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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bis auf die Wade oder selbst bis auf den Boden herabfallen
sehen, so schließen wir auf eine phantastisch seltsame Zeit, die ihre
Köpfe in eine so sonderbare, man möchte sagen, lustig-ernste
Verhüllung schließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte
früh die Aufmerksamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier gestattet
gewiß ein bedeutendes Maß mit 11/2 Ellen, aber er soll weder
gewunden noch zerschnitten sein. Noch anderes haben die Obrig-
keiten dabei zu verbieten. Keiner soll Federn darauf tragen noch
Schmelzwerk, noch goldene oder silberne Borten, noch überhaupt
Gold, Silber oder Perlen, so will es der Rath zu Speier; "kei-
ner soll ihn unter den Augen zerschnitzeln, in keiner Weise." Der
Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann
wie der Geschlechter dürfe seine Kappe zerhauen wie er wolle.

Die Gugel umschloß ein völlig bartloses Gesicht, wie
früher. Außer dem Vollbart fürstlicher oder hochbejahrter Perso-
nen giebt es aber noch eine Ausnahme. Es ist auffallend, wie
etwa seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, oder schon
etwas früher, bis in den Anfang des funfzehnten hinein eine
große Menge Ritter auf ihren Grabsteinen mit dem Schnurrbart
erscheinen, im Uebrigen aber ein glattes Gesicht zeigen. Wir ver-
folgen Beispiele die ganze Zeit hindurch, z. B. König Günther
von Schwarzburg (1349), Graf Rudolf von Sachsenhausen
(1370), zwei Grafen von Werthheim von 1407. Die Erklärung
für diese dem ganzen germanischen und romanischen Mittelalter
seit den Zeiten der Karolinger durchaus fremdartige Sitte dürfte
die böhmische Chronik des Hagecius geben. Dieselbe erzählt, daß
die Böhmen bereits im Jahr 1329 mit seltsamen Kleidern und
mancherlei Farben zu stolziren angefangen hätten. "Da fingen
auch die Ritter an lange Bärte zu tragen, da man sich vorher
glatt trug, auch trugen etliche Knebel, den Hunden und
Katzen gleich nach heidnischer Art." Damals stand Böhmen un-
ter dem Scepter der Luxemburger, und so mag es nicht unwahr-
scheinlich sein, daß ihre deutschen Ritter die böhmisch-slavische
Sitte annahmen und in der Ritterschaft Deutschlands weiter ver-
breiteten. Die Sitte muß noch tiefer gedrungen sein, denn im

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bis auf die Wade oder ſelbſt bis auf den Boden herabfallen
ſehen, ſo ſchließen wir auf eine phantaſtiſch ſeltſame Zeit, die ihre
Köpfe in eine ſo ſonderbare, man möchte ſagen, luſtig-ernſte
Verhüllung ſchließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte
früh die Aufmerkſamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier geſtattet
gewiß ein bedeutendes Maß mit 1½ Ellen, aber er ſoll weder
gewunden noch zerſchnitten ſein. Noch anderes haben die Obrig-
keiten dabei zu verbieten. Keiner ſoll Federn darauf tragen noch
Schmelzwerk, noch goldene oder ſilberne Borten, noch überhaupt
Gold, Silber oder Perlen, ſo will es der Rath zu Speier; „kei-
ner ſoll ihn unter den Augen zerſchnitzeln, in keiner Weiſe.“ Der
Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann
wie der Geſchlechter dürfe ſeine Kappe zerhauen wie er wolle.

