei von der heutigen Bedeutung des
Wortes völlig abſehen — oder Kurſit, Kurſat und Kürſen
führt, ſo war es ſtets mit Rauchwerk gefüttert; denn obwohl die
Ableitung des Wortes Kürſch zweifelhaft iſt, ſo iſt doch ſicher,
daß es in dieſer Form von Anfang an Pelz bezeichnet, und von
dem Gegenſtand erſt der Name auf das Kleid und auf das Hand-
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/129>, abgerufen am 16.02.2025.
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