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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
so erzählt ihm eine angesehene Dame, "eine junge und hübsche
Frau ganz verschieden von den andern gekleidet; ein jeder be-
trachtete sie, als ob sie ein wildes Thier wäre. Ich näherte mich
ihr und sagte: Meine Liebe, wie nennen Sie diese Mode? --
Sie antwortete mir, man nenne sie die Galgencoiffüre. -- O
mein Gott! antwortete ich, der Name ist nicht schön. -- Die
Neuigkeit verbreitete sich alsobald im Saal, jeder wiederholte den
Namen ,Galgencoiffüre', und alle lachten viel über die arme
Dame." --

Der Weg, den die Moden in dieser Periode, die wir jetzt
schildern, einschlugen, vorbereitet schon in der ersten Hälfte des
vierzehnten Jahrhunderts, führt sie überall ins Extrem, ohne
Rücksicht auf Schönheit, Natur, Zweckmäßigkeit, Sitte und Sitt-
lichkeit. Das wird unsre Darstellung im Einzelnen ergeben. --

Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Kleidung, wie sie
sich um die Mitte des genannten Jahrhunderts gestaltet hat.
Der vornehme Mann, der mit der Mode ging, trug wie ge-
wöhnlich ein Hemd, -- wenn es auch damals Sitte wurde, des
Nachts völlig unbekleidet im Bette zu liegen, -- über dem Hemd
einen anliegenden Rock, der über den Kopf angezogen wurde,
und darüber einen um die Schultern gehängten Mantel oder
häufiger einen weiten Oberrock mit langen, mäßig weiten Aer-
meln; das Beinkleid bedeckte, eng anschließend, die Beine in
einem Stück, und an den Füßen saßen Schuhe, welche den gan-
zen Fuß umschlossen oder oben einen Ausschnitt hatten. An die-
sen Kleidungsstücken zeigen sich nun die Veränderungen im Geist
der neuen Richtung, die sich zunächst in wachsender Enge und
Kürze ausspricht. Der Rock, welcher noch im Anfange des
Jahrhunderts bei Rittern und Herren bis gegen die Füße herab-
reichte und bei der dienenden Classe, auch wohl noch im Bürger-
stande nur eben noch die Kniee bedeckte, wechselt auf einmal in
diesem Verhältniß. Der Herr will ihn jetzt kurz haben, und den
Diener soll der längere kennzeichnen. Die Limburger Chronik be-
richtet davon sogleich nach dem Aufhören des schwarzen Todes:
"Die Röcke waren abgeschnitten um die Lenden und waren einer

II. Das Mittelalter.
ſo erzählt ihm eine angeſehene Dame, „eine junge und hübſche
Frau ganz verſchieden von den andern gekleidet; ein jeder be-
trachtete ſie, als ob ſie ein wildes Thier wäre. Ich näherte mich
ihr und ſagte: Meine Liebe, wie nennen Sie dieſe Mode? —
Sie antwortete mir, man nenne ſie die Galgencoiffüre. — O
mein Gott! antwortete ich, der Name iſt nicht ſchön. — Die
Neuigkeit verbreitete ſich alſobald im Saal, jeder wiederholte den
Namen ‚Galgencoiffüre‛, und alle lachten viel über die arme
Dame.“ —

Der Weg, den die Moden in dieſer Periode, die wir jetzt
ſchildern, einſchlugen, vorbereitet ſchon in der erſten Hälfte des
vierzehnten Jahrhunderts, führt ſie überall ins Extrem, ohne
Rückſicht auf Schönheit, Natur, Zweckmäßigkeit, Sitte und Sitt-
lichkeit. Das wird unſre Darſtellung im Einzelnen ergeben. —

