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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
sind, stehen neben dem stolzen, prachtvollen Pelzüberwurf, der
die stattliche, selbstbewußte Gestalt des reichen Kauf- und Raths-
herrn in verschwenderischer Weite bedeckt. Den Frauen liegen die
Kleider anschmiegend am Leibe von oben bis unten, und andern
schlottern sie formlos an allen Gliedern; von oben her sind sie
ausgeschnitten, daß die Brüste völlig Jedermanns Augen bloß
liegen, und um die Füße wallt das Kleid massenhaft und schleppt
ellenlang nach. Hier haben wir oft den prachtvollsten Faltenwurf
des schweren Stoffes und oben hört ob des unschönen Schnittes,
ob der Mißgestalten aller Reiz und alle Anmuth auf. Frauen
sehen wir nonnenhaft verhüllt in weite dunkle Gewänder, den
Kopf von dichten Tüchern umschlungen, und wir lesen von den
dünnen, durchsichtigen Florkleidern, die Farbe und Formen des
Leibes erkennen lassen. Ja man legte auch die Kleider ab, um
andern eine festliche Freude zu machen. Schon etwas früher war
dergleichen vorgekommen. So veranstaltete das üppige Paris im
Jahr 1461, als Ludwig XI. dort seinen Einzug hielt, daß drei
der schönsten Mädchen der Stadt diesen bekannten Freund der
schönen Bürgerinnen ganz nackend mit Gedichten empfangen
mußten. Die Stadt Lille machte es ähnlich mit Karl dem Küh-
nen im Jahr 1468. Unter den Schauspielen, die vor ihm aufge-
führt wurden, befand sich auch das Urtheil des Paris, wobei die
drei Göttinnen ganz der Mythe gemäß völlig nackt erschienen.
Noch Dürer weiß bei seiner niederländischen Reise (1520) von
ähnlichen Dingen zu erzählen, die er selbst mit angesehen hatte.
Der Magistrat von Antwerpen, so schreibt er an seinen Freund
Melanchthon, veranstaltete bei dem Einzug Karls V. auf der
Straße allerlei Schauspiele, und dabei befanden sich die schönsten
und vornehmsten Mädchen der Stadt, fast ganz nackt, ohne Hemd
und nur mit einem dünnen Florkleide bedeckt. Der ernste junge
Kaiser sah nicht hin, wohl aber gesteht Dürer, sich dieselben ge-
nau betrachtet zu haben, "weil er ein Maler sei."

Das war noch dieselbe Zeit, in welcher die alten Meister der
niederländischen Kunst, Hans Memling, Rogier von der Weide,
Hugo van der Goes und ihre Genossen und Schüler ihre from-

II. Das Mittelalter.
ſind, ſtehen neben dem ſtolzen, prachtvollen Pelzüberwurf, der
die ſtattliche, ſelbſtbewußte Geſtalt des reichen Kauf- und Raths-
herrn in verſchwenderiſcher Weite bedeckt. Den Frauen liegen die
Kleider anſchmiegend am Leibe von oben bis unten, und andern
ſchlottern ſie formlos an allen Gliedern; von oben her ſind ſie
ausgeſchnitten, daß die Brüſte völlig Jedermanns Augen bloß
liegen, und um die Füße wallt das Kleid maſſenhaft und ſchleppt
ellenlang nach. Hier haben wir oft den prachtvollſten Faltenwurf
des ſchweren Stoffes und oben hört ob des unſchönen Schnittes,
ob der Mißgeſtalten aller Reiz und alle Anmuth auf. Frauen
ſehen wir nonnenhaft verhüllt in weite dunkle Gewänder, den
Kopf von dichten Tüchern umſchlungen, und wir leſen von den
dünnen, durchſichtigen Florkleidern, die Farbe und Formen des
Leibes erkennen laſſen. Ja man legte auch die Kleider ab, um
andern eine feſtliche Freude zu machen. Schon etwas früher war
dergleichen vorgekommen. So veranſtaltete das üppige Paris im
Jahr 1461, als Ludwig XI. dort ſeinen Einzug hielt, daß drei
der ſchönſten Mädchen der Stadt dieſen bekannten Freund der
ſchönen Bürgerinnen ganz nackend mit Gedichten empfangen
mußten. Die Stadt Lille machte es ähnlich mit Karl dem Küh-
nen im Jahr 1468. Unter den Schauſpielen, die vor ihm aufge-
führt wurden, befand ſich auch das Urtheil des Paris, wobei die
drei Göttinnen ganz der Mythe gemäß völlig nackt erſchienen.
Noch Dürer weiß bei ſeiner niederländiſchen Reiſe (1520) von
ähnlichen Dingen zu erzählen, die er ſelbſt mit angeſehen hatte.
Der Magiſtrat von Antwerpen, ſo ſchreibt er an ſeinen Freund
Melanchthon, veranſtaltete bei dem Einzug Karls V. auf der
Straße allerlei Schauſpiele, und dabei befanden ſich die ſchönſten
und vornehmſten Mädchen der Stadt, faſt ganz nackt, ohne Hemd
und nur mit einem dünnen Florkleide bedeckt. Der ernſte junge
Kaiſer ſah nicht hin, wohl aber geſteht Dürer, ſich dieſelben ge-
nau betrachtet zu haben, „weil er ein Maler ſei.“