Die Gugel umſchloß ein völlig bartloſes Geſicht, wie
früher. Außer dem Vollbart fürſtlicher oder hochbejahrter Perſo-
nen giebt es aber noch eine Ausnahme. Es iſt auffallend, wie
etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, oder ſchon
etwas früher, bis in den Anfang des funfzehnten hinein eine
große Menge Ritter auf ihren Grabſteinen mit dem Schnurrbart
erſcheinen, im Uebrigen aber ein glattes Geſicht zeigen. Wir ver-
folgen Beiſpiele die ganze Zeit hindurch, z. B. König Günther
von Schwarzburg (1349), Graf Rudolf von Sachſenhauſen
(1370), zwei Grafen von Werthheim von 1407. Die Erklärung
für dieſe dem ganzen germaniſchen und romaniſchen Mittelalter
ſeit den Zeiten der Karolinger durchaus fremdartige Sitte dürfte
die böhmiſche Chronik des Hagecius geben. Dieſelbe erzählt, daß
die Böhmen bereits im Jahr 1329 mit ſeltſamen Kleidern und
mancherlei Farben zu ſtolziren angefangen hätten. „Da fingen
auch die Ritter an lange Bärte zu tragen, da man ſich vorher
glatt trug, auch trugen etliche Knebel, den Hunden und
Katzen gleich nach heidniſcher Art.“ Damals ſtand Böhmen un-
ter dem Scepter der Luxemburger, und ſo mag es nicht unwahr-
ſcheinlich ſein, daß ihre deutſchen Ritter die böhmiſch-ſlaviſche
Sitte annahmen und in der Ritterſchaft Deutſchlands weiter ver-
breiteten. Die Sitte muß noch tiefer gedrungen ſein, denn im

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[205/0223] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. bis auf die Wade oder ſelbſt bis auf den Boden herabfallen ſehen, ſo ſchließen wir auf eine phantaſtiſch ſeltſame Zeit, die ihre Köpfe in eine ſo ſonderbare, man möchte ſagen, luſtig-ernſte Verhüllung ſchließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte früh die Aufmerkſamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier geſtattet gewiß ein bedeutendes Maß mit 1½ Ellen, aber er ſoll weder gewunden noch zerſchnitten ſein. Noch anderes haben die Obrig- keiten dabei zu verbieten. Keiner ſoll Federn darauf tragen noch Schmelzwerk, noch goldene oder ſilberne Borten, noch überhaupt Gold, Silber oder Perlen, ſo will es der Rath zu Speier; „kei- ner ſoll ihn unter den Augen zerſchnitzeln, in keiner Weiſe.“ Der Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann wie der Geſchlechter dürfe ſeine Kappe zerhauen wie er wolle. Die Gugel umſchloß ein völlig bartloſes Geſicht, wie früher. Außer dem Vollbart fürſtlicher oder hochbejahrter Perſo- nen giebt es aber noch eine Ausnahme. Es iſt auffallend, wie etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, oder ſchon etwas früher, bis in den Anfang des funfzehnten hinein eine große Menge Ritter auf ihren Grabſteinen mit dem Schnurrbart erſcheinen, im Uebrigen aber ein glattes Geſicht zeigen. Wir ver- folgen Beiſpiele die ganze Zeit hindurch, z. B. König Günther von Schwarzburg (1349), Graf Rudolf von Sachſenhauſen (1370), zwei Grafen von Werthheim von 1407. Die Erklärung für dieſe dem ganzen germaniſchen und romaniſchen Mittelalter ſeit den Zeiten der Karolinger durchaus fremdartige Sitte dürfte die böhmiſche Chronik des Hagecius geben. Dieſelbe erzählt, daß die Böhmen bereits im Jahr 1329 mit ſeltſamen Kleidern und mancherlei Farben zu ſtolziren angefangen hätten. „Da fingen auch die Ritter an lange Bärte zu tragen, da man ſich vorher glatt trug, auch trugen etliche Knebel, den Hunden und Katzen gleich nach heidniſcher Art.“ Damals ſtand Böhmen un- ter dem Scepter der Luxemburger, und ſo mag es nicht unwahr- ſcheinlich ſein, daß ihre deutſchen Ritter die böhmiſch-ſlaviſche Sitte annahmen und in der Ritterſchaft Deutſchlands weiter ver- breiteten. Die Sitte muß noch tiefer gedrungen ſein, denn im

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/223>, abgerufen am 24.11.2024.