Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. chen. In Frankreich bedrohte sie selbst die Schneider und Putz-macherinnen mit dem Kirchenbann. Die Zustände waren überall gleich. Ehrbare und liebevolle Väter waren bemüht, durch War- nungen ihre Kinder vor den Gefahren der Zeit zu schützen. So sah sich etwa um das Jahr 1400 ein alter französischer Ritter de la Tour-Landry veranlaßt, durch besondere Aufzeichnungen seine Töchter mit dem Verderben der Welt bekannt zu machen; er fügt seinen Lehren Beispiele hinzu, die er selbst erlebt haben will. Wir theilen ein solches mit, welches uns wieder die Geistlichkeit in Opposition zeigt. Ein Ritter, so erzählt er, habe nach einander drei Frauen gehabt. Als ihm die erste gestorben, besuchte er wei- nend einen Onkel, der Einsiedler war, und bat ihn, sich im Ge- bet an Gott zu wenden, damit er erfahre, welches Loos der Ge- storbenen zu Theil geworden sei. Nach einem langen Gebet fiel der Einsiedler in tiefen Schlaf. Dann sah er im Traum St. Mi- chael auf der einen und den Teufel auf der andern Seite, welche sich um den Besitz der armen Seele stritten. Die schönen, herme- linverbrämten Kleider lasteten schwer in der Wage zu Gunsten des Teufels: "He, St. Michael," sagte der letztere, "diese Frau hatte zehn Paar Kleider, ebensoviel lange wie kurze, und ebenso- viele Oberröcke. Ihr wißt, daß schon die Hälfte davon ihr hätte genügen können. Ein langes Kleid, zwei kurze und ebensoviele Oberröcke sind genug für eine einfache Dame; und wenn sie sich gottgefällig mit weniger begnügt hätte, so hätten noch funfzig Arme mit dem Preis einer einzigen ihrer Roben gekleidet werden können." Und der Teufel brachte diese Kleider herbei und warf sie in die Wagschale mit Schmucksachen aller Art, was ein so großes Gewicht machte, daß der Teufel gewann; und dann bedeckte er die arme Seele mit diesen Kleidern, die in Feuer gerathen waren und sie unaufhörlich brannten. Solches sah der Einsiedler im Traum und beeilte sich, es seinem Neffen zu erzählen. -- Als nun dem Ritter nach fünf Jahren auch die zweite Frau gestorben war, kam er noch einmal zum Einsiedler, der wieder betete, entschlief und die Verstorbene wegen eines einzigen Fehltritts auf hundert Jahre zum Fegefeuer verurtheilt sah. Nach dem Tode der dritten II. Das Mittelalter. chen. In Frankreich bedrohte ſie ſelbſt die Schneider und Putz-macherinnen mit dem Kirchenbann. Die Zuſtände waren überall gleich. Ehrbare und liebevolle Väter waren bemüht, durch War- nungen ihre Kinder vor den Gefahren der Zeit zu ſchützen. So ſah ſich etwa um das Jahr 1400 ein alter franzöſiſcher Ritter de la Tour-Landry veranlaßt, durch beſondere Aufzeichnungen ſeine Töchter mit dem Verderben der Welt bekannt zu machen; er fügt ſeinen Lehren Beiſpiele hinzu, die er ſelbſt erlebt haben will. Wir theilen ein ſolches mit, welches uns wieder die Geiſtlichkeit in Oppoſition zeigt. Ein Ritter, ſo erzählt er, habe nach einander drei Frauen gehabt. Als ihm die erſte geſtorben, beſuchte er wei- nend einen Onkel, der Einſiedler war, und bat ihn, ſich im Ge- bet an Gott zu wenden, damit er erfahre, welches Loos der Ge- ſtorbenen zu Theil geworden ſei. Nach einem langen Gebet fiel der Einſiedler in tiefen Schlaf. Dann ſah er im Traum St. Mi- chael auf der einen und den Teufel auf der andern Seite, welche ſich um den Beſitz der armen Seele ſtritten. Die ſchönen, herme- linverbrämten Kleider laſteten ſchwer in der Wage zu Gunſten des Teufels: „He, St. Michael,“ ſagte der letztere, „dieſe Frau hatte zehn Paar Kleider, ebenſoviel lange wie kurze, und ebenſo- viele Oberröcke. Ihr wißt, daß ſchon die Hälfte davon ihr hätte genügen können. Ein langes Kleid, zwei kurze und ebenſoviele Oberröcke ſind genug für eine einfache Dame; und wenn ſie ſich gottgefällig mit weniger begnügt hätte, ſo hätten noch funfzig Arme mit dem Preis einer einzigen ihrer Roben gekleidet werden können.