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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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2. Die Reaction und die spanische Tracht.
ten, einen ziemlichen Faltenwurf, sodaß wir sie noch häufig nach
der alten graziosen Sitte das Oberkleid mit der linken Hand ein
wenig emporheben sehen. Die Puffen an der Schulter wiesen
sie nicht zurück, aber sie bedienten sich ihrer mehr wie einer leich-
ten, gefälligen Zierde, denn zur Verunstaltung der Körperformen.
Am meisten unterschied sich wohl die Toilette des Kopfes und
des Halses, und hierin mögen die Italienerinnen für die spätere,
auf die spanische folgende Mode den Weg angegeben haben. In
Mailand zwar und auch wohl anderswo finden wir noch ums
Jahr 1600 die große Krause in ausgedehntester Gestalt und da-
mit eine enge Verhüllung von Hals, Schultern und Brust, aber
in Venedig, Florenz, Rom, Pisa, Ferrara und andern Städten
gehen die Damen der vornehmen wie der bürgerlichen Classen
gewöhnlich halb decolletirt, mit offener Brust und verdeckten
Schultern. Hiernach richtet sich die Form des Kragens, welcher
stets dem Ausschnitt des Kleides folgt, sei es, daß er der Krause
gleich in runde Falten ringsum eingebrannt ist, oder flach ge-
steift und mit Spitzen rings umsäumt, von Schultern und Nacken
sich emporrichtet und so bei einer Betrachtung en face gewisser-
maßen die Folie des Kopfes bildet. Während sich diese Mode
in Italien schon gegen das Jahr 1580 ausgebildet hat, werden
wir sie in Deutschland, das bis dahin unter der Herrschaft der
spanischen Krause schmachtete, erst zwanzig Jahre später wieder-
finden.

Den Hals trugen somit die Italienerinnen frei. Aber auch
vom Haar verbannten sie zuerst alle Hüte, Hauben oder Mützen,
begnügten sich mit der bloßen Frisur und schmückten sie mit kost-
baren Nadeln, Perlen und Geschmeide. Nur den Schleier füg-
ten sie daran und ließen ihn wallend über den Rücken oft bis
auf den Boden herabreichen oder verhüllten sich zur Hälfte da-
mit. In der Art das Haar zu frisiren herrschte große Willkür,
und der individuelle Geschmack der Damen fand hinlängliche
Gelegenheit sich zu bethätigen; doch haben alle Frisuren das
Gemeinsame, daß das Haar von Schläfen und Stirn aufwärts
gestrichen, und mit Nadeln gehalten oder hinten am Scheitel in

2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ten, einen ziemlichen Faltenwurf, ſodaß wir ſie noch häufig nach
der alten grazioſen Sitte das Oberkleid mit der linken Hand ein
wenig emporheben ſehen. Die Puffen an der Schulter wieſen
ſie nicht zurück, aber ſie bedienten ſich ihrer mehr wie einer leich-
ten, gefälligen Zierde, denn zur Verunſtaltung der Körperformen.
Am meiſten unterſchied ſich wohl die Toilette des Kopfes und
des Halſes, und hierin mögen die Italienerinnen für die ſpätere,
auf die ſpaniſche folgende Mode den Weg angegeben haben. In
Mailand zwar und auch wohl anderswo finden wir noch ums
Jahr 1600 die große Krauſe in ausgedehnteſter Geſtalt und da-
mit eine enge Verhüllung von Hals, Schultern und Bruſt, aber
in Venedig, Florenz, Rom, Piſa, Ferrara und andern Städten
gehen die Damen der vornehmen wie der bürgerlichen Claſſen
gewöhnlich halb decolletirt, mit offener Bruſt und verdeckten
Schultern. Hiernach richtet ſich die Form des Kragens, welcher
ſtets dem Ausſchnitt des Kleides folgt, ſei es, daß er der Krauſe
gleich in runde Falten ringsum eingebrannt iſt, oder flach ge-
ſteift und mit Spitzen rings umſäumt, von Schultern und Nacken
ſich emporrichtet und ſo bei einer Betrachtung en face gewiſſer-
maßen die Folie des Kopfes bildet. Während ſich dieſe Mode
in Italien ſchon gegen das Jahr 1580 ausgebildet hat, werden
wir ſie in Deutſchland, das bis dahin unter der Herrſchaft der
ſpaniſchen Krauſe ſchmachtete, erſt zwanzig Jahre ſpäter wieder-
finden.

