Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. breit von Sammet oder Guldenstück gemacht, auf einer Achselhinten und vornen unter dem andern Arm zugeschleift worden. Dieses ist mit schönen Perlen oder blümichten Fliedern und voller Silber, auch vergulter Schellelein voll gehenkt gewesen, wobei man von weitem ihre Zukunft hat hören können. Es hat solche Zierd herrlich und ansehnlich gestanden, wie auch ein Sprichwort davon entstanden: Wo die Herren sein, da klingeln die Schellen. Und sind die Schellen vor alter Zeit eine besondere Zierd vor- nehmlicher, stattlicher Leut und Personen gewesen, wie aus dem Hohenpriester des jüdischen Volks Rock zu erkennen, aber als solche Pracht und Tracht in ein Mißbrauch gerathen, also daß solche Herren ihre Schellen den kurzweiligen und Schalksnarren allein gelassen und zur stummen Zierde gegriffen." -- Die Schuhe mit langen Spitzen, die s. g. Schnabel- 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. breit von Sammet oder Guldenſtück gemacht, auf einer Achſelhinten und vornen unter dem andern Arm zugeſchleift worden. Dieſes iſt mit ſchönen Perlen oder blümichten Fliedern und voller Silber, auch vergulter Schellelein voll gehenkt geweſen, wobei man von weitem ihre Zukunft hat hören können. Es hat ſolche Zierd herrlich und anſehnlich geſtanden, wie auch ein Sprichwort davon entſtanden: Wo die Herren ſein, da klingeln die Schellen. Und ſind die Schellen vor alter Zeit eine beſondere Zierd vor- nehmlicher, ſtattlicher Leut und Perſonen geweſen, wie aus dem Hohenprieſter des jüdiſchen Volks Rock zu erkennen, aber als ſolche Pracht und Tracht in ein Mißbrauch gerathen, alſo daß ſolche Herren ihre Schellen den kurzweiligen und Schalksnarren allein gelaſſen und zur ſtummen Zierde gegriffen.“ — Die Schuhe mit langen Spitzen, die ſ. g. Schnabel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0263" n="245"/><fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/> breit von Sammet oder Guldenſtück gemacht, auf einer Achſel<lb/> hinten und vornen unter dem andern Arm zugeſchleift worden.<lb/> Dieſes iſt mit ſchönen Perlen oder blümichten Fliedern und voller<lb/> Silber, auch vergulter Schellelein voll gehenkt geweſen, wobei<lb/> man von weitem ihre Zukunft hat hören können. Es hat ſolche<lb/> Zierd herrlich und anſehnlich geſtanden, wie auch ein Sprichwort<lb/> davon entſtanden: Wo die Herren ſein, da klingeln die Schellen.<lb/> Und ſind die Schellen vor alter Zeit eine beſondere Zierd vor-<lb/> nehmlicher, ſtattlicher Leut und Perſonen geweſen, wie aus dem<lb/> Hohenprieſter des jüdiſchen Volks Rock zu erkennen, aber als<lb/> ſolche Pracht und Tracht in ein Mißbrauch gerathen, alſo daß<lb/> ſolche Herren ihre Schellen den kurzweiligen und Schalksnarren<lb/> allein gelaſſen und zur ſtummen Zierde gegriffen.“ —</p><lb/> <p>Die Schuhe mit langen Spitzen, die ſ. g. <hi rendition="#g">Schnabel-<lb/> ſchuhe</hi>, haben das mit der Schellentracht gemein, daß ſie im<lb/> vierzehnten Jahrhundert, da ſie beginnen in ſo hohem Grade<lb/> die Aufmerkſamkeit der Welt zu erregen, nicht als eine völlig<lb/> neue Erſcheinung auftreten. Auch ihrer Blüthezeit geht eine ſpo-<lb/> radiſche Geſchichte vorauf, die ſelbſt bis ins zehnte Jahrhundert<lb/> hinaufreicht. Die anekdotiſche Hiſtorie kennt mehrere Erfinder<lb/> derſelben zu verſchiedenen Zeiten, ein Beweis, daß es eben keiner<lb/> iſt, ſondern daß auch hier ein allmähliges Werden, Vergehen und<lb/> Wiederkommen wie in allen Moden anzunehmen iſt. Die einen<lb/> nennen den Grafen Fulco <hi rendition="#aq">IV.