kür des Individuums, die sich freilich auch zu nationaler Allge- meinheit steigern konnte, mehr in der besondern Anwendung des Details begründet, als daß sich wesentliche und charakteristische Verschiedenheiten hervorgethan hätten.
Am weitesten entfernte sich von der spanischen Tracht die italienische, wozu ohne Zweifel die immer noch blühende Kunst beitrug, wenn sie auch ihre Höhe hinter sich hatte und vielfach dem Manierismus anheimfiel, sowie nicht minder das volle, im freudigen Genuß des Daseins sich ergehende Leben, welches, von Poesie und Kunst verherrlicht, in den Republiken wie an den feinen und geistreichen Höfen in großartigem Stil geführt wurde. Es sind davon freilich die spanischen Besitzungen auszunehmen, Neapel und das Mailändische, wo die strengeren spanischen Formen die herrschenden wurden. Im übrigen, nament- lich in Rom, Florenz und Venedig, herrschte mehr Maß und mehr Freiheit, und die Italiener werfen den Spaniern und den Franzosen insbesondere ihre Uebertreibungen und ihren Mangel an Geschmack vor. "Ihre Kleidung sei reich", sagten sie, "aber ungeschickt; sie trügen die Reifröcke in einem unsinnigen Um- fange, der nicht mehr im Verhältniß zu dem schmalen Leibe stehe; mit Schmuck, Diamanten und Perlen überlüden sie Arme, Schultern und Kopf ohne Ordnung und Geschmack, wogegen die Italienerinnen durch geschickte Vertheilung mit wenigerem einen doppelten Eindruck machten; die vielen reichen und äußerst sorg- fältigen Stickereien litten ebenfalls an den oben erwähnten Feh- lern: die Zeichnung wäre mangelhaft und alles so kleinlich, überhäuft und verwirrt, daß sich nichts deutlich absetzte und man den Grund des Gewandes nicht unterscheiden könnte; in Italien würde nicht so sorgfältig gearbeitet, aber mit halben Kosten ein viel größerer Glanz und Schein bewirkt."
Die Italienerinnen verschmähten die übertriebene Einengung sowie die straffe Ausspannung des Kleides in der starren, falten- losen Weite der Spanierin und Französin; sie schnürten sich nicht mehr, als sie zur Hebung ihrer Fülle nöthig hielten, und dulde- ten am Rock, dem sie auch gern eine mäßige Schleppe gestatte-
III. Die Neuzeit.
kür des Individuums, die ſich freilich auch zu nationaler Allge- meinheit ſteigern konnte, mehr in der beſondern Anwendung des Details begründet, als daß ſich weſentliche und charakteriſtiſche Verſchiedenheiten hervorgethan hätten.
Am weiteſten entfernte ſich von der ſpaniſchen Tracht die italieniſche, wozu ohne Zweifel die immer noch blühende Kunſt beitrug, wenn ſie auch ihre Höhe hinter ſich hatte und vielfach dem Manierismus anheimfiel, ſowie nicht minder das volle, im freudigen Genuß des Daſeins ſich ergehende Leben, welches, von Poeſie und Kunſt verherrlicht, in den Republiken wie an den feinen und geiſtreichen Höfen in großartigem Stil geführt wurde. Es ſind davon freilich die ſpaniſchen Beſitzungen auszunehmen, Neapel und das Mailändiſche, wo die ſtrengeren ſpaniſchen Formen die herrſchenden wurden. Im übrigen, nament- lich in Rom, Florenz und Venedig, herrſchte mehr Maß und mehr Freiheit, und die Italiener werfen den Spaniern und den Franzoſen insbeſondere ihre Uebertreibungen und ihren Mangel an Geſchmack vor. „Ihre Kleidung ſei reich“, ſagten ſie, „aber ungeſchickt; ſie trügen die Reifröcke in einem unſinnigen Um- fange, der nicht mehr im Verhältniß zu dem ſchmalen Leibe ſtehe; mit Schmuck, Diamanten und Perlen überlüden ſie Arme, Schultern und Kopf ohne Ordnung und Geſchmack, wogegen die Italienerinnen durch geſchickte Vertheilung mit wenigerem einen doppelten Eindruck machten; die vielen reichen und äußerſt ſorg- fältigen Stickereien litten ebenfalls an den oben erwähnten Feh- lern: die Zeichnung wäre mangelhaft und alles ſo kleinlich, überhäuft und verwirrt, daß ſich nichts deutlich abſetzte und man den Grund des Gewandes nicht unterſcheiden könnte; in Italien würde nicht ſo ſorgfältig gearbeitet, aber mit halben Koſten ein viel größerer Glanz und Schein bewirkt.“
Die Italienerinnen verſchmähten die übertriebene Einengung ſowie die ſtraffe Ausſpannung des Kleides in der ſtarren, falten- loſen Weite der Spanierin und Franzöſin; ſie ſchnürten ſich nicht mehr, als ſie zur Hebung ihrer Fülle nöthig hielten, und dulde- ten am Rock, dem ſie auch gern eine mäßige Schleppe geſtatte-
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III. Die Neuzeit.
