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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Seite. Die Kehrseite ist leicht begreiflich: der Pietismus, die
Neigung zur Bußfertigkeit, welche die Klöster der Büßerinnen,
der Reuerinnen und Magdalenenschwestern hervorrief. Andere
fromme Seelen, welche sich der Weltlust abwandten, fanden sich
zu stillem, beschaulichem Leben in den Beghinenhäusern zusam-
men; andere, welche die erbarmende Liebe trieb, stifteten Anstal-
ten zur Aufnahme und Unterhaltung gebesserter Frauen, andere
auch setzten ihnen Heirathsgut aus, damit sie auf immer zu einem
besseren Leben zurückkehren konnten.

Die Opposition fand noch positiveren Halt und Ausdruck
als an diesen passiven Tugenden. In keiner Zeit hatte die Di-
daktik wärmere und tüchtigere Vertreter; aus ihr wuchs die Sa-
tire hervor, als alle Schranken und natürlichen Formen maßlos
überschritten waren und die Lebenszustände als Carricatur er-
schienen. Mit gleichem Eifer rührten sich die Geistlichen gegen
den Luxus und das Verderben. Ihr Erfolg war aber nirgends
ein bleibender, und es ist gewiß manchem ähnlich gegangen wie
dem Johann de Capistrano, da er in Ulm gegen die schlechten
Sitten der Frauen und ihre Kleidermoden predigte. Drei Frauen,
welche seiner Predigt spotteten, wurden sogleich vom Volke be-
straft, aber der Rath warf ihn ins Gefängniß und verwies ihn
der Stadt. Das größte Hinderniß war ihren Bemühungen der
eigene Stand, der durch seine Theilnahme an der allgemeinen
Sittenlosigkeit in Verachtung gefallen war. Sie verleugneten auch
in ihrem Aeußern die geistliche Würde und trugen nur zu gern
die Kleidung der Laien. In Ulm gingen sie auf den Straßen im
Silberschmuck einher, und liefen mit Sporen und Messern herum.
Von Rathswegen wurde den Gassenknechten aufgegeben, alle
Priester einzufangen und zum Bürgermeister zu führen, die sie
auf der Gasse in unpriesterlichem Gewand und mit langer Wehre
antreffen würden.

Indeß hörte der bessere Theil der Geistlichkeit nicht auf, in
mannigfacher Weise, von der Kanzel wie im Beichtstuhl, sowie
durch angedrohte Strafen, selbst der Hölle, namentlich gegen die
ausgelassenen und schamlosen Kleidertrachten Opposition zu ma-

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Seite. Die Kehrſeite iſt leicht begreiflich: der Pietismus, die
Neigung zur Bußfertigkeit, welche die Klöſter der Büßerinnen,
der Reuerinnen und Magdalenenſchweſtern hervorrief. Andere
fromme Seelen, welche ſich der Weltluſt abwandten, fanden ſich
zu ſtillem, beſchaulichem Leben in den Beghinenhäuſern zuſam-
men; andere, welche die erbarmende Liebe trieb, ſtifteten Anſtal-
ten zur Aufnahme und Unterhaltung gebeſſerter Frauen, andere
auch ſetzten ihnen Heirathsgut aus, damit ſie auf immer zu einem
beſſeren Leben zurückkehren konnten.

