Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. aber webten sie in allen ihren Ländern: so waren in Spanien dieSeidenstoffe von Almeria hochberühmt, Marokko lieferte Seide, die Nordküste Afrikas, die unter muselmännischer Herrschaft stehen- den griechischen Inseln, Kleinasien und die ferneren Länder, Ara- bien, das Land am Euphrat und Tigris, Hochasien und Indien als das berühmte Land der Serer, der Seide alte und ursprüng- liche Heimath. Nur die normännischen Könige und ihre hohen- staufischen Nachfolger hatten eine große und weitberühmte Mu- sterfabrik in Palermo, aber die Arbeiter selbst, die zeichnenden Künstler wie die Weber, waren Sarazenen; die Ornamente, die eingewebten arabischen Sprüche und die historischen Zeugnisse geben das genugsam zu erkennen. Aus dieser Fabrik stammt ein großer Theil der noch erhaltenen, zum Krönungsornat der deut- schen Kaiser gehörenden Gewänder. Die Anstalt von Palermo wurde die Musterschule für Lucca und die Fabriken Oberitaliens, von wo aus diese Kunst nach den Niederlanden kam. Hier ge- langte sie aber erst im fünfzehnten Jahrhundert zu der außeror- dentlichen Blüthe und kunstfertigen Vollendung. Die höfischen Dichter, bedacht den Glanz ihrer Helden und Heldinnen durch den Reiz des Fernen, Unbekannten und Wunderbaren zu erhöhen, führen uns eine Menge fremdartig und seltsam klingender Namen als Fabrikstätten vor, die theilweise wirklichen Städten und Län- dern angehören, theils aber auch, wenn nicht grade der Willkür der Dichter, doch dem Mißverständniß und dem phantastischen Sinn der Reisenden und der Aufschneiderei der Kaufleute ent- sprungen sein mögen. Da giebt es neben der Seide aus Ninive und Bagdad und Alexandrien auch Seide aus Adramaut und Assagauk im Mohrenland, aus Alamansura (Mansora), aus Agathyrsiente, Ecidemonis, Ethnise, Neuriente, Pelpiunte, Seide aus Tabronit im Lande Tribalibot, Seide aus Thasme, erfunden von Sarant, einem Bürger dieser Stadt und daher Sa- ranthasme genannt, aus Zazamank und vielen andern Städten räthselhaften Namens. In ähnlicher Weise kommen für die ver- schiedenen Arten von Seidenstoffen auch eine Menge schwerer oder leichter zu erklärende Namen vor: Achmardi, Baldachin, II. Das Mittelalter. aber webten ſie in allen ihren Ländern: ſo waren in Spanien dieSeidenſtoffe von Almeria hochberühmt, Marokko lieferte Seide, die Nordküſte Afrikas, die unter muſelmänniſcher Herrſchaft ſtehen- den griechiſchen Inſeln, Kleinaſien und die ferneren Länder, Ara- bien, das Land am Euphrat und Tigris, Hochaſien und Indien als das berühmte Land der Serer, der Seide alte und urſprüng- liche Heimath. Nur die normänniſchen Könige und ihre hohen- ſtaufiſchen Nachfolger hatten eine große und weitberühmte Mu- ſterfabrik in Palermo, aber die Arbeiter ſelbſt, die zeichnenden Künſtler wie die Weber, waren Sarazenen; die Ornamente, die eingewebten arabiſchen Sprüche und die hiſtoriſchen Zeugniſſe geben das genugſam zu erkennen. Aus dieſer Fabrik ſtammt ein großer Theil der noch erhaltenen, zum Krönungsornat der deut- ſchen Kaiſer gehörenden Gewänder. Die Anſtalt von Palermo wurde die Muſterſchule für Lucca und die Fabriken Oberitaliens, von wo aus dieſe Kunſt nach den Niederlanden kam. Hier ge- langte ſie aber erſt im fünfzehnten Jahrhundert zu der außeror- dentlichen Blüthe und kunſtfertigen Vollendung. Die höfiſchen Dichter, bedacht den Glanz ihrer Helden und Heldinnen durch den Reiz des Fernen, Unbekannten und Wunderbaren zu erhöhen, führen uns eine Menge fremdartig und ſeltſam klingender Namen als Fabrikſtätten vor, die theilweiſe wirklichen Städten und