Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
III. Die Neuzeit.

Zur Vervollständigung der Tracht eines Spaniers war noch
der lange Stoßdegen ein nothwendiges Erforderniß. Der
dicken Polster des Beinkleides wegen konnte er ihn nicht grade
herabhängend tragen, auch nicht vor den Magen geschnallt, wie
der Landsknecht sein kurzes Schwert, sondern er trug ihn "ge-
stürzt", d. h. horizontal nach hinten oder mit der Spitze höher
als mit dem Heft. Aber alle Spanier führten ihn "bis herab auf
die Schuster und die Schneider und die andern Künstler", wie
Vecellio sagt.

Wenn wir nun das Bild eines nobeln Spaniers in kurzen
Umrissen uns vergegenwärtigen, so wird er ganz vor uns stehen,
wie König Philipp ihn wollte -- "stolz lieb ich den Spanier" --
oder wie uns sein Charakter aus der Geschichte bekannt ist. Den
wohlzugestutzten Kopf mit mächtigem Schnurrbart deckt ein steifer
Hut oder das hochgeformte Barett, und die breite Radkrause
umgiebt den Hals und zwingt das Haupt zu gleicher, steifer Hal-
tung, ein Mäntelchen liegt auf der Schulter, nur des starren
Scheines wegen, denn es wärmt nicht und deckt nicht; ein aus-
gestopftes Wamms mit langspitziger Taille umgiebt prall den
Leib, und um Hüften und Oberschenkel legen sich die dicken
Polster des Beinkleides, das im übrigen auf's zierlichste und ge-
nauste anliegt; gekrauste Manschetten gleich dem Kragen am
Halse, Handschuhe, feine Schuhe und der gestürzte lange Stoß-
degen vollenden die manierirte Tracht. Keine Falte ist am gan-
zen Leibe zu entdecken, sie sei denn eine künstlich gelegte und mit
Draht und Brenneisen hervorgebracht; alles ist rund und prall,
aber die natürlichen Formen übertreibend oder ihnen zuwider.
In dem Gezierten und Geputzten erkennen wir den Stutzer, in
dem zugeknöpften Wesen und in der dadurch bedingten steifen
und gespreizten Haltung einerseits die Verschlossenheit und
Schweigsamkeit des Spaniers, andererseits seinen Ernst und
seine Gravität -- mit einem Worte die Grandezza. Ein Blick
auf diese Gestalt bringt uns den ganzen Hof des unzugänglichen
Philipp in die Erinnerung, den finstern, fanatischen Geist, die
Freudenlosigkeit und endlich die unbeugsame Strenge der Eti-

III. Die Neuzeit.

Zur Vervollſtändigung der Tracht eines Spaniers war noch
der lange Stoßdegen ein nothwendiges Erforderniß. Der
dicken Polſter des Beinkleides wegen konnte er ihn nicht grade
herabhängend tragen, auch nicht vor den Magen geſchnallt, wie
der Landsknecht ſein kurzes Schwert, ſondern er trug ihn „ge-
ſtürzt“, d. h. horizontal nach hinten oder mit der Spitze höher
als mit dem Heft. Aber alle Spanier führten ihn „bis herab auf
die Schuſter und die Schneider und die andern Künſtler“, wie
Vecellio ſagt.