Die Oppoſition fand noch poſitiveren Halt und Ausdruck
als an dieſen paſſiven Tugenden. In keiner Zeit hatte die Di-
daktik wärmere und tüchtigere Vertreter; aus ihr wuchs die Sa-
tire hervor, als alle Schranken und natürlichen Formen maßlos
überſchritten waren und die Lebenszuſtände als Carricatur er-
ſchienen. Mit gleichem Eifer rührten ſich die Geiſtlichen gegen
den Luxus und das Verderben. Ihr Erfolg war aber nirgends
ein bleibender, und es iſt gewiß manchem ähnlich gegangen wie
dem Johann de Capiſtrano, da er in Ulm gegen die ſchlechten
Sitten der Frauen und ihre Kleidermoden predigte. Drei Frauen,
welche ſeiner Predigt ſpotteten, wurden ſogleich vom Volke be-
ſtraft, aber der Rath warf ihn ins Gefängniß und verwies ihn
der Stadt. Das größte Hinderniß war ihren Bemühungen der
eigene Stand, der durch ſeine Theilnahme an der allgemeinen
Sittenloſigkeit in Verachtung gefallen war. Sie verleugneten auch
in ihrem Aeußern die geiſtliche Würde und trugen nur zu gern
die Kleidung der Laien. In Ulm gingen ſie auf den Straßen im
Silberſchmuck einher, und liefen mit Sporen und Meſſern herum.
Von Rathswegen wurde den Gaſſenknechten aufgegeben, alle
Prieſter einzufangen und zum Bürgermeiſter zu führen, die ſie
auf der Gaſſe in unprieſterlichem Gewand und mit langer Wehre
antreffen würden.

Indeß hörte der beſſere Theil der Geiſtlichkeit nicht auf, in
mannigfacher Weiſe, von der Kanzel wie im Beichtſtuhl, ſowie
durch angedrohte Strafen, ſelbſt der Hölle, namentlich gegen die
ausgelaſſenen und ſchamloſen Kleidertrachten Oppoſition zu ma-

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[175/0193] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Seite. Die Kehrſeite iſt leicht begreiflich: der Pietismus, die Neigung zur Bußfertigkeit, welche die Klöſter der Büßerinnen, der Reuerinnen und Magdalenenſchweſtern hervorrief. Andere fromme Seelen, welche ſich der Weltluſt abwandten, fanden ſich zu ſtillem, beſchaulichem Leben in den Beghinenhäuſern zuſam- men; andere, welche die erbarmende Liebe trieb, ſtifteten Anſtal- ten zur Aufnahme und Unterhaltung gebeſſerter Frauen, andere auch ſetzten ihnen Heirathsgut aus, damit ſie auf immer zu einem beſſeren Leben zurückkehren konnten. Die Oppoſition fand noch poſitiveren Halt und Ausdruck als an dieſen paſſiven Tugenden. In keiner Zeit hatte die Di- daktik wärmere und tüchtigere Vertreter; aus ihr wuchs die Sa- tire hervor, als alle Schranken und natürlichen Formen maßlos überſchritten waren und die Lebenszuſtände als Carricatur er- ſchienen. Mit gleichem Eifer rührten ſich die Geiſtlichen gegen den Luxus und das Verderben. Ihr Erfolg war aber nirgends ein bleibender, und es iſt gewiß manchem ähnlich gegangen wie dem Johann de Capiſtrano, da er in Ulm gegen die ſchlechten Sitten der Frauen und ihre Kleidermoden predigte. Drei Frauen, welche ſeiner Predigt ſpotteten, wurden ſogleich vom Volke be- ſtraft, aber der Rath warf ihn ins Gefängniß und verwies ihn der Stadt. Das größte Hinderniß war ihren Bemühungen der eigene Stand, der durch ſeine Theilnahme an der allgemeinen Sittenloſigkeit in Verachtung gefallen war. Sie verleugneten auch in ihrem Aeußern die geiſtliche Würde und trugen nur zu gern die Kleidung der Laien. In Ulm gingen ſie auf den Straßen im Silberſchmuck einher, und liefen mit Sporen und Meſſern herum. Von Rathswegen wurde den Gaſſenknechten aufgegeben, alle Prieſter einzufangen und zum Bürgermeiſter zu führen, die ſie auf der Gaſſe in unprieſterlichem Gewand und mit langer Wehre antreffen würden. Indeß hörte der beſſere Theil der Geiſtlichkeit nicht auf, in mannigfacher Weiſe, von der Kanzel wie im Beichtſtuhl, ſowie durch angedrohte Strafen, ſelbſt der Hölle, namentlich gegen die ausgelaſſenen und ſchamloſen Kleidertrachten Oppoſition zu ma-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/193>, abgerufen am 21.11.2024.