Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. "Wisset, daß Ihr in der Wahl Eurer Kleider immer die LageEurer Aeltern und die meinige, sowie den Stand meines Vermö- gens vor Augen haben müßt. Seid anständig gekleidet, nicht affectirt noch modesüchtig. Bevor Ihr Euer Zimmer verlasset, habt Acht, daß der Saum Eures Hemdes und Eures Kleides wohl in Ordnung sei und nicht schief sitze. Laßt Eure Haare, Eure Haube, Euren Hut immer einfach und reinlich sein." ... "Wenn Ihr geht, haltet den Kopf grade, die Augenlieder gesenkt, und den Blick in bestimmter Entfernung -- (die Vorschrift lautet auf 4 Toisen) -- zur Erde gerichtet. Betrachtet nicht zur Rechten und zur Linken die Männer und die Frauen, dreht nicht den Kopf bei jeder Veranlassung, lacht nicht, noch bleibt auf der Straße stehen, um zu plaudern. Einmal in der Kirche, wählt Euch einen verborgenen, einsamen Platz vor einem Altar, behaltet ihn und verändert ihn nicht mehrere Male. Haltet den Kopf grade, sprecht ohne Unterlaß Eure Gebete, indem Ihr den Blick auf das Buch oder das Bild, das vor Euch steht, gerichtet habt, indeß ohne Ziererei und Mienenspiel; laßt Euer Herz am Him- mel hängen und verehrt Gott aus allen Euren Kräften." Das sind Vorschriften eines Bürgers und Ehemannes aus dem funf- zehnten Jahrhundert, heute so gültig wie damals. Leider können wir ihm nichts ähnliches in Deutschland aus derselben Zeit zur Seite stellen; wir haben hier nur die bittern Worte des Satiri- kers, wie Sebastian Brant, die klagenden der Chronisten, die strafenden der Dichter. Die schlimmsten Schilderungen der Mode- sitten finden sich wohl im Gedicht Kittel, in welchem der Dichter der Königin Venus Bericht erstattet über die schändliche Liebe seiner Zeit, über die schamlose Tracht, und das Benehmen der Männer und Frauen gegen einander. Die Stelle ist als Ganzes nicht mitzutheilen, auf Einzelnes werden wir zurückkommen. Ebenfalls als Ausflüsse dieses in der Sitte conservativen II. Das Mittelalter. „Wiſſet, daß Ihr in der Wahl Eurer Kleider immer die LageEurer Aeltern und die meinige, ſowie den Stand meines Vermö- gens vor Augen haben müßt. Seid anſtändig gekleidet, nicht affectirt noch modeſüchtig. Bevor Ihr Euer Zimmer verlaſſet, habt Acht, daß der Saum Eures Hemdes und Eures Kleides wohl in Ordnung ſei und nicht ſchief ſitze. Laßt Eure Haare, Eure Haube, Euren Hut immer einfach und reinlich ſein.“ … „Wenn Ihr geht, haltet den Kopf grade, die Augenlieder geſenkt, und den Blick in beſtimmter Entfernung — (die Vorſchrift lautet auf 4 Toiſen) — zur Erde gerichtet. Betrachtet nicht zur Rechten und zur Linken die Männer und die Frauen, dreht nicht den Kopf bei jeder Veranlaſſung, lacht nicht, noch bleibt auf der Straße ſtehen, um zu plaudern. Einmal in der Kirche, wählt Euch einen verborgenen, einſamen Platz vor einem Altar, behaltet ihn und verändert ihn nicht mehrere Male. Haltet den Kopf grade, ſprecht ohne Unterlaß Eure Gebete, indem Ihr den Blick auf das Buch oder das Bild, das vor Euch ſteht, gerichtet habt, indeß ohne Ziererei und Mienenſpiel; laßt Euer Herz am Him- mel hängen und verehrt Gott aus allen Euren Kräften.“ Das ſind Vorſchriften eines Bürgers und Ehemannes aus dem funf- zehnten Jahrhundert, heute ſo gültig wie damals. Leider können wir ihm nichts ähnliches in Deutſchland aus derſelben Zeit zur Seite ſtellen; wir haben hier nur die bittern Worte des Satiri- kers, wie Sebaſtian Brant, die klagenden der Chroniſten, die ſtrafenden der Dichter. Die ſchlimmſten Schilderungen der Mode- ſitten finden ſich wohl im Gedicht Kittel, in welchem der Dichter der Königin Venus Bericht erſtattet über die ſchändliche Liebe ſeiner Zeit, über die ſchamloſe Tracht, und das Benehmen der Männer und Frauen gegen einander. 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II. Das Mittelalter.
„Wiſſet, daß Ihr in der Wahl Eurer Kleider immer die Lage
Eurer Aeltern und die meinige, ſowie den Stand meines Vermö-
gens vor Augen haben müßt. Seid anſtändig gekleidet, nicht
affectirt noch modeſüchtig. Bevor Ihr Euer Zimmer verlaſſet,
habt Acht, daß der Saum Eures Hemdes und Eures Kleides
wohl in Ordnung ſei und nicht ſchief ſitze. Laßt Eure Haare,
Eure Haube, Euren Hut immer einfach und reinlich ſein.“ …
„Wenn Ihr geht, haltet den Kopf grade, die Augenlieder geſenkt,
und den Blick in beſtimmter Entfernung — (die Vorſchrift lautet
auf 4 Toiſen) — zur Erde gerichtet. Betrachtet nicht zur Rechten
und zur Linken die Männer und die Frauen, dreht nicht den
Kopf bei jeder Veranlaſſung, lacht nicht, noch bleibt auf der
Straße ſtehen, um zu plaudern. Einmal in der Kirche, wählt
Euch einen verborgenen, einſamen Platz vor einem Altar, behaltet
ihn und verändert ihn nicht mehrere Male. Haltet den Kopf
grade, ſprecht ohne Unterlaß Eure Gebete, indem Ihr den Blick
auf das Buch oder das Bild, das vor Euch ſteht, gerichtet habt,
indeß ohne Ziererei und Mienenſpiel; laßt Euer Herz am Him-
mel hängen und verehrt Gott aus allen Euren Kräften.“ Das
ſind Vorſchriften eines Bürgers und Ehemannes aus dem funf-
zehnten Jahrhundert, heute ſo gültig wie damals. Leider können
wir ihm nichts ähnliches in Deutſchland aus derſelben Zeit zur
Seite ſtellen; wir haben hier nur die bittern Worte des Satiri-
kers, wie Sebaſtian Brant, die klagenden der Chroniſten, die
ſtrafenden der Dichter. Die ſchlimmſten Schilderungen der Mode-
ſitten finden ſich wohl im Gedicht Kittel, in welchem der Dichter
der Königin Venus Bericht erſtattet über die ſchändliche Liebe
ſeiner Zeit, über die ſchamloſe Tracht, und das Benehmen der
Männer und Frauen gegen einander. Die Stelle iſt als Ganzes
nicht mitzutheilen, auf Einzelnes werden wir zurückkommen.
Ebenfalls als Ausflüſſe dieſes in der Sitte conſervativen
Bürgerſinns, welcher den Ausſchweifungen, den Zuchtloſigkeiten
im Leben, dem Aufwand und den barocken und übertreiben-
den Lauuəu der Mode entgegentrat, ſind die vielen Luxus-
und Kleiderordnungen zu betrachten, wenn auch an vielen
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