“ Und der Teufel brachte dieſe Kleider herbei und warf ſie in die Wagſchale mit Schmuckſachen aller Art, was ein ſo großes Gewicht machte, daß der Teufel gewann; und dann bedeckte er die arme Seele mit dieſen Kleidern, die in Feuer gerathen waren und ſie unaufhörlich brannten. Solches ſah der Einſiedler im Traum und beeilte ſich, es ſeinem Neffen zu erzählen. — Als nun dem Ritter nach fünf Jahren auch die zweite Frau geſtorben war, kam er noch einmal zum Einſiedler, der wieder betete, entſchlief und die Verſtorbene wegen eines einzigen Fehltritts auf hundert Jahre zum Fegefeuer verurtheilt ſah. Nach dem Tode der dritten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0194" n="176"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/> chen. In Frankreich bedrohte ſie ſelbſt die Schneider und Putz-<lb/> macherinnen mit dem Kirchenbann. Die Zuſtände waren überall<lb/> gleich. Ehrbare und liebevolle Väter waren bemüht, durch War-<lb/> nungen ihre Kinder vor den Gefahren der Zeit zu ſchützen. 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II. Das Mittelalter.
chen. In Frankreich bedrohte ſie ſelbſt die Schneider und Putz-
macherinnen mit dem Kirchenbann. Die Zuſtände waren überall
gleich. Ehrbare und liebevolle Väter waren bemüht, durch War-
nungen ihre Kinder vor den Gefahren der Zeit zu ſchützen. So
ſah ſich etwa um das Jahr 1400 ein alter franzöſiſcher Ritter de
la Tour-Landry veranlaßt, durch beſondere Aufzeichnungen ſeine
Töchter mit dem Verderben der Welt bekannt zu machen; er fügt
ſeinen Lehren Beiſpiele hinzu, die er ſelbſt erlebt haben will. Wir
theilen ein ſolches mit, welches uns wieder die Geiſtlichkeit in
Oppoſition zeigt. Ein Ritter, ſo erzählt er, habe nach einander
drei Frauen gehabt. Als ihm die erſte geſtorben, beſuchte er wei-
nend einen Onkel, der Einſiedler war, und bat ihn, ſich im Ge-
bet an Gott zu wenden, damit er erfahre, welches Loos der Ge-
ſtorbenen zu Theil geworden ſei. Nach einem langen Gebet fiel
der Einſiedler in tiefen Schlaf. Dann ſah er im Traum St. Mi-
chael auf der einen und den Teufel auf der andern Seite, welche
ſich um den Beſitz der armen Seele ſtritten. Die ſchönen, herme-
linverbrämten Kleider laſteten ſchwer in der Wage zu Gunſten
des Teufels: „He, St. Michael,“ ſagte der letztere, „dieſe Frau
hatte zehn Paar Kleider, ebenſoviel lange wie kurze, und ebenſo-
viele Oberröcke. Ihr wißt, daß ſchon die Hälfte davon ihr hätte
genügen können. Ein langes Kleid, zwei kurze und ebenſoviele
Oberröcke ſind genug für eine einfache Dame; und wenn ſie ſich
gottgefällig mit weniger begnügt hätte, ſo hätten noch funfzig
Arme mit dem Preis einer einzigen ihrer Roben gekleidet werden
können.“ Und der Teufel brachte dieſe Kleider herbei und warf ſie
in die Wagſchale mit Schmuckſachen aller Art, was ein ſo großes
Gewicht machte, daß der Teufel gewann; und dann bedeckte er
die arme Seele mit dieſen Kleidern, die in Feuer gerathen waren
und ſie unaufhörlich brannten. Solches ſah der Einſiedler im
Traum und beeilte ſich, es ſeinem Neffen zu erzählen. — Als nun
dem Ritter nach fünf Jahren auch die zweite Frau geſtorben war,
kam er noch einmal zum Einſiedler, der wieder betete, entſchlief
und die Verſtorbene wegen eines einzigen Fehltritts auf hundert
Jahre zum Fegefeuer verurtheilt ſah. Nach dem Tode der dritten
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Zitationshilfe: | Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/194>, abgerufen am 16.02.2025. |