Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. nichts Unwahrscheinliches dabei, als überhaupt die RegierungszeitWilhelms des Rothen durch den Kleiderluxus der neuen Eroberer sich auszeichnet. Man verglich diese Schuhe schon damals mit den Schiffsschnäbeln, und die lateinischen Chronisten nennen sie ocreae rostratae. Auch diesseits des Canals geschieht ihrer im elften Jahrhundert Erwähnung, und als Anna Comnena, die schriftstellernde Kaiserstochter, die fränkischen Kreuzfahrer in Con- stantinopel sah, findet sie an ihnen die spitzen Schuhe zu bemer- ken. Die Mode setzt sich fort, sodaß im zwölften Jahrhundert die Geistlichkeit mehrere Male dawider eifert als eine Sünde wider die Natur und als eine Ketzerei. Ihr selbst mußten sie für Frank- reich im Jahr 1212 auf dem Concil zu Paris verboten werden. Noch um das Jahr 1250 erhalten die Engländer deßhalb den Beinamen der "Geschwänzten." Diese Mode muß aber nirgends, und namentlich nicht in Deutschland, zu einer allgemeinen ge- worden sein, denn die Bilder dieser Zeiten zeigen wohl immer eine spitz zulaufende Form der Fußbekleidung, die sich aber nur an dem reich verzierten, eleganten Schuh der Superbia, der Hof- fart, bei der Herrad von Landsberg zu einer etwas unnöthigen Länge ausdehnt. Sie sind daher in der Art und in der allgemei- nen Verbreitung, wie sie im vierzehnten Jahrhundert auftreten, als eine neue Mode zu betrachten. Frankreich ging auch diesmal und zwar um eine beträchtliche II. Das Mittelalter. nichts Unwahrſcheinliches dabei, als überhaupt die RegierungszeitWilhelms des Rothen durch den Kleiderluxus der neuen Eroberer ſich auszeichnet. Man verglich dieſe Schuhe ſchon damals mit den Schiffsſchnäbeln, und die lateiniſchen Chroniſten nennen ſie ocreae rostratae. Auch dieſſeits des Canals geſchieht ihrer im elften Jahrhundert Erwähnung, und als Anna Comnena, die ſchriftſtellernde Kaiſerstochter, die fränkiſchen Kreuzfahrer in Con- ſtantinopel ſah, findet ſie an ihnen die ſpitzen Schuhe zu bemer- ken. Die Mode ſetzt ſich fort, ſodaß im zwölften Jahrhundert die Geiſtlichkeit mehrere Male dawider eifert als eine Sünde wider die Natur und als eine Ketzerei. Ihr ſelbſt mußten ſie für Frank- reich im Jahr 1212 auf dem Concil zu Paris verboten werden. Noch um das Jahr 1250 erhalten die Engländer deßhalb den Beinamen der „Geſchwänzten.“ Dieſe Mode muß aber nirgends, und namentlich nicht in Deutſchland, zu einer allgemeinen ge- worden ſein, denn die Bilder dieſer Zeiten zeigen wohl immer eine ſpitz zulaufende Form der Fußbekleidung, die ſich aber nur an dem reich verzierten, eleganten Schuh der Superbia, der Hof- fart, bei der Herrad von Landsberg zu einer etwas unnöthigen Länge ausdehnt. Sie ſind daher in der Art und in der allgemei- nen Verbreitung, wie ſie im vierzehnten Jahrhundert auftreten, als eine neue Mode zu betrachten. Frankreich ging auch diesmal und zwar um eine beträchtliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0264" n="246"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/> nichts Unwahrſcheinliches dabei, als überhaupt die Regierungszeit<lb/> Wilhelms des Rothen durch den Kleiderluxus der neuen Eroberer<lb/> ſich auszeichnet. Man verglich dieſe Schuhe ſchon damals mit<lb/> den Schiffsſchnäbeln, und die lateiniſchen Chroniſten nennen ſie<lb/><hi rendition="#aq">ocreae rostratae</hi>. Auch dieſſeits des Canals geſchieht ihrer im<lb/> elften Jahrhundert Erwähnung, und als Anna Comnena, die<lb/> ſchriftſtellernde Kaiſerstochter, die fränkiſchen Kreuzfahrer in Con-<lb/> ſtantinopel ſah, findet ſie an ihnen die ſpitzen Schuhe zu bemer-<lb/> ken. 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II. Das Mittelalter.
nichts Unwahrſcheinliches dabei, als überhaupt die Regierungszeit
Wilhelms des Rothen durch den Kleiderluxus der neuen Eroberer
ſich auszeichnet. Man verglich dieſe Schuhe ſchon damals mit
den Schiffsſchnäbeln, und die lateiniſchen Chroniſten nennen ſie
ocreae rostratae. Auch dieſſeits des Canals geſchieht ihrer im
elften Jahrhundert Erwähnung, und als Anna Comnena, die
ſchriftſtellernde Kaiſerstochter, die fränkiſchen Kreuzfahrer in Con-
ſtantinopel ſah, findet ſie an ihnen die ſpitzen Schuhe zu bemer-
ken. Die Mode ſetzt ſich fort, ſodaß im zwölften Jahrhundert die
Geiſtlichkeit mehrere Male dawider eifert als eine Sünde wider
die Natur und als eine Ketzerei. Ihr ſelbſt mußten ſie für Frank-
reich im Jahr 1212 auf dem Concil zu Paris verboten werden.
Noch um das Jahr 1250 erhalten die Engländer deßhalb den
Beinamen der „Geſchwänzten.“ Dieſe Mode muß aber nirgends,
und namentlich nicht in Deutſchland, zu einer allgemeinen ge-
worden ſein, denn die Bilder dieſer Zeiten zeigen wohl immer
eine ſpitz zulaufende Form der Fußbekleidung, die ſich aber nur
an dem reich verzierten, eleganten Schuh der Superbia, der Hof-
fart, bei der Herrad von Landsberg zu einer etwas unnöthigen
Länge ausdehnt. Sie ſind daher in der Art und in der allgemei-
nen Verbreitung, wie ſie im vierzehnten Jahrhundert auftreten,
als eine neue Mode zu betrachten.
Frankreich ging auch diesmal und zwar um eine beträchtliche
Zeit voran. Es wird berichtet, wie ſchon unter der Regierung
Philipps IV. (1285—1314) die Länge den Stand unterſchieden
habe; die Spitze hatte zwei Fuß Länge für die Damen und die
großen Barone, einen Fuß für die Reichen und einen halben Fuß
für die gewöhnlichen Leute. In der Mitte des Jahrhunderts wie-
derholen ſich die Klagen in England und nun auch in Deutſch-
land zugleich. In England nannte man ſie unter der Regierung
Richards II. (1377—1399) crackowes, offenbar von der Stadt
Krakau. Wollte man eine Beziehung ſuchen, ſo müßte man an
die Königin Anna denken, Richards Gemahlin, eine Tochter von
Kaiſer Karl IV., Johanns von Böhmen Sohn. In Frankreich war
die Sitte wieder ſo allgemein und auffällig geworden, daß ſie das
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