Das war noch dieſelbe Zeit, in welcher die alten Meiſter der
niederländiſchen Kunſt, Hans Memling, Rogier von der Weide,
Hugo van der Goes und ihre Genoſſen und Schüler ihre from-

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[278/0296] II. Das Mittelalter. ſind, ſtehen neben dem ſtolzen, prachtvollen Pelzüberwurf, der die ſtattliche, ſelbſtbewußte Geſtalt des reichen Kauf- und Raths- herrn in verſchwenderiſcher Weite bedeckt. Den Frauen liegen die Kleider anſchmiegend am Leibe von oben bis unten, und andern ſchlottern ſie formlos an allen Gliedern; von oben her ſind ſie ausgeſchnitten, daß die Brüſte völlig Jedermanns Augen bloß liegen, und um die Füße wallt das Kleid maſſenhaft und ſchleppt ellenlang nach. Hier haben wir oft den prachtvollſten Faltenwurf des ſchweren Stoffes und oben hört ob des unſchönen Schnittes, ob der Mißgeſtalten aller Reiz und alle Anmuth auf. Frauen ſehen wir nonnenhaft verhüllt in weite dunkle Gewänder, den Kopf von dichten Tüchern umſchlungen, und wir leſen von den dünnen, durchſichtigen Florkleidern, die Farbe und Formen des Leibes erkennen laſſen. Ja man legte auch die Kleider ab, um andern eine feſtliche Freude zu machen. Schon etwas früher war dergleichen vorgekommen. So veranſtaltete das üppige Paris im Jahr 1461, als Ludwig XI. dort ſeinen Einzug hielt, daß drei der ſchönſten Mädchen der Stadt dieſen bekannten Freund der ſchönen Bürgerinnen ganz nackend mit Gedichten empfangen mußten. Die Stadt Lille machte es ähnlich mit Karl dem Küh- nen im Jahr 1468. Unter den Schauſpielen, die vor ihm aufge- führt wurden, befand ſich auch das Urtheil des Paris, wobei die drei Göttinnen ganz der Mythe gemäß völlig nackt erſchienen. Noch Dürer weiß bei ſeiner niederländiſchen Reiſe (1520) von ähnlichen Dingen zu erzählen, die er ſelbſt mit angeſehen hatte. Der Magiſtrat von Antwerpen, ſo ſchreibt er an ſeinen Freund Melanchthon, veranſtaltete bei dem Einzug Karls V. auf der Straße allerlei Schauſpiele, und dabei befanden ſich die ſchönſten und vornehmſten Mädchen der Stadt, faſt ganz nackt, ohne Hemd und nur mit einem dünnen Florkleide bedeckt. Der ernſte junge Kaiſer ſah nicht hin, wohl aber geſteht Dürer, ſich dieſelben ge- nau betrachtet zu haben, „weil er ein Maler ſei.“ Das war noch dieſelbe Zeit, in welcher die alten Meiſter der niederländiſchen Kunſt, Hans Memling, Rogier von der Weide, Hugo van der Goes und ihre Genoſſen und Schüler ihre from-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/296>, abgerufen am 22.11.2024.