Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.2. Die Reaction und die spanische Tracht. "Wie viel Mützchen sollt'st du kriegen, Wie viel Strümpf' silberbeschlagen, Wie viel schöne Damasthosen, Wie viel Mäntel Linnen Hollands." Wir sehen also, daß auch Mäntel von feiner holländischer Lein- In Vecellio's Trachtenbuch wird uns eine spanische 2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. „Wie viel Mützchen ſollt’ſt du kriegen, Wie viel Strümpf’ ſilberbeſchlagen, Wie viel ſchöne Damaſthoſen, Wie viel Mäntel Linnen Hollands.“ Wir ſehen alſo, daß auch Mäntel von feiner holländiſcher Lein- In Vecellio’s Trachtenbuch wird uns eine ſpaniſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0105" n="93"/> <fw place="top" type="header">2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.</fw><lb/> <lg type="poem"> <l>„Wie viel Mützchen ſollt’ſt du kriegen,</l><lb/> <l>Wie viel Strümpf’ ſilberbeſchlagen,</l><lb/> <l>Wie viel ſchöne Damaſthoſen,</l><lb/> <l>Wie viel Mäntel Linnen Hollands.“</l> </lg><lb/> <p>Wir ſehen alſo, daß auch Mäntel von feiner holländiſcher Lein-<lb/> wand getragen wurden, wahrſcheinlich im Sommer der Kühlung<lb/> wegen, da der Spanier nur den Stoff, nicht die Fa<hi rendition="#aq">ç</hi>on nach<lb/> der Jahreszeit wechſelte.</p><lb/> <p>In Vecellio’s Trachtenbuch wird uns eine <hi rendition="#g">ſpaniſche<lb/> Dame</hi> etwa vom Jahre 1520 oder wenig früher vorgeführt,<lb/> welche noch völlig der Zeit vor dem Eintritte der Reaction ange-<lb/> hört. Wenn ſie auch in Einzelheiten von der deutſchen Mode<lb/> abweicht, ſo iſt doch der Geſammtcharakter völlig derſelbe, denn<lb/> alles iſt frei und leicht, ohne Uebertreibung und giebt der natür-<lb/> lichen Beweglichkeit der Glieder, der freien Herrſchaft über den<lb/> Körper keinerlei Hinderniß. Das Haar iſt ſchlicht und nur theil-<lb/> weiſe von einer netzartigen Haube bedeckt, der Hals bloß und die<lb/> Bruſt halb decolletirt, indem aus dem tieferen runden Ausſchnitt<lb/> des Leibchens das in feine Falten gelegte und geſäumte Hemd<lb/> heraustritt. Das Kleid, mit mäßig hoher Taille und nirgends<lb/> beengend, fällt lang und in faltenreicher Weite zum Boden herab.<lb/> Nach der Beſchreibung Vecellio’s hat es keine Aermel; dieſe be-<lb/> ſtehen für ſich, ſind von weiter feiner Leinwand, an den Schul-<lb/> tern befeſtigt, mehrfach umbunden und gleichen ſo ganz den auf-<lb/> geſchnittenen Aermeln mit heraustretendem Hemd. Aber die ge-<lb/> fällige, einfache und leichte Anmuth verändert ſich bei der<lb/> Spanierin vielleicht noch früher als anderswo in’s Gegentheil, in<lb/> enge Einpreſſung, faltenloſe Steifheit und nonnenhafte Verhül-<lb/> lung. Wir brauchen nur wenige Jahrzehnte weiter zu gehen,<lb/> um die eigentliche ſogenannte ſpaniſche Tracht in der vornehmen<lb/> Frauenwelt ſchon auf ihrem Höhepunkte zu erblicken. Zu ſeiner<lb/> Zeit — es iſt das freilich ſchon gegen das Ende des Jahrhunderts<lb/> — ſpricht Vecellio von der allerengſten Einſchnürung der Bruſt<lb/> und der Seiten, an welche die Spanierinnen ſich von Kindheit<lb/> an gewöhnen und die ſie fortſetzen, ſo lange ſie leben. Schon<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0105]
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
„Wie viel Mützchen ſollt’ſt du kriegen,
Wie viel Strümpf’ ſilberbeſchlagen,
Wie viel ſchöne Damaſthoſen,
Wie viel Mäntel Linnen Hollands.“
Wir ſehen alſo, daß auch Mäntel von feiner holländiſcher Lein-
wand getragen wurden, wahrſcheinlich im Sommer der Kühlung
wegen, da der Spanier nur den Stoff, nicht die Façon nach
der Jahreszeit wechſelte.
In Vecellio’s Trachtenbuch wird uns eine ſpaniſche
Dame etwa vom Jahre 1520 oder wenig früher vorgeführt,
welche noch völlig der Zeit vor dem Eintritte der Reaction ange-
hört. Wenn ſie auch in Einzelheiten von der deutſchen Mode
abweicht, ſo iſt doch der Geſammtcharakter völlig derſelbe, denn
alles iſt frei und leicht, ohne Uebertreibung und giebt der natür-
lichen Beweglichkeit der Glieder, der freien Herrſchaft über den
Körper keinerlei Hinderniß. Das Haar iſt ſchlicht und nur theil-
weiſe von einer netzartigen Haube bedeckt, der Hals bloß und die
Bruſt halb decolletirt, indem aus dem tieferen runden Ausſchnitt
des Leibchens das in feine Falten gelegte und geſäumte Hemd
heraustritt. Das Kleid, mit mäßig hoher Taille und nirgends
beengend, fällt lang und in faltenreicher Weite zum Boden herab.
Nach der Beſchreibung Vecellio’s hat es keine Aermel; dieſe be-
ſtehen für ſich, ſind von weiter feiner Leinwand, an den Schul-
tern befeſtigt, mehrfach umbunden und gleichen ſo ganz den auf-
geſchnittenen Aermeln mit heraustretendem Hemd. Aber die ge-
fällige, einfache und leichte Anmuth verändert ſich bei der
Spanierin vielleicht noch früher als anderswo in’s Gegentheil, in
enge Einpreſſung, faltenloſe Steifheit und nonnenhafte Verhül-
lung. Wir brauchen nur wenige Jahrzehnte weiter zu gehen,
um die eigentliche ſogenannte ſpaniſche Tracht in der vornehmen
Frauenwelt ſchon auf ihrem Höhepunkte zu erblicken. Zu ſeiner
Zeit — es iſt das freilich ſchon gegen das Ende des Jahrhunderts
— ſpricht Vecellio von der allerengſten Einſchnürung der Bruſt
und der Seiten, an welche die Spanierinnen ſich von Kindheit
an gewöhnen und die ſie fortſetzen, ſo lange ſie leben. Schon
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