Vergegenwärtigen wir uns zunächſt die Kleidung, wie ſie
ſich um die Mitte des genannten Jahrhunderts geſtaltet hat.
Der vornehme Mann, der mit der Mode ging, trug wie ge-
wöhnlich ein Hemd, — wenn es auch damals Sitte wurde, des
Nachts völlig unbekleidet im Bette zu liegen, — über dem Hemd
einen anliegenden Rock, der über den Kopf angezogen wurde,
und darüber einen um die Schultern gehängten Mantel oder
häufiger einen weiten Oberrock mit langen, mäßig weiten Aer-
meln; das Beinkleid bedeckte, eng anſchließend, die Beine in
einem Stück, und an den Füßen ſaßen Schuhe, welche den gan-
zen Fuß umſchloſſen oder oben einen Ausſchnitt hatten. An die-
ſen Kleidungsſtücken zeigen ſich nun die Veränderungen im Geiſt
der neuen Richtung, die ſich zunächſt in wachſender Enge und
Kürze ausſpricht. Der Rock, welcher noch im Anfange des
Jahrhunderts bei Rittern und Herren bis gegen die Füße herab-
reichte und bei der dienenden Claſſe, auch wohl noch im Bürger-
ſtande nur eben noch die Kniee bedeckte, wechſelt auf einmal in
dieſem Verhältniß. Der Herr will ihn jetzt kurz haben, und den
Diener ſoll der längere kennzeichnen. Die Limburger Chronik be-
richtet davon ſogleich nach dem Aufhören des ſchwarzen Todes:
„Die Röcke waren abgeſchnitten um die Lenden und waren einer

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[194/0212] II. Das Mittelalter. ſo erzählt ihm eine angeſehene Dame, „eine junge und hübſche Frau ganz verſchieden von den andern gekleidet; ein jeder be- trachtete ſie, als ob ſie ein wildes Thier wäre. Ich näherte mich ihr und ſagte: Meine Liebe, wie nennen Sie dieſe Mode? — Sie antwortete mir, man nenne ſie die Galgencoiffüre. — O mein Gott! antwortete ich, der Name iſt nicht ſchön. — Die Neuigkeit verbreitete ſich alſobald im Saal, jeder wiederholte den Namen ‚Galgencoiffüre‛, und alle lachten viel über die arme Dame.“ — Der Weg, den die Moden in dieſer Periode, die wir jetzt ſchildern, einſchlugen, vorbereitet ſchon in der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, führt ſie überall ins Extrem, ohne Rückſicht auf Schönheit, Natur, Zweckmäßigkeit, Sitte und Sitt- lichkeit. Das wird unſre Darſtellung im Einzelnen ergeben. — Vergegenwärtigen wir uns zunächſt die Kleidung, wie ſie ſich um die Mitte des genannten Jahrhunderts geſtaltet hat. Der vornehme Mann, der mit der Mode ging, trug wie ge- wöhnlich ein Hemd, — wenn es auch damals Sitte wurde, des Nachts völlig unbekleidet im Bette zu liegen, — über dem Hemd einen anliegenden Rock, der über den Kopf angezogen wurde, und darüber einen um die Schultern gehängten Mantel oder häufiger einen weiten Oberrock mit langen, mäßig weiten Aer- meln; das Beinkleid bedeckte, eng anſchließend, die Beine in einem Stück, und an den Füßen ſaßen Schuhe, welche den gan- zen Fuß umſchloſſen oder oben einen Ausſchnitt hatten. An die- ſen Kleidungsſtücken zeigen ſich nun die Veränderungen im Geiſt der neuen Richtung, die ſich zunächſt in wachſender Enge und Kürze ausſpricht. Der Rock, welcher noch im Anfange des Jahrhunderts bei Rittern und Herren bis gegen die Füße herab- reichte und bei der dienenden Claſſe, auch wohl noch im Bürger- ſtande nur eben noch die Kniee bedeckte, wechſelt auf einmal in dieſem Verhältniß. Der Herr will ihn jetzt kurz haben, und den Diener ſoll der längere kennzeichnen. Die Limburger Chronik be- richtet davon ſogleich nach dem Aufhören des ſchwarzen Todes: „Die Röcke waren abgeſchnitten um die Lenden und waren einer

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/212>, abgerufen am 24.11.2024.