Den Hals trugen ſomit die Italienerinnen frei. Aber auch
vom Haar verbannten ſie zuerſt alle Hüte, Hauben oder Mützen,
begnügten ſich mit der bloßen Friſur und ſchmückten ſie mit koſt-
baren Nadeln, Perlen und Geſchmeide. Nur den Schleier füg-
ten ſie daran und ließen ihn wallend über den Rücken oft bis
auf den Boden herabreichen oder verhüllten ſich zur Hälfte da-
mit. In der Art das Haar zu friſiren herrſchte große Willkür,
und der individuelle Geſchmack der Damen fand hinlängliche
Gelegenheit ſich zu bethätigen; doch haben alle Friſuren das
Gemeinſame, daß das Haar von Schläfen und Stirn aufwärts
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[101/0113] 2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht. ten, einen ziemlichen Faltenwurf, ſodaß wir ſie noch häufig nach der alten grazioſen Sitte das Oberkleid mit der linken Hand ein wenig emporheben ſehen. Die Puffen an der Schulter wieſen ſie nicht zurück, aber ſie bedienten ſich ihrer mehr wie einer leich- ten, gefälligen Zierde, denn zur Verunſtaltung der Körperformen. Am meiſten unterſchied ſich wohl die Toilette des Kopfes und des Halſes, und hierin mögen die Italienerinnen für die ſpätere, auf die ſpaniſche folgende Mode den Weg angegeben haben. In Mailand zwar und auch wohl anderswo finden wir noch ums Jahr 1600 die große Krauſe in ausgedehnteſter Geſtalt und da- mit eine enge Verhüllung von Hals, Schultern und Bruſt, aber in Venedig, Florenz, Rom, Piſa, Ferrara und andern Städten gehen die Damen der vornehmen wie der bürgerlichen Claſſen gewöhnlich halb decolletirt, mit offener Bruſt und verdeckten Schultern. Hiernach richtet ſich die Form des Kragens, welcher ſtets dem Ausſchnitt des Kleides folgt, ſei es, daß er der Krauſe gleich in runde Falten ringsum eingebrannt iſt, oder flach ge- ſteift und mit Spitzen rings umſäumt, von Schultern und Nacken ſich emporrichtet und ſo bei einer Betrachtung en face gewiſſer- maßen die Folie des Kopfes bildet. Während ſich dieſe Mode in Italien ſchon gegen das Jahr 1580 ausgebildet hat, werden wir ſie in Deutſchland, das bis dahin unter der Herrſchaft der ſpaniſchen Krauſe ſchmachtete, erſt zwanzig Jahre ſpäter wieder- finden. Den Hals trugen ſomit die Italienerinnen frei. Aber auch vom Haar verbannten ſie zuerſt alle Hüte, Hauben oder Mützen, begnügten ſich mit der bloßen Friſur und ſchmückten ſie mit koſt- baren Nadeln, Perlen und Geſchmeide. Nur den Schleier füg- ten ſie daran und ließen ihn wallend über den Rücken oft bis auf den Boden herabreichen oder verhüllten ſich zur Hälfte da- mit. In der Art das Haar zu friſiren herrſchte große Willkür, und der individuelle Geſchmack der Damen fand hinlängliche Gelegenheit ſich zu bethätigen; doch haben alle Friſuren das Gemeinſame, daß das Haar von Schläfen und Stirn aufwärts geſtrichen, und mit Nadeln gehalten oder hinten am Scheitel in

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/113>, abgerufen am 21.11.2024.