kür des Individuums, die ſich freilich auch zu nationaler Allge-
meinheit ſteigern konnte, mehr in der beſondern Anwendung des
Details begründet, als daß ſich weſentliche und charakteriſtiſche
Verſchiedenheiten hervorgethan hätten.
Am weiteſten entfernte ſich von der ſpaniſchen Tracht die
italieniſche, wozu ohne Zweifel die immer noch blühende
Kunſt beitrug, wenn ſie auch ihre Höhe hinter ſich hatte und
vielfach dem Manierismus anheimfiel, ſowie nicht minder das
volle, im freudigen Genuß des Daſeins ſich ergehende Leben,
welches, von Poeſie und Kunſt verherrlicht, in den Republiken
wie an den feinen und geiſtreichen Höfen in großartigem Stil
geführt wurde. Es ſind davon freilich die ſpaniſchen Beſitzungen
auszunehmen, Neapel und das Mailändiſche, wo die ſtrengeren
ſpaniſchen Formen die herrſchenden wurden. Im übrigen, nament-
lich in Rom, Florenz und Venedig, herrſchte mehr Maß und
mehr Freiheit, und die Italiener werfen den Spaniern und den
Franzoſen insbeſondere ihre Uebertreibungen und ihren Mangel
an Geſchmack vor. „Ihre Kleidung ſei reich“, ſagten ſie, „aber
ungeſchickt; ſie trügen die Reifröcke in einem unſinnigen Um-
fange, der nicht mehr im Verhältniß zu dem ſchmalen Leibe ſtehe;
mit Schmuck, Diamanten und Perlen überlüden ſie Arme,
Schultern und Kopf ohne Ordnung und Geſchmack, wogegen die
Italienerinnen durch geſchickte Vertheilung mit wenigerem einen
doppelten Eindruck machten; die vielen reichen und äußerſt ſorg-
fältigen Stickereien litten ebenfalls an den oben erwähnten Feh-
lern: die Zeichnung wäre mangelhaft und alles ſo kleinlich,
überhäuft und verwirrt, daß ſich nichts deutlich abſetzte und man
den Grund des Gewandes nicht unterſcheiden könnte; in Italien
würde nicht ſo ſorgfältig gearbeitet, aber mit halben Koſten ein
viel größerer Glanz und Schein bewirkt.“
Die Italienerinnen verſchmähten die übertriebene Einengung
ſowie die ſtraffe Ausſpannung des Kleides in der ſtarren, falten-
loſen Weite der Spanierin und Franzöſin; ſie ſchnürten ſich nicht
mehr, als ſie zur Hebung ihrer Fülle nöthig hielten, und dulde-
ten am Rock, dem ſie auch gern eine mäßige Schleppe geſtatte-
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/112>, abgerufen am 16.02.2025.
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