Wenn wir nun das Bild eines nobeln Spaniers in kurzen
Umriſſen uns vergegenwärtigen, ſo wird er ganz vor uns ſtehen,
wie König Philipp ihn wollte — „ſtolz lieb ich den Spanier“ —
oder wie uns ſein Charakter aus der Geſchichte bekannt iſt. Den
wohlzugeſtutzten Kopf mit mächtigem Schnurrbart deckt ein ſteifer
Hut oder das hochgeformte Barett, und die breite Radkrauſe
umgiebt den Hals und zwingt das Haupt zu gleicher, ſteifer Hal-
tung, ein Mäntelchen liegt auf der Schulter, nur des ſtarren
Scheines wegen, denn es wärmt nicht und deckt nicht; ein aus-
geſtopftes Wamms mit langſpitziger Taille umgiebt prall den
Leib, und um Hüften und Oberſchenkel legen ſich die dicken
Polſter des Beinkleides, das im übrigen auf’s zierlichſte und ge-
nauſte anliegt; gekrauſte Manſchetten gleich dem Kragen am
Halſe, Handſchuhe, feine Schuhe und der geſtürzte lange Stoß-
degen vollenden die manierirte Tracht. Keine Falte iſt am gan-
zen Leibe zu entdecken, ſie ſei denn eine künſtlich gelegte und mit
Draht und Brenneiſen hervorgebracht; alles iſt rund und prall,
aber die natürlichen Formen übertreibend oder ihnen zuwider.
In dem Gezierten und Geputzten erkennen wir den Stutzer, in
dem zugeknöpften Weſen und in der dadurch bedingten ſteifen
und geſpreizten Haltung einerſeits die Verſchloſſenheit und
Schweigſamkeit des Spaniers, andererſeits ſeinen Ernſt und
ſeine Gravität — mit einem Worte die Grandezza. Ein Blick
auf dieſe Geſtalt bringt uns den ganzen Hof des unzugänglichen
Philipp in die Erinnerung, den finſtern, fanatiſchen Geiſt, die
Freudenloſigkeit und endlich die unbeugſame Strenge der Eti-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0102" n="90"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
          <p>Zur Vervoll&#x017F;tändigung der Tracht eines Spaniers war noch<lb/>
der lange <hi rendition="#g">Stoßdegen</hi> ein nothwendiges Erforderniß. Der<lb/>
dicken Pol&#x017F;ter des Beinkleides wegen konnte er ihn nicht grade<lb/>
herabhängend tragen, auch nicht vor den Magen ge&#x017F;chnallt, wie<lb/>
der Landsknecht &#x017F;ein kurzes Schwert, &#x017F;ondern er trug ihn &#x201E;ge-<lb/>
&#x017F;türzt&#x201C;, d. h. horizontal nach hinten oder mit der Spitze höher<lb/>
als mit dem Heft. Aber alle Spanier führten ihn &#x201E;bis herab auf<lb/>
die Schu&#x017F;ter und die Schneider und die andern Kün&#x017F;tler&#x201C;, wie<lb/>
Vecellio &#x017F;agt.</p><lb/>
          <p>Wenn wir nun das Bild eines nobeln Spaniers in kurzen<lb/>
Umri&#x017F;&#x017F;en uns vergegenwärtigen, &#x017F;o wird er ganz vor uns &#x017F;tehen,<lb/>
wie König Philipp ihn wollte &#x2014; &#x201E;&#x017F;tolz lieb ich den Spanier&#x201C; &#x2014;<lb/>
oder wie uns &#x017F;ein Charakter aus der Ge&#x017F;chichte bekannt i&#x017F;t. Den<lb/>
wohlzuge&#x017F;tutzten Kopf mit mächtigem Schnurrbart deckt ein &#x017F;teifer<lb/>
Hut oder das hochgeformte Barett, und die breite Radkrau&#x017F;e<lb/>
umgiebt den Hals und zwingt das Haupt zu gleicher, &#x017F;teifer Hal-<lb/>
tung, ein Mäntelchen liegt auf der Schulter, nur des &#x017F;tarren<lb/>
Scheines wegen, denn es wärmt nicht und deckt nicht; ein aus-<lb/>
ge&#x017F;topftes Wamms mit lang&#x017F;pitziger Taille umgiebt prall den<lb/>
Leib, und um Hüften und Ober&#x017F;chenkel legen &#x017F;ich die dicken<lb/>
Pol&#x017F;ter des Beinkleides, das im übrigen auf&#x2019;s zierlich&#x017F;te und ge-<lb/>
nau&#x017F;te anliegt; gekrau&#x017F;te Man&#x017F;chetten gleich dem Kragen am<lb/>