</hi> von Anjou (um 1087), der auf<lb/> den glücklichen und folgenreichen Gedanken gekommen ſei, um<lb/> ſeiner kranken oder mißgeſtalteten Füße willen. Dann habe um<lb/> die weitere Verbreitung ſich beſonders ein Hofmann König Wil-<lb/> helms <hi rendition="#aq">II.</hi> von England viele Verdienſte erworben und ſich da-<lb/> durch den ehrenden Beinamen <hi rendition="#aq">Cornadu</hi> oder <hi rendition="#aq">Cornutus,</hi> d. i. der<lb/> Gehörnte, verſchafft, weil er die Spitzen mit Werg ausſtopfte<lb/> und wie ein Horn aufwärts krümmte. Andere nennen den Gra-<lb/> fen Gottfried Plantagenet um dieſelbe Zeit, andere erſt den Kö-<lb/> nig Heinrich <hi rendition="#aq">II.</hi> von England (geſtorben 1189). So viel iſt er-<lb/> ſichtlich, daß dieſe Mode im elften und zwölften Jahrhundert in<lb/> England ziemliches Aufſehen erregt hat. Es iſt auch inſofern<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [245/0263]
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
breit von Sammet oder Guldenſtück gemacht, auf einer Achſel
hinten und vornen unter dem andern Arm zugeſchleift worden.
Dieſes iſt mit ſchönen Perlen oder blümichten Fliedern und voller
Silber, auch vergulter Schellelein voll gehenkt geweſen, wobei
man von weitem ihre Zukunft hat hören können. Es hat ſolche
Zierd herrlich und anſehnlich geſtanden, wie auch ein Sprichwort
davon entſtanden: Wo die Herren ſein, da klingeln die Schellen.
Und ſind die Schellen vor alter Zeit eine beſondere Zierd vor-
nehmlicher, ſtattlicher Leut und Perſonen geweſen, wie aus dem
Hohenprieſter des jüdiſchen Volks Rock zu erkennen, aber als
ſolche Pracht und Tracht in ein Mißbrauch gerathen, alſo daß
ſolche Herren ihre Schellen den kurzweiligen und Schalksnarren
allein gelaſſen und zur ſtummen Zierde gegriffen.“ —
Die Schuhe mit langen Spitzen, die ſ. g. Schnabel-
ſchuhe, haben das mit der Schellentracht gemein, daß ſie im
vierzehnten Jahrhundert, da ſie beginnen in ſo hohem Grade
die Aufmerkſamkeit der Welt zu erregen, nicht als eine völlig
neue Erſcheinung auftreten. Auch ihrer Blüthezeit geht eine ſpo-
radiſche Geſchichte vorauf, die ſelbſt bis ins zehnte Jahrhundert
hinaufreicht. Die anekdotiſche Hiſtorie kennt mehrere Erfinder
derſelben zu verſchiedenen Zeiten, ein Beweis, daß es eben keiner
iſt, ſondern daß auch hier ein allmähliges Werden, Vergehen und
Wiederkommen wie in allen Moden anzunehmen iſt. Die einen
nennen den Grafen Fulco IV. von Anjou (um 1087), der auf
den glücklichen und folgenreichen Gedanken gekommen ſei, um
ſeiner kranken oder mißgeſtalteten Füße willen. Dann habe um
die weitere Verbreitung ſich beſonders ein Hofmann König Wil-
helms II. von England viele Verdienſte erworben und ſich da-
durch den ehrenden Beinamen Cornadu oder Cornutus, d. i. der
Gehörnte, verſchafft, weil er die Spitzen mit Werg ausſtopfte
und wie ein Horn aufwärts krümmte. Andere nennen den Gra-
fen Gottfried Plantagenet um dieſelbe Zeit, andere erſt den Kö-
nig Heinrich II. von England (geſtorben 1189). So viel iſt er-
ſichtlich, daß dieſe Mode im elften und zwölften Jahrhundert in
England ziemliches Aufſehen erregt hat. Es iſt auch inſofern
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