Län- dern angehören, theils aber auch, wenn nicht grade der Willkür der Dichter, doch dem Mißverſtändniß und dem phantaſtiſchen Sinn der Reiſenden und der Aufſchneiderei der Kaufleute ent- ſprungen ſein mögen. Da giebt es neben der Seide aus Ninive und Bagdad und Alexandrien auch Seide aus Adramaut und Aſſagauk im Mohrenland, aus Alamanſura (Manſora), aus Agathyrſiente, Ecidemonis, Ethniſe, Neuriente, Pelpiunte, Seide aus Tabronit im Lande Tribalibot, Seide aus Thasme, erfunden von Sarant, einem Bürger dieſer Stadt und daher Sa- ranthasme genannt, aus Zazamank und vielen andern Städten räthſelhaften Namens. In ähnlicher Weiſe kommen für die ver- ſchiedenen Arten von Seidenſtoffen auch eine Menge ſchwerer oder leichter zu erklärende Namen vor: Achmardi, Baldachin, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0180" n="162"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/> aber webten ſie in allen ihren Ländern: ſo waren in Spanien die<lb/> Seidenſtoffe von Almeria hochberühmt, Marokko lieferte Seide,<lb/> die Nordküſte Afrikas, die unter muſelmänniſcher Herrſchaft ſtehen-<lb/> den griechiſchen Inſeln, Kleinaſien und die ferneren Länder, Ara-<lb/> bien, das Land am Euphrat und Tigris, Hochaſien und Indien<lb/> als das berühmte Land der Serer, der Seide alte und urſprüng-<lb/> liche Heimath. 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II. Das Mittelalter.
aber webten ſie in allen ihren Ländern: ſo waren in Spanien die
Seidenſtoffe von Almeria hochberühmt, Marokko lieferte Seide,
die Nordküſte Afrikas, die unter muſelmänniſcher Herrſchaft ſtehen-
den griechiſchen Inſeln, Kleinaſien und die ferneren Länder, Ara-
bien, das Land am Euphrat und Tigris, Hochaſien und Indien
als das berühmte Land der Serer, der Seide alte und urſprüng-
liche Heimath. Nur die normänniſchen Könige und ihre hohen-
ſtaufiſchen Nachfolger hatten eine große und weitberühmte Mu-
ſterfabrik in Palermo, aber die Arbeiter ſelbſt, die zeichnenden
Künſtler wie die Weber, waren Sarazenen; die Ornamente, die
eingewebten arabiſchen Sprüche und die hiſtoriſchen Zeugniſſe
geben das genugſam zu erkennen. Aus dieſer Fabrik ſtammt ein
großer Theil der noch erhaltenen, zum Krönungsornat der deut-
ſchen Kaiſer gehörenden Gewänder. Die Anſtalt von Palermo
wurde die Muſterſchule für Lucca und die Fabriken Oberitaliens,
von wo aus dieſe Kunſt nach den Niederlanden kam. Hier ge-
langte ſie aber erſt im fünfzehnten Jahrhundert zu der außeror-
dentlichen Blüthe und kunſtfertigen Vollendung. Die höfiſchen
Dichter, bedacht den Glanz ihrer Helden und Heldinnen durch
den Reiz des Fernen, Unbekannten und Wunderbaren zu erhöhen,
führen uns eine Menge fremdartig und ſeltſam klingender Namen
als Fabrikſtätten vor, die theilweiſe wirklichen Städten und Län-
dern angehören, theils aber auch, wenn nicht grade der Willkür
der Dichter, doch dem Mißverſtändniß und dem phantaſtiſchen
Sinn der Reiſenden und der Aufſchneiderei der Kaufleute ent-
ſprungen ſein mögen. Da giebt es neben der Seide aus Ninive
und Bagdad und Alexandrien auch Seide aus Adramaut und
Aſſagauk im Mohrenland, aus Alamanſura (Manſora), aus
Agathyrſiente, Ecidemonis, Ethniſe, Neuriente, Pelpiunte,
Seide aus Tabronit im Lande Tribalibot, Seide aus Thasme,
erfunden von Sarant, einem Bürger dieſer Stadt und daher Sa-
ranthasme genannt, aus Zazamank und vielen andern Städten
räthſelhaften Namens. In ähnlicher Weiſe kommen für die ver-
ſchiedenen Arten von Seidenſtoffen auch eine Menge ſchwerer
oder leichter zu erklärende Namen vor: Achmardi, Baldachin,
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