Hal&#x017F;e, Hand&#x017F;chuhe, feine Schuhe und der ge&#x017F;türzte lange Stoß-<lb/>
degen vollenden die manierirte Tracht. Keine Falte i&#x017F;t am gan-<lb/>
zen Leibe zu entdecken, &#x017F;ie &#x017F;ei denn eine kün&#x017F;tlich gelegte und mit<lb/>
Draht und Brennei&#x017F;en hervorgebracht; alles i&#x017F;t rund und prall,<lb/>
aber die natürlichen Formen übertreibend oder ihnen zuwider.<lb/>
In dem Gezierten und Geputzten erkennen wir den Stutzer, in<lb/>
dem zugeknöpften We&#x017F;en und in der dadurch bedingten &#x017F;teifen<lb/>
und ge&#x017F;preizten Haltung einer&#x017F;eits die Ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit und<lb/>
Schweig&#x017F;amkeit des Spaniers, anderer&#x017F;eits &#x017F;einen Ern&#x017F;t und<lb/>
&#x017F;eine Gravität &#x2014; mit einem Worte die Grandezza. Ein Blick<lb/>
auf die&#x017F;e Ge&#x017F;talt bringt uns den ganzen Hof des unzugänglichen<lb/>
Philipp in die Erinnerung, den fin&#x017F;tern, fanati&#x017F;chen Gei&#x017F;t, die<lb/>
Freudenlo&#x017F;igkeit und endlich die unbeug&#x017F;ame Strenge der Eti-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0102] III. Die Neuzeit. Zur Vervollſtändigung der Tracht eines Spaniers war noch der lange Stoßdegen ein nothwendiges Erforderniß. Der dicken Polſter des Beinkleides wegen konnte er ihn nicht grade herabhängend tragen, auch nicht vor den Magen geſchnallt, wie der Landsknecht ſein kurzes Schwert, ſondern er trug ihn „ge- ſtürzt“, d. h. horizontal nach hinten oder mit der Spitze höher als mit dem Heft. Aber alle Spanier führten ihn „bis herab auf die Schuſter und die Schneider und die andern Künſtler“, wie Vecellio ſagt. Wenn wir nun das Bild eines nobeln Spaniers in kurzen Umriſſen uns vergegenwärtigen, ſo wird er ganz vor uns ſtehen, wie König Philipp ihn wollte — „ſtolz lieb ich den Spanier“ — oder wie uns ſein Charakter aus der Geſchichte bekannt iſt. Den wohlzugeſtutzten Kopf mit mächtigem Schnurrbart deckt ein ſteifer Hut oder das hochgeformte Barett, und die breite Radkrauſe umgiebt den Hals und zwingt das Haupt zu gleicher, ſteifer Hal- tung, ein Mäntelchen liegt auf der Schulter, nur des ſtarren Scheines wegen, denn es wärmt nicht und deckt nicht; ein aus- geſtopftes Wamms mit langſpitziger Taille umgiebt prall den Leib, und um Hüften und Oberſchenkel legen ſich die dicken Polſter des Beinkleides, das im übrigen auf’s zierlichſte und ge- nauſte anliegt; gekrauſte Manſchetten gleich dem Kragen am Halſe, Handſchuhe, feine Schuhe und der geſtürzte lange Stoß- degen vollenden die manierirte Tracht. Keine Falte iſt am gan- zen Leibe zu entdecken, ſie ſei denn eine künſtlich gelegte und mit Draht und Brenneiſen hervorgebracht; alles iſt rund und prall, aber die natürlichen Formen übertreibend oder ihnen zuwider. In dem Gezierten und Geputzten erkennen wir den Stutzer, in dem zugeknöpften Weſen und in der dadurch bedingten ſteifen und geſpreizten Haltung einerſeits die Verſchloſſenheit und Schweigſamkeit des Spaniers, andererſeits ſeinen Ernſt und ſeine Gravität — mit einem Worte die Grandezza. Ein Blick auf dieſe Geſtalt bringt uns den ganzen Hof des unzugänglichen Philipp in die Erinnerung, den finſtern, fanatiſchen Geiſt, die Freudenloſigkeit und endlich die unbeugſame Strenge der Eti-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/102
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/102>, abgerufen am